It’s no game

Alles ist besser mit Zombies.

Dem Vorsatz folgend wurde auf der Spike VGA 2012 wohl eines der “schwächsten” besten Videospiele zum Videospiel des Jahres ausgezeichnet. Assassin’s Creed IIIDishoneredMass Effect III…die Konkurrenz um die Krone war hochklassig.  Sehr große Namen von sehr großen Studios. Achja, da war dann auch noch Journey, welches exklusiv als Download  für PlayStation 3 angeboten wurde und nahezu in jedem Fachmagazin auf einer Stufe mit Meisterwerken wie Ico oder Okami genannt wurde. Wahrscheinlich hätte niemand vorher einen Pfifferling auf The Walking Dead gesetzt. Dennoch ist bei näherer Betrachtung der Episodentitel von Telltale Games sogar verdient Sieger dieser Kategorie geworden. Warum?

Walking Dead 2

The Walking Dead ist ein Adventure, welches in diesem Jahr für PlayStation 3, Xbox360 und über Steam als Download angeboten wurde. Es basiert auf den gleichnamigen Comics, welche auch bereits ihren Weg als Serie auf die Mattscheibe fanden. Seit die Serie The Walking Dead von AMC – der Macher ist kein anderer als Frank Darabont, seines Zeichens Regisseur von Meisterwerken wie Die Verurteilten oder The Green Mile – ihren Weg in die breite Öffentlichkeit fand, ist ein regelrechter Hype entstanden. Aktuell läuft in den USA die dritte Staffel und mittlerweile wurde auch ein zweites Videospiel, welches direkt auf der Serie basiert, angekündigt. Jemand der mit der Serie oder mit Zombies nichts anfangen kann, dürfte also irgendwann von der Flut genervt sein. Und selbstverständlich auch den Preis als bestes Videospiel des Jahres übertrieben finden.

walking dead 3Ich kann jeden Menschen – in erster Linie natürlich diejenigen, die The Walking Dead gespielt haben – verstehen, der die Auszeichnung kritisiert. Denn als Videospiel ist The Walking Dead beileibe kein Meilenstein. Ihr steuert den afroamerikanischen Lee Everett, der zum Zeitpunkt der Zombie-Apokalypse auf der Rückbank eines Polizeiwagens sitzt. Wie und warum er da hinkam, wird im Laufe der ersten Episode geklärt. Kurz nachdem er seinen ersten Walker erschießen musste, flieht Lee in ein Wohnhaus, wo er auf das kleine Mädchen Clementine trifft. Da ihre Eltern zum Zeitpunkt des Zombieausbruchs in einer völlig fremden Stadt waren, nimmt er sie unter seine Fittiche.
Im Laufe von allen fünf Episoden steuert man ihn also durch verlassene Drogeriestores oder dunkle Pferdeställe, in denen ihr mithilfe gefundener Gegenstände gewissene Aufgaben löst. Ich will sie nicht Rätsel nennen, denn The Walking Dead hat spielerisch betrachtet sehr wenig Anspruch. Wer nicht allzu viele Probleme mit dem Denken hat, dürfte keine Schwierigkeiten mit diesem Spiel haben. Fordernder sind da eher die Quick-Time-Events, die zwar sehr häufig auftreten, aber stets auf ihre Weise das Geschehen betonen. Anders als Asuras Wrath oder Resident Evil 6, welche uns mit diesem Feature einfach nur nerven. Ein weiterer großer Aspekt von The Walking Dead sind die Dialoge, die zum größten Teil frei geführt werden können, d.h. ihr habt vier Möglichkeiten und müsst euch für eine entscheiden. Nur selten habt ihr in diesem Spiel feste Dialogzeilen, dann sind sie allerdings auch eher dazu da, um euch erforderliche Hinweise zu geben.

