Ist Glücklichsein ein Lebensziel? Oder gibt es noch etwas anderes?

persoenlichkeits-blog.de, viktor frankl,

Jedes Jahr wird von der Columbia-Universität, New York, die Rangliste der glücklichsten Nationen veröffentlicht. Deutschland holt auf. Von 160 Ländern haben wir es schon auf Rang 16 geschafft. Zehn Plätze besser als im Vorjahr. In Dänemark sollen ja die glücklichsten Menschen leben. Und schon Otto Waalkes wusste: „Dänen lügen nicht.“

Wenn man von Menschen in in einer Umfrage wissen will, was glücklich macht, dann kommt da eine weichgespülte, politisch korrekte Liste raus mit Sachen wie Gesundheit, Partnerschaft, Familie, Menschen, eine Aufgabe, Kinder, Beruf … gähn.

Angesichts schrecklicher Terrormeldungen im Wochenrhythmus und genauso häufiger Warnungen von Donald Seehofer, dem kommenden AfD-Vorsitzenden, wollte ich zum Thema „Glück“ und wodurch es gefährdet wird, etwas schreiben.


Im September 1942 wurde  Viktor Frankl, ein bekannter jüdischer Psychiater und Neurologe in Wien, mit seiner Frau und seinen Eltern verhaftet und in ein Konzentrationslager der Nazis transportiert. Drei Jahre später, als sein Lager befreit wurde, die meisten seiner Familie, darunter seine schwangere Frau waren ermordet – aber er, Häftling Nummer 119104, hatte überlebt.

Nach seiner Entlassung verfasste er ein in neun Tagen ein Buch, das ein Welterfolg werden sollte. Er beschrieb, was der Unterschied war zwischen denen, die überlebt hatten, und denjenigen, die im Lager umgekommen waren. Den Unterschied hatte er mit eigenen Augen gesehen. Jene, die selbst in den schrecklichsten Umständen eine Bedeutung für sich, einen Sinn sehen konnten, waren weit weniger anfällig für Leiden als diejenigen, die das grausame Treiben der Nazis als Opfer sinnloser Umstände interpretierten.

„Alles kann einem Menschen genommen werden,
außer einer Sache“
, schrieb er, „nämlich die Haltung
in einer bestimmten Situation, den eigenen Weg zu wählen.“

Frankl arbeitete als Therapeut im Lager und sprach dort mit zwei Männern, die beide hoffnungslos waren und an Selbstmord dachten, weil sie nichts mehr vom Leben erwarteten. Er schreibt:  „Es ging darum, ihnen begreiflich zu machen, dass da noch etwas gab, das auf sie wartete, was das Leben von ihnen erwartete.“ Für den einen Mann war es sein kleines Kind, das damals in einem fremden Land lebte. Für den anderen, einen Wissenschaftler, war es eine Reihe von Büchern, die er noch fertigstellen sollte.

Diese Einzigartigkeit in der Bedeutung, die jedes Individuum unterscheidet und jedem Leben einen unverwechselbaren Sinn seiner Existenz verleiht, hat einen enormen Einfluss. Wenn dem Einzelnen bewusst wird, dass seine Person unersetzlich ist, kann für einen Menschen die Verantwortung, die er für seine Existenz hat, spürbar werden. So ein Mensch, glaubte Frankl, wird niemals in der Lage, sich umzubringen.

Heute scheint der Gedanke einer Verantwortung, die über das individuelle Selbst hinausreicht im Widerspruch zu unserer Kultur zu stehen. Das Verfolgen und Erreichen des individuellen Glücks ist vielen näher als die ominöse Suche nach dem Sinn. Doch Frankl schrieb dazu schon recht früh: „Glück kann nicht verfolgt werden, sondern muss erfolgen. Man muss einen Grund haben, um glücklich zu sein. „

Deshalb warnen einige Forscher davor, das Glück einfach zu suchen. In einer  Studie, die 2013 im „Journal of Positive Psychology“ veröffentlicht wurde, wurden 400 Amerikaner im Alter von 18 bis 78 Jahren gefragt, ob sie glaubten, ihr Leben sinnvoll und/oder glücklich sei. Gleichzeitig untersuchte man einige andere Variablen wie Stress, Konsumverhalten und Anzahl der Kinder.

