Unter Wasser waren die Beziehungen einfach, Bedürfnisse eindeutig und Reaktionen radikal. Wer zehn Meter in die Tiefe tauchte, reiste zugleich zehn Millionen Jahre in der Evolutionsgeschichte zurück – oder an den Anfang der eigenen Biographie. Dorthin, wo das Leben begann, im Wasser schwebend und stumm.
Sven Fiedler hat Deutschland kurz nach seinem Jura-Examen den Rücken zugewendet und ist nach Lanzarote ausgewandert um dort mit seiner Partnerin Antje eine Tauchschule zu eröffnen. Sein Leben verlief lange Jahre in geruhsamen Bahnen und er stellte nicht mal seine Beziehung zu Antje, die er nicht liebt, auf die er aber dennoch nicht verzichten konnte in Frage. Bis er eines Tages seine beiden Kunden Jolante und Theo vom Flughafen abholt. Schnell bemerkt Sven, dass es sich bei dem Pärchen, dass ihn exklusiv für zwei Wochen Intensivbetreuung gebucht hat nicht um normale Touristen handelt. Jolante will sich mit Svens Hilfe für eine Rolle fit machen, zugleich fungiert das Tauchrevier aber auch als Schlachtfeld im undurchsichtigen Kleinkrieg zwischen der Schauspielerin Jola und dem Schriftsteller Theo. Sven gerät zwischen die Fronten und ist schneller als er sich versehen kann mittendrin in einem verhängnisvollen Spiel, dass sein Leben verändern wird.
Vor knapp einer Stunde hat Theo mal wieder versucht, mich umzubringen. Klingt wie der Anfang eines Krimis. Ist es aber nicht.
Die Erzählperspektive wechselt zwischen Svens Sicht der Dinge und Jolas Tagebucheinträge. Anfangs, als die Rollenverteilung auch noch klar war stimmen beide Versionen überein und ergänzen sich. Aber je tiefer Sven sich im intrigant gesponnenen Netz seiner beiden Kunden verheddert, desto größer werden die Diskrepanzen zwischen den beiden Versionen. Lüge und Wahrheit, Liebe und Hass, Begehren und Abscheu legen einen flotten Tango aufs Parkett und schließlich weiß der Leser nicht mehr so recht, wie es sich eigentlich zugetragen hat. Die Anzeichen häufen sich, doch wird es Sven gelingen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich den schädlichen Einfluss des Paares zu entziehen?
Vielleicht konnten sie zitieren, dass Nullzeit die Zeitspanne war, die ein Mensch in einer bestimmten Tiefe tauchen konnte, ohne sich bei der sofortigen Rückkehr an die Oberfläche einem Gesundheitsrisiko auszusetzen.
Juli Zeh ist es mit “Nullzeit” gelungen, einen ebenso subtilen wie furiosen Thriller abzuliefern. “Nullzeit” ist wie ein Kopfsprung ins eiskalte Wasser, man taucht zwangsläufig tief ein und die Eiseskälte raubt einem den Atem. Und das, obwohl Zehs Sprache den Leser einlullt und wärmt wie ein kuscheliges Handtuch nach eben jenem Bad. Blutige Zwischenfälle sowie billige Thrillereffekte findet man nicht, aber gerade die karge Poetik des Romans ist der Grund dafür, warum einige ihrer Sätze eigentlich in Stein gemeißelt gehören. “Nullzeit” erzählt nicht nur eine Dreiecksgeschichte zwischen Liebenden, sondern nimmt den Leser mit auf eine Reise in philosophische Tiefen. Bedeutet Liebe nicht immer auch Krieg? Zeh beleuchtet neben Abgründen am Meeresgrund vor allen Dingen auch die Abgründe der menschlichen Seele. Ich würde sagen, “Nullzeit” ist auf jeden Fall einer der besten Thriller, die ich dieses Jahr bisher gelesen habe.