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»Milosevic brachte seine Ankläger auf die Anklagebank«
Vor fünf Jahren starb Jugoslawiens Präsident in Den Haag. Das dortige UN-Tribunal verweigerte ihm adäquate medizinische Behandlung. Ein Gespräch mit Cathrin Schütz
Interview: Rüdiger GöbelSlobodan Milosevic am 13. Februar 2002 in Den Haag
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Cathrin Schütz, Diplompolitologin und jW-Autorin, war ab 2002 Mitglied im Verteidigungsteam von Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Unter ihrer Mitarbeit erschien dazu im Zambon-Verlag »Die Zerstörung Jugoslawiens – Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern«
Anläßlich des fünften Todestags von Slobodan Milosevic an diesem Freitag protestieren Sie vor der Vertretung der Vereinten Nationen in Wien. Warum nicht in Den Haag, wo der frühere jugoslawische und serbische Präsident in seiner Zelle während seines Prozesses vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) starb?
Die UNO hat mit dem ICTY ein Monster kreiert und ist aufgefordert, es endlich aus der Welt zu schaffen. Die Regierungen der USA und Deutschlands haben 1993 die Einrichtung des ICTY als erstes Ad-hoc-Tribunal im UN-Sicherheitsrat durchgesetzt, obwohl dieser keine Befugnisse für einen solchen Schritt hat. Eine UN-Instanz, die über Bürger von Mitgliedsstaaten richtet, widerspricht grundlegend der UN-Charta. In der illegalen Haager Einrichtung sehen wir also keinen Ansprechpartner.
Welches Interesse verfolgten die USA und Deutschland mit der Errichtung des ICTY?
Weil Jugoslawien ihrem Expansionsdrang im Weg stand, haben sie dessen Zerschlagung angeführt, sind mit verantwortlich für den Ausbruch und die Eskalation der sezessionistischen Bürgerkriege. Mit voller Absicht haben sie, die 1993 bereits durch diplomatische sowie verdeckte Operationen balkanisches Blut an den Händen hatten, ein »Gericht« erfunden, welches als Druckmittel jederzeit zur Steuerung der Kriegsparteien benutzt werden konnte. Und es sollte über die Verbrechen auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens richten – nach NATO-Manier: die widerspenstigen Serben in die Knie zwingen und die NATO-Länder von ihrer Verantwortung freisprechen. In diesem Sinne schützte das ICTY die NATO, die 1999 ohne UN-Mandat einen Aggressionskrieg gegen Jugoslawien geführt hatte. NATO-Sprecher Jamie Shea hatte das Militärbündnis wegen seiner finanziellen Zuwendungen und politischen Verbindungen als »Freundin des ICTY« bezeichnet und damit vorausschauend begründet, warum es keine Anklagen wegen der NATO-Kriegsverbrechen, die seitens Amnesty International attestiert wurden, geben würde.
Aber es existieren doch internationale Standards für faire Gerichtsverfahren.
Die Erfüllung des politischen Auftrags verlangt es wohl, sich über geltende Normen hinwegzusetzen. Der serbische Oppositionspolitiker Vojislav Seselj wird seit acht Jahren in Untersuchungshaft gehalten. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. In jedem Rechtsstaat hat ein Angeklagter das Recht zu erfahren, wessen man ihn bezichtigt. Das ICTY aber verändert Anklagen oft mehrfach und grundlegend, sogar nach Beginn eines Verfahrens. Es hat sein Statut x-mal verändert und verletzt ständig seine eigenen Regeln. Milosevic wurde das garantierte Recht auf Selbstverteidigung entzogen. Radovan Karadzic droht Gleiches. Die Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung ist Alltag. Die Ankläger halten wöchentliche Pressekonferenzen im ICTY ab, und Richard Dicker von Human Rights Watch, einer der anti-serbischen Stimmungsmacher schlechthin, hetzte regelmäßig im Foyer vor der Presse über Milosevic. Unser Kollege wurde des Hauses verwiesen, als er ein Informationsblatt an einen Journalisten verteilte. Hinter den Anklägern stand das riesige Budget des ICTY. Die Milosevic-Verteidigung aber war auf Spenden angewiesen. Als der deutsche Staat die Spendenkampagne kriminalisierte, Gelder einfror, auch mein Konto sperrte, verweigerte uns das ICTY jegliche Unterstützung. Unsere Arbeit wurde dadurch massiv eingeschränkt.
Sie beschreiben das ICTY als antiserbisch. Es wurden aber doch auch Kroaten und bosnische Muslime verurteilt …
Obwohl es sich um einen dreiseitigen Bürgerkrieg handelte, sind ca. 80 Prozent aller Angeklagten Serben, darunter viele Spitzenpolitiker und hochrangige Militärs. Anders bei den Kroaten und bosnischen Muslimen. Der kroatische General Ante Gotovina ist zwar als Verantwortlicher für die »ethnische Säuberung« der Krajina von Hunderttausenden Serben berühmt-berüchtigt, aber kein führender Militär. Gleiches gilt für den bosnischen Muslim Naser Oric. Obwohl er sich während des Kriegs vor der westlichen Presse mit abgeschlagenen Köpfen von Serben brüstete, meine das ICTY, man könne ihm keine Verantwortung für die Angriffe seiner Soldaten auf die serbische Bevölkerung rund um Srebrenica nachweisen. Die US-Journalisten, die seine menschlichen Kriegstrophäen einst präsentiert bekamen, wurden vom ICTY nie als Zeugen geladen. Die Pseudoverfahren gegen Nichtserben sollen nach außen die Unparteilichkeit des ICTY demonstrieren.