Heraus kam, dass ein sinnvolles Leben und ein glückliches Leben sich in gewisser Weise überschneiden, aber letztlich doch sehr unterschiedlich sind. Wer angab, ein glückliches Leben zu führen, war eher ein „Nehmender“, wer dagegen seinen Angaben nach ein sinnvolles Leben führte, hatte mehr eine „Geber-Mentalität.“

„Glück ohne Sinn charakterisiert eher ein relativ flaches, selbstbezogenes oder sogar egoistisches Leben, in dem die Dinge gut klappen, Bedürfnisse und Wünsche schnell erfüllt werden, und schwierige oder anstrengende Engagements vermieden werden“, schreiben die Autoren.

Worin unterscheidet sich das glückliche Leben vom sinnvollen Leben?

Glück, so fanden die Forscher heraus, dreht sich um gute Gefühle. Man glaubt, dass das Leben einfach ist, dass man in guter körperlicher Verfassung und in der Lage ist, die Dinge zu kaufen, die man braucht oder will. Ein glückliches Leben wird mit weniger Stress und Sorgen assoziiert. Nicht genug Geld dagegen zu haben führt dazu, das Leben als weniger glücklich oder bedeutungsvoll zu erleben.

Für das egoistische Verhalten, das glückliche „Nehmer“ anstreben, haben die Psychologen eine evolutionäre Erklärung: Glück ist Triebreduktion. Wer hungrig ist, und sich den Wunsch nach Nahrung erfüllen kann, ist für eine Weile glücklich. Mit anderen Worten: Menschen werden glücklich, wenn sie bekommen, was sie wollen. Doch das gilt auch für Ihren Hund und sein Leckerli. Der Unterschied zu einem sinnerfüllten Leben ist gravierend anders.

Glückliche Menschen erleben viel Freude, wenn Sie etwas von anderen bekommen.
Während Menschen, die ihr Leben als sinnvoll erfahren, viel Zufriedenheit daraus ziehen, etwas für andere zu tun oder anderen zu geben.
Anders ausgedrückt: Sinn kann das Ich transzendieren, während Glück dem Ich das gibt, was es will.

Der Leiter der Studie, Roy Baumeister, bemerkt dazu, der Unterschied zwischen Tier und Mensch sei nicht das Streben nach Glück. Das könne man überall in der Natur beobachten. Es sei vielmehr das Streben nach Sinn, das den Menschen auszeichne. Roy Baumeister schrieb zusammen mit John Tierney darüber auch dieses Buch. entdecken.“

Doch wie erreicht man ein sinnvolles Leben?

Die Studienteilnehmer berichteten, dass sie Sinn daraus ableiten, wenn sie einen Teil ihrer Zeit und ihrer Energie anderen geben oder etwas von sich für eine Gruppe opfern. In den Worten von Martin E. P. Seligman, einem der führenden Köpfe der „Positiven Psychologie: „Sie nutzen Ihre besten Fähigkeiten und Talente, um etwas zu dienen, das größer als Ihr Selbst.“

Was auch bedeutet, dass die Suche nach Sinn nicht immer glücklich macht. Kinder zu haben wird beispielsweise häufig mit einem sinnvollen Leben verbunden. Doch erfordert es viele Opfer, man handelt sich aber auch einen Haufen Sorgen ein und bereut es vielleicht sogar, wie ein aktuelles Buch uns glauben machen  will.

Vorurteilsfrei betrachtet, trifft diese Beschreibung eines sinnvollen Lebens allerdings auch auf Selbstmord-Attentäter zu. Auch diese geben an, ihr Leben zu opfern für einen höheren Zweck. Vielleicht sind sie aber auch einfach depressiv, wie Adam Lankfort, Professor für Kriminologie, herausgefunden haben will.

Doch Sinn ergibt sich nicht nur, wenn wir unser über Ich hinausgehen, sondern auch wenn wir den gegenwärtigen Moment transzendieren. Das ist vielleicht das wichtigste Ergebnis der Studie. Während Glück ein Gefühl ist, das im Hier und Jetzt zu spüren ist und deswegen auch bald verblasst, ist das mit dem Sinn anders. Sinn vergeht nicht so schnell, Sinn ist dauerhaft. Er verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft. „Über den gegenwärtigen Augenblick hinaus denken, in die Vergangenheit oder Zukunft, war ein Zeichen für ein relativ sinnvolles, aber nicht unbedingtes glückliches Leben“, stellten die Forscher fest.

