„Are you with me, or against me?“ Schon zu Beginn fordert Jack White von seinen Fans bei seinem Wien-Konzert ein klares Bekenntnis ein, dabei brauchte man ein Weilchen, um ihn überhaupt zu erkennen.
Was hat der pummelige Typ im weißen T-Shirt da in der Bühnenmitte verloren? Ein etwas zu extrovertierter Roadie beim Soundcheck? Moment mal – das ist doch Jack White! Mit Rockabilly-Kurzhaarschnitt! So wie er in die Saiten griff um ein dreistündiges Konzert-Feuerwerk zu zünden, hätte es eigentlich gleich außer Zweifel stehen müssen: Hier werkt niemand anderer als der Messias und er bringt den wahren Rock ‘n’ Roll über das dicht gedrängte Volk in der Simmeringer Betonveranstaltungshalle.
Jack White © jackwhiteiii.com /David James Swanson
Dabei assistieren durften ihm gleich fünf Vollblut-Musiker aus Detroit bis Nashville. Über ihren Köpfen schwebten die drei riesigen Leucht-Balken – Whites Markenzeichen – in der Mitte rauschte das Störbild eines klobigen Fernsehers. Damit hatte es sich mit der Bühnen-Deko. Der Rest war rohe Energie, die Mr. White notdürftig aber im Stil eines Beseelten durch seine Blues-Gitarre und durch den Verzerrer kanalisierte. Dabei wieselte er zwischen Instrumenten und Musikern umher, rekrutierte Damen aus dem Publikum (die sich später zu einer ansehnlichen Sammlung am Bühnenrand gruppierten) und strich sich die Pomade zurecht. Das Piano wurde schon mal abwechselnd mit der Gitarre auf dem Schoß bearbeitet. Dazwischen zerfledderter Science-Fiction-Blues und heißblütige Parolen – Atari Teenage Riot meets Mississippi.
Jack White © jackwhiteiii.com /David James Swanson
Schon nach einer Dreiviertelstunde und einer sehr langen Predigt über musikignorante Teenager und das Musikbusiness im Allgemeinen – das glaubte man aus dem Wortschwall zumindest aufzuschnappen – viel der Vorhang. Niemand in der Halle glaubte an ein Ende, dass es aber nochmal so dick kommen würde auch nicht.
Mit dem Zugaben-Teil, der letztlich mehr als doppelt so lang werden sollte wie das Pflichtprogramm, drehte der Ex-Tapezierer aus Detroit erst richtig auf. Und von wegen Lazaretto! Anstatt die neue Scheibe abzuarbeiten, spielte er einfach, was ihm in den Sinn kam. Darunter – zur Freude des Publikums – auch etliche White-Sripes-Hadern (Seven Nation Army, My Doorbell etc.). Dann wieder wüstes Improvisations-Chaos, ein Cover des Anfang der 50er Jahre verstorbenen Hank Williams (You Know That I Know). Mit Stady, As She Goes wurde ganz easy eine Raconteurs-Nummer eingesprengselt – Jack White kann eben auf das breite Oeuvre einer ziemlich einzigartigen Rocker-Laufbahn zurückgreifen.
Jack White © jackwhiteiii.com /David James Swanson
Toll auch die Begleit-Musiker, wobei Lillie Mae Rische, die zierliche Dame in der Runde, herausstach. Eine entzückende Südstaaten-Rose wie aus dem Bilderbuch, deren unverwechselbare Stimme schon dem White-Debutalbum Blunderbuss Magie einhauchte. Sie sorgte mit ihrer Fiddle für wohlige Country-Vibes und kehrte sie in Stehphasen auch mal zur Ukulele um. Der vielschichtige, ausgeklügelte Sound ist charakteristisch für die Soloarbeiten Whites. Das kann man mögen oder nicht – an diesem Abend überwog in Summe aber ohnehin der straighte Garage- und Blues-Rock der White Stripes-Phase.
“No screens, no computers. This is happening right now! This is as real as it gets!”, ruft White irgendwann im letzten Viertel. An dieser Stelle sei erwähnt, dass er die Vergabe von Presse-Freikarten ausdrücklich ablehnte. Doch kann man ihm deswegen böse sein? Der Mann hat völlig Recht. 50 Euro aufwärts für ein Einzel-Konzert zu löhnen, gehört heute zur Normalität – doch von wem bitte bekommt man dafür drei Stunden Show und vollsten körperlichen Einsatz geboten?
Jack White © jackwhiteiii.com /David James Swanson
Andererseits hatte das auch seine Längen. Es stellte sich das Gefühl ein, dass da ein erneuerter White mal den gesamten Vorrat der eben erst angerollten Europa-Herbst-Tour von A bis Z durchproben wollte. „Anybody has got to catch his train or do you want more?“. Jack White will einfach nicht mehr aufhören. Der Sog riss aber trotz der leidigen Gasometer-Soundpampe niemals wirklich ab, starke Momente gab es bis zuletzt: Als er beim Rückwärtsgehen (absichtlich?) stolpert, lässt er sich das Mikro abseilen und bluest einfach im Liegen weiter.
Bühnentaumel, Gitarrensoli, Schweiß. White machte in jeder Phase klar: Das hier ist kein verdammtes Afterwork-Entertainment. Hier geht es um Leidenschaft, um ehrliches Handwerk, um beidseitige Aufopferung. „You don’t know what love is…“, heißt es am Ende. Doch, Jack, spätestens jetzt haben wir es kapiert.
Alle Fotos vom Wien-Konzert stehen, laut Musiker, auf der Webseite von Jack White zum Gratis-Download zur Verfügung.