Spielerisch bewegt sich The Walking Dead auf einem guten, aber keinem stabilen Eis. Am Besten könnte man das Adventure mit Heavy Rain vergleichen, denn auch hier haben wir einen reinen “Erzählhybriden”. Und genau das Erzählen ist die große Stärke vom Spiel des Jahres 2012.

Walking Dead 1Fünf Episoden erzählen die Geschichte von Lee und Clementine. Sie gehen durch dick und dünn, im Laufe der Zeit wird er zu einer Vaterfigur für sie und nach und nach entwickelt sich eine Beziehung zwischen dem Spieler und seiner Spielfigur. The Walking Dead spielt zwar im Grunde nur ein Repertoire an Stereotypen aus, macht dies aber genau so, wie es am wichtigsten ist: es trifft den Spieler bei seinen Herzen.
Die obligatorische Kannibalenstory? Check. Das obligatorische schwache Glied der Gruppe? Check. Das obligatorische Selbstopfer? Auch check.
Nahezu alles in The Walking Dead hat man irgendwo schon einmal gesehen, nichts davon kann wirklich überraschen. Doch das Charakterdesign, was sich nach und nach immer weiter entwickelt, mit jeder Gefahr tiefgründiger wird und dabei ungeahnte Bindungen aufbaut, weiß zu überzeugen. Vergleichbares Storytelling mit einer solchen Atmosphäre gibt es kaum. Das eher spärliche Gameplay wie bei Heavy Rain wirkt dabei als  Bindeglied zwischen Spielfigur und Spieler und vermittelt diesem eine Interaktivität, die andere lineare Spiele oder Kinofilme nicht bieten können.

Wenn nun The Walking Dead spielerisch so schwach ist und nur über ein grandioses Storytelling verfügt, warum ist der Award meiner Meinung nach dann verdient?
Ich bin der Auffassung, dass Telltale Games hier einen Preis erhält für eine Sparte von Videospielen erhält, die seit der Ankündigung von Heavy Rain erst so richtig in den Fokus rücken. Ich habe sie vorhin Erzählhybride bezeichnet, weil sie meiner Ansicht nach sich durch ihre Erzählkunst definieren und nicht in das Raster eines Adventures fallen, da ihnen – da muss man böse sein – der nötige Anspruch fehlt. Doch im Gegensatz zu Heavy Rain, wo man so schlecht “spielen” konnte, wie man will, bleibt bei The Walking Dead noch immer das spielerische Element der Niederlage. Es passt nicht unbedingt in das große Ganze, wenn man eine Geschichte erlebt, dann verliert und wieder einen kleinen Part der Geschichte spielen muss. Doch das Wichtigste an einer guten Geschichte – egal ob Videospiel, Film oder Buch – ist die Bindung des Konsumenten an ihre Charaktere. Nur dann wird eine Geschichte richtig gut. Und ja, The Walking Dead spielt hier mit Zombie-apokalyptischen Klischees. Es werden die üblichen Mechanismen des Genres bedient. Und doch sehen oder spielen wir hier nicht nur eine Geschichte, sondern erleben sie mit. Wir haben sie mitgestaltet, wir haben mitgelitten und sahen nach jeder Episode mit Spannung auf die Veröffentlichung der nächsten. Das Spielprinzip dieser Erzählhybriden, die uns durch ihr seichtes Gameplay näher an das Spiel und ihre Figuren binden, mag nicht jedem Spieler auf Dauer gefallen. Außerdem steht und fällt das gesamte Werk  mit dem Skript hinter dem Spiel. Ein Problem von Heavy Rain: Es mochte atmosphärisch sein und eine interessante Geschichte erzählen, doch durch das Switchen der Charaktere baute sich keine spezielle Bindung des Spielers zur Geschichte auf, trotz genial geschriebener Charaktere. The Walking Dead ist nun das erste “Große” Spiel, was diesem Anspruch gerecht wurde. Und könnte dadurch das Genre weiter ausbauen. Und vielleicht gibt es irgendwann auch eine bessere Bezeichnung für mich, als dieses doofe “Erzählhybride”.


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