Das heißt konkret: Menschen, die mehr in der Gegenwart leben, waren glücklicher, aber die Menschen, die sich mehr Gedanken über die Zukunft machten oder über zurückliegende Konflikte und leidvolle Erfahrungen nachdachten, erlebten mehr Sinn in ihrem Leben, obwohl sie weniger glücklich waren. Das erinnert stark an den Begriff der depressiven Disposition der Psychoanalyse, der jedoch nicht als psychische Störung, sondern als ein Reifeschritt verstanden werden will.

Schwierige oder schreckliche Erlebnisse, verringern zwar das Glück, können jedoch das Gefühl für Sinn im Leben steigern. Das erinnert mich an das beeindruckende Interview mit Antoine Leiris, das ich im STERN las. Er verlor seine Frau bei dem Attentat in Paris letzten November und wandte sich mit dieser Videobotschaft an die Terroristen:

„Wenn es im Leben überhaupt einen Sinn gibt,“ schrieb Frankl, „dann muss es auch im Leiden Sinn geben.“

Das bringt uns zu Frankls Leben zurück und insbesondere zu einer entscheidenden Erfahrung, die er hatte, bevor er in die Konzentrationslager geschickt wurde. Es war eine Situation, die den Unterschied zwischen dem Streben nach Sinn und das Streben nach Glück dramatisch veranschaulicht.

Frankl war ein bekannter Psychiater in Wien und hatte 1941 ein Visum für die Ausreise nach den USA beantragt und auch bewilligt bekommen. Die Nazis hatten schon mit den Judenverfolgungen begonnen und er wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis die auch seine Eltern ins Konzentrationslager schicken würden. Wie sollte er sich entscheiden?

Auf der einen Seite als frisch verheirateter Mann mit einem USA-Visum in der Hand, wo eine glänzende Karriere möglich war. Oder sollte er mit seinen Eltern ins Lager gehen und ihnen dort zur Seite stehen? Was für eine schwere Entscheidung!

Viktor Frankl ging auf der Suche nach Klarheit in den Stephansdrom, die Orgel spielte und in seinem Kopf rotierten diese beiden Fragen. „Soll ich meine Eltern im Stich lassen oder darf ich meine Karriere in Amerika verfolgen? Was ist meine Verantwortung?“

Er wartete auf ein Zeichen des Himmels aber es kam nicht.

Als er nach Hause zurückkehrte, lag ein Stück Marmor auf dem Tisch. Sein Vater erklärte ihm, dass es aus den Trümmern einer nahe gelegenen Synagoge stammte, die die Nazis zerstört hatten. Der Stein enthielt das Fragment eines der Zehn Gebote – jenes dass man seinen Vater und seine Mutter ehren solle. Da entschied sich Frankl gegen die Ausreise und für sein Verbleiben in Wien. Er entschied sich, seine persönlichen Wünsche seinen Eltern zu opfern. Sein Lebenswerk entstand jedoch aus seinen Erfahrungen und der Arbeit mit den anderen KZ-Gefangenen in den Lagern.

Frankl schrieb:
Wir erfinden unseren Auftrag in dieser Welt nicht, sondern wir entdecken ihn.
Er liegt in uns und wartet darauf, verwirklicht zu werden.
Jeder hat eine persönliche Berufung oder Mission im Leben.
Jeder muss einer bestimmten Aufgabe nachkommen, die auf Erfüllung drängt.
Der Auftrag jedes Menschen ist genauso einzigartig wie die Chance, ihn zu erfüllen.“

Baumeister und seine Kollegen würden zustimmen, dass es das Streben nach Sinn ist es, was den Menschen einzigartig menschlich macht. Also indem wir immer wieder unsere egoistischen Interessen beiseite stellen und etwas Größerem dienen als wir selbst. Dass wir unser Leben mehr dem „Geben“ widmen als dem „Nehmen“.

Denn auf die Dauer gehört zu einem guten Leben mehr als das Streben nach dem leichten Glück.
Auch wenn das zwischendurch auch ganz angenehm ist.

kommentar Was gibt Ihrem Leben Sinn?

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Bild: © Photo credit: Pascal-P via Foter.com
Es zeigt das Eingangstor zum KZ Sachsenhausen.


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