"Jeder wollte plötzlich Fotograf werden."

In seinem schnell zum Kultfilm avancierten "Blow Up" von 1966 zeichnet der Regisseur Michelangelo Antonioni einen erfolgreichen Fotografen, der sich in der Londoner Sixties-Szene zwischen Models, beat-unterlegten Marihuana-Wolken und Wahrheitsfindung bewegt. Vieles an dem Film war für den damaligen Blick anstößig, nicht zuletzt die sexuell aufgeladenen Szenen im Wohnatelier des Protagonisten.

Mein heutiger Gast, der Fotograf Kurt Henseler, war beim Erscheinen des Films mitten in seiner Ausbildung. Im Interview erzählt er, wie der Film die Gemüter damals bewegt hat.

CW: Als "Blow Up" herauskam, warst Du gerade 17-jähriger Fotografenlehrling. Wie hat der Film auf Dich gewirkt?
KH: Ich war damals in meinem ersten Lehrjahr, in Düsseldorf. Der Film war völlig anders als man bis dahin Kino kannte. Er hat ein bestimmtes Lebensgefühl transportiert, eine Aufbruchstimmung. Er ist nicht umsonst ein Kultfilm geworden. Es spielt alles mit hinein, was dann in die Hippiezeiten, die 68-er gemündet hat, wie Rockmusik zum Beispiel.
Der Fotografenberuf war ja zu der Zeit in erster Linie Handwerk und oft eher eine muffige Angelegenheit. Er hatte noch nicht dieses Flair wie er es heute hat. Man hat Passbilder gemacht und meist die Tage in einer stickigen Dunkelkammer verbracht.
Und wenn man als Lehrling überhaupt mal fotografieren durfte, musste man extrem sorgfältig mit dem Hintergrundkarton umgehen, damit er ja keinen Knick bekommt. Und jetzt spielen sich in dem Film Szenen ab, wo nicht nur einer, sondern gleich mehrere Hintergrundkartons zerknüllt werden! Das war eine unglaubliche Verschwendung und völlig konträr zu dem, was wir gelernt haben. Und in der Dunkelkammer wässert er dann kaum, jedenfalls nicht wie wir das mussten. Wie der mit dem Material umgeht, war klar: Er muss wirklich reich sein. Es wär natürlich auch langweilig im Film, ihm zuzuschauen wie er eine Stunde wässert. (lacht)
In der Berufsschulklasse, die damals klein war, haben wir uns wochenlang über diesen Film ausgelassen. Da hat man sich gedacht: „Mensch, hast du doch den richtigen Beruf gewählt.“ – Ein Jahr später gab es dann mehrere Fotografenklassen, weil jeder Fotograf werden wollte plötzlich. Schwer zu sagen, ob das wegen des Films war, aber der hat sicher dazu beigetragen. Er war so geheimnisvoll, und der Fotografenberuf ist als was Besonderes rausgekommen. Jeden Tag kannst du so was machen wie der im Studio ...
CW: Was macht der denn?
KH: Ja gut, also Mädels vernaschen und so. Dass das natürlich wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, ist einem erst im Laufe der Jahre oder gar Jahrzehnte aufgegangen. Es herrscht vielleicht immer noch eine etwas seltsame Meinung über den Beruf, dass man ja nur einen Auslösefinger bewegen muss und das war’s. „Fotograf?“ – „Oh, cool“, ist ja noch häufig die Reaktion. Dass es hart arbeiten bedeutet und du diszipliniert vorgehen musst, das sehen die Leute nicht.
CW: Habt Ihr als Lehrlinge versucht die Kluft zwischen Film und Wirklichkeit irgendwie zu überbrücken?
KH: Nein, damals konntest du als Lehrling – ich weiß nicht wie es heute ist – in so einem Laden nichts tun außer du bist angeleitet worden. Sich Sondergeschichten erlauben, das war überhaupt nicht drin. Da galt „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Von daher hat der Film keine Auswirkungen in der Realität gehabt, zumindest nicht bei denen, die ich kannte. Aber im Kopf hat es was verändert, und manchmal fangen Sachen ja im Kopf an. Man war plötzlich stolz, Fotograf zu sein.
CW: Das Bild im Kopf, hat Dich das dann für Deinen weiteren Werdegang beeinflusst? Du hast ja aber einen anderen Weg eingeschlagen als Modefotografie...
KH: Es ging mehr um das Lebensgefühl als um einen ganz konkreten Einfluss. Vermutlich hätte der Film ähnlich gewirkt, wenn ich Einzelhandelskaufmann gelernt hätte. Außer dass da die Identifikation mit der Figur nicht so aufgegangen wäre. Denn der Fotograf ist ja das Besondere in dem Film.
Übrigens haben wohl die meisten von uns damals gar nicht gewusst, was „blow up“ eigentlich heißt, dass damit das Vergrößern gemeint ist. Hauptsache Englisch, das war das Lebensgefühl, so genau musste man das nicht verstehen.
Mehr von und über Kurt Henseler auf: www.kurt-henseler.de


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