Jamie XX: Mit dem eigenen Kopf

Jamie XX: Mit dem eigenen KopfJamie xx
„In Colour“
(Young Turks)
Es ist in der Tat eine sehr komfortable Ausgangssituation für Jamie Smith: Knappe drei Jahre ist „Coexist“, das letzte Album seiner Band The XX jetzt alt, man darf davon ausgehen, dass sich sehr viele Menschen schon auf den Nachfolger freuen. Smith ist als DJ, Produzent und Soundtüftler mit seinen sechsundzwanzig Jahren im bildlichen Sinnen das tonangebende Doppel-X des Trios, von ihm stammt ein Großteil der Ideen, er arrangiert, lenkt, finalisiert die Stücke der Londoner Wavekapelle. Es wäre also ein Leichtes für ihn gewesen, für sein Solo eine Art regenbogenfarbene Blaupause zu den beiden ersten Hitalben zurecht zu basteln, Oliver Sim und Romy Croft standen ohnehin zur Verfügung. Und es spricht für ihn, dass er der Versuchung widerstanden hat. Überhaupt scheint er ein sehr eigensinniger Junge zu sein – die Anzahl der Kollaborationen ist trotz seines unbestrittenen Talents überschaubar, neben der so denkwürdigen wie überragenden Zusammenarbeit mit Gil Scott-Heron („We’re New Here“) noch ein paar Remixe für Adele, Florence Welch und Radiohead, mehr nicht. Smith zieht es nach eigener Aussage vor, den Großteil seiner Zeit lieber daheim im Tonstudio zu verbringen und seiner eigenen Inspiration zu folgen, als sich im Auftrag anderer zu mühen (Lana Del Rey zum Beispiel hatte für „Ultraviolence“ einige Tracks von ihm bearbeiten lassen, diese aber später wieder für eine komplette Neuausrichtung der Platte verworfen): „It’s hard to have a genuine relationship with these people, I’ve found. And that’s why it’s hard to make music with them." (EB Magazine)
Es ist dann trotzdem beides geworden: Zum einen erinnern einige Stücke an den Brotjob des Mannes, wenig überraschend natürlich diejenigen, bei denen Croft und Sim die Vocalparts beisteuern. Aber auch hier hat der Debütant schon seine eigene Note eingebracht – „Stranger In A Room“ wird weniger gehaucht denn richtig gesungen und „Loud Places“ pumpt nahe am Disco-Soul der 70er. Der große Rest bewegt sich dort, wo Smith auch gern seine Playlists als DJ platziert: Rave, Jungle, Drum ‘n’ Bass, Garage, Dubstep, Grime und Dancehall – ein herrlich wildes Gemisch, so bunt wie das Cover und recht weit weg vom düsteren, ätherischen Gebrummel seiner Band. Schon „Gosh“ zu Beginn ist ein nervöses, atemloses Brett, bei „Obvs“ markieren Steel-Drums den melancholischen Unterton und spätestens bei „I Know It’s Gonna Be (Good Times)“ mit Yung Thug und Popcaan ist von The XX nix mehr zu hören. Dass nicht jedes Stück des Albums von gleicher Genialität ist, verzeiht man gern, solange er derart unbeirrt und furchtlos zu Werke geht. All jenen, die der Geschmackssicherheit des Jungen ebensoviel Freude abgewinnen können, seien im Übrigen seine DJ-Sets mit John Talabot, Caribou und Four Tet empfohlen, das Netz bietet hierzu reichlich Material für den zweiten, zusätzlichen Bildungsweg. http://www.jamiexx.com/

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