Isabel Allende – Ripper

Isabel Allende – Ripper

Als ich von Isabel Allende 2016 spontan in einem Buchladen kaufte, war mir nicht klar, dass ich die vermutlich bekannteste chilenische Autorin bei mir einziehen ließ. Neben Pablo Neruda gilt Allende als der literarische Exportschlager ihres Geburtslandes, obwohl sie seit 1988 in den USA lebt und seit 2003 offiziell US-amerikanische Staatsbürgerin ist. Ihr Debütroman „Das Geisterhaus" sowie das später veröffentlichte findet man häufig in internationalen literarischen Bestenlisten. scheint hingegen eher unbekannt zu sein, was wahrscheinlich daran liegt, dass niemand erwartete, dass die Bestsellerautorin, die sich mit magischem Realismus einen Namen machte, je einen Krimi schreiben würde.

Ihre Freund_innen sagen über Indiana, dass man ihr einfach alles verzeiht. Ihre Patient_innen sagen, dass ihre Hände magisch sind. Selbst diejenigen, die nicht an die holistische Heilkunst glauben, kommen immer wieder, um in ihrer Nähe zu sein. Indiana besitzt das seltene Talent, das Positive in den Menschen hervorzubringen. Sie ist eine lebenslustige Frau voller Energie und Herz, der karmisches Gleichgewicht mehr bedeutet als Geld. Ihre 16-jährige Tochter Amanda wirkt hingegen oft wie ihr personifiziertes Gegenteil. Während Indi nach dem Licht in der menschlichen Seele sucht, ist Amanda von ihren dunklen Abgründen fasziniert. Mit anderen Teenagern überall auf der Welt und ihrem Großvater spielt sie das Online-Rollenspiel Ripper. Bisher drehte sich das Spiel um die Aufklärung fiktiver Verbrechen, doch seit Amandas und Indis Heimat San Francisco Schauplatz einer brutalen Mordserie ist, ermittelt die Gruppe in diesen Fällen. Aus Spaß wird bitterer Ernst, als Indi plötzlich verschwindet. Amanda ist sicher, dass ihre Mutter dem gefürchteten Mörder zum Opfer fiel. Sie ist auch sicher, dass Indi noch lebt. Noch. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit und nur, wenn Amanda die Polizei von ihren Schlussfolgerungen überzeugen kann, hat Indi eine Chance, zu überleben.

Die Literaturkritik war in den letzten Jahren wenig gnädig mit Isabel Allende. Sie wurde als „Königin des Kitsches" und als „zusehends verpilchert" (eine Anspielung auf Rosamunde Pilcher) bezeichnet. Nach der Lektüre von muss ich zugeben, dass diese Vorwürfe nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Ja, dieser Krimi ist ein bisschen kitschig, aber ich muss Sebastian Schoepp, der das Buch 2014 für die Süddeutsche Zeitung besprach und urteilte, Allende sei grandios gescheitert, vehement widersprechen. Als Durchschnittleserin und Hobby-Rezensentin bin ich völlig anderer Meinung. stellt sicher nicht das übliche Angriffskommando auf das Nervenkostüm dar, das wir aus so vielen Krimis und Thrillern kennen. Es ist kein typischer Vertreter dieses Genres, doch genau deshalb habe ich die Lektüre unheimlich genossen. Es ist ein ungewöhnliches Buch, das meiner Ansicht nach beweist, dass die Atmosphäre von Literatur, die sich mit düsteren Themen befasst, nicht zwangsläufig ebenfalls düster sein muss. Es las sich leicht, luftig und zauberte mir häufig ein Lächeln ins Gesicht. Allende gelingt dieser Spagat zwischen Genre und Geschichte, indem sie die Mordserie, die auf den ersten Blick so entscheidend wirkt, wie eine Nebenhandlungslinie inszeniert, die erst im letzten Drittel an Prominenz gewinnt. Stattdessen stellt sie Leser_innen ausführlich alle Personen vor, die im Leben ihrer beiden Protagonistinnen Indiana und Amanda eine Rolle spielen. Sie bringt es fertig, das Netzwerk, das uns als soziale Kreaturen in die Gesellschaft einbindet, diese intuitive Abstraktion, auf eine Weise zu beschreiben, die mir das Gefühl gab, dieses Netzwerk sehen, greifen und anfassen zu können. In meinem Kopf verknüpften sich die Figuren mit goldschimmernden Fäden zu einem wunderschönen Gesamtbild, das ich fasziniert betrachtete und untersuchte. strahlt so viel Positivität aus, dass ich regelrecht hingerissen war. Trotzdem fragte ich mich natürlich, was die Autorin da treibt, wieso sie jeder Persönlichkeit so viel Aufmerksamkeit schenkt und kam schnell zu einer Antwort: Sie präsentiert potenzielle Verdächtige. Durch diese Vorgehensweise war es für mich einfach, Verdachtsmomente zu entwickeln. Der Täter oder die Täterin fiel als dunkler Fleck, als Anomalie auf. Folglich qualifiziert sich zwar nicht als subtiler Krimi, was vielleicht der Grund für Schoepps vernichtende Kritik ist, doch ich störte mich nicht daran, dass ich recht früh vermutete, wer für die Morde verantwortlich sein könnte, weil Allende dennoch ausreichend Zweifel streut, um einer vorzeitigen Auflösung entgegenzuwirken. Außerdem ist die Aufklärung von einer haarsträubenden Wendung geprägt, die ich sowieso nicht vorausahnen konnte. Meinem Lesevergnügen standen demnach weder meine Verdächtigungen noch die esoterische Grundstimmung des Buches im Wege.

Aus meiner Sicht tut man Isabel Allende Unrecht, wenn man ihr vorwirft, dass kein konventioneller Krimi ist. Sie mag sich das eine oder andere von ihren skandinavischen Kolleg_innen abgeschaut haben und ihre Morde sind zweifellos grausig, aber ich denke nicht, dass sie je plante, genauso aufzuziehen, wie es im hohen Norden üblich ist. Ich glaube, sie wollte einen Krimi schreiben, der trotz des blutigen Themas ihre ganz persönliche Handschrift trägt. Für mich war die ungewöhnliche Mischung aus Esoterik, Positivität und Kriminalermittlung äußerst erfrischend, weil ich es spannend finde, dass man ein dermaßen eingefahrenes Genre auch völlig anders interpretieren kann. Dass das Buch dadurch ein wenig kitschig und nicht besonders ausgeklügelt ist, kann ich verzeihen. Meiner Meinung nach ist Isabel Allende mit nicht grandios gescheitert. Sie hat lediglich neue Impulse zugelassen und reiht sich damit in die lange Schlange derjenigen ein, die für ihre progressiven Ideen belächelt und verflucht wurden.


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