Die frühere ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte will jetzt im Fall des Organhandels der kosovo-albanischen Mafia ermitteln. Serben aus dem Kosovo sollen nach Albanien verschleppt und dort regelrecht ausgeweidet worden sein.
Zwar hat del Ponte in ihrer Autobiographie die nötigen Hinweise für den Organhandel geliefert, die zu den Ermittlungen und den Report des Sonderberichterstatters des Europarats, Dick Marty, geführt haben. Doch ich frage mich, ob sie mit ihrem aktuellen Engagement wohl den größten Skandal überspielen will. Marty nämlich hat herausgefunden, daß das ICTY unter del Ponte 2003 die Beweise für den Organraub durch die kriminellen Kosovo-Banden vernichtet hat!
Beim Gros der hiesigen Medien wurde Slobodan Milosevic damals beschrieben wie heute Muammar Al-Ghaddafi: Wahlweise war er größenwahnsinnig, teuflisch, Völkermörder, ja gar ein neuer Hitler. Sie waren Teil seines Verteidigerteams. Wie haben Sie ihn erlebt?
Lord David Owen, Ex-EU-Sonderbeauftragter für den Balkan, bezeichnete Milosevic als »Jugoslawen«, der alles andere als ein Ideologe eines Großserbiens oder »ethnischer Säuberungen« gewesen sei. Dem schließe ich mich an. Die Kroaten und bosnischen Muslime nahm Milosevic oft in Schutz, und er betonte, wie diese vom Westen benutzt und irregeführt wurden. Zwar erwähnte er im Rahmen seiner Verteidigung die Unterstützung der bosnisch-muslimischen Kräfte durch ausländische Mudschaheddin. Doch jegliche Überbewertung des »islamischen Terrors« schien ihm zuwider. Er hob statt dessen hervor, daß die USA für die Einfuhr der Islamkrieger verantwortlich waren. Es kam nicht von ungefähr, daß auch nicht-serbische Angeklagte ihn schätzten.
Beeindruckt haben mich die Berichte der Verteidigungszeugen, zu denen ich engen Kontakt hatte. Westliche Politiker, Diplomaten, Militärs, Journalisten, die auf die eine oder andere Weise das Kriegsgeschehen miterlebten. Auch all ihre Aussagen bestätigen, daß die Behauptungen über Milosevic so falsch sind wie alles andere, was zu Jugoslawien berichtet wurde.
Wie hat Milosevic seine Haftzeit und seinen Prozeß erlebt?
Er hat wohl nicht geglaubt, daß für ihn die Unschuldsvermutung galt und er einen echten Prozeß erfahren würde. Doch er stellte sich dem erhobenen Hauptes und brachte seine Ankläger auf die Anklagebank. Er hat keine Kompromisse gemacht, keinen Deal, der ihm Vorteile hätte bringen können. Damit war er innerlich frei, wie er selbst bemerkte. Das ICTY konnte er nicht anders als ein repressives politisches Instrument erleben, das dazu diente, politische Führer wie ihn, die sich dem Imperialismus nicht bedingungslos ergaben, zu bestrafen. Immer neue Schikanen sollten sein Auftreten schwächen. Schließlich hat ihm das Tribunal Anfang 2006 die Behandlung in der Moskauer Herzklinik verweigert und dafür gesorgt, daß er das Tribunal nicht überlebt.
Während der Kriege im früheren Jugoslawien waren die meisten Medien unkritisch und antiserbisch. Wie haben Sie die Journalisten im Prozeß erlebt?
Am Prozeßinhalt war die Presse nie interessiert. Als klar war, daß die Ankläger ihre Vorwürfe nicht beweisen konnten, Milosevic aber die Bewaffnung der kroatischen und der bosnisch-muslimischen und später der kosovo-albanischen Seite durch Deutschland und die USA belegte, wurde der Prozeß totgeschwiegen. Das Bild von Serbien als Aggressor durfte nicht ins Wanken geraten. Die deutschen Medien haben nicht einmal berichtet, als deutsche Zeugen die Kosovo-Anklage schwer erschütterten. Ex-Bundeswehroffizier Dietmar Hartwig war als Leiter der europäischen Beobachter im Kosovo bis zum Beginn des NATO-Angriffs vor Ort. Nicht serbischen Terror hat er erlebt, sondern den der UCK. Und Bo Adam von der Berliner Zeitung erfuhr von ortsansässigen Albanern, daß die »unschuldigen Kosovaren« von Racak Gefechtstote waren.
Meist waren gar keine Journalisten da, mit Ausnahme von Germinal Civikov, dessen Berichte wertvolle Zeugnisse sind.