Iran: Khamenei gebietet den Streithähnen Einhalt und befiehlt Einheit

24.06.2010Artikel zu Iran Hintergrund erstellt von Helmut N. Gabel

Im Streit um Einfluss und den Fluss von Geld aus freien Bildungseinrichtungen schreibt Ali Khamenei durch ein Machtwort das letzte Kapitel. Ahmadinedschad kann seinen Machtbereich auch in dieser Richtung erweitern.

Iran: Khamenei gebietet den Streithähnen Einhalt und befiehlt Einheit

Ali Laridschani, Parlamenstpräsident

Am Dienstag, 22.06.2010 demonstrierten Anhängern Ahmadinedschads vor dem Parlament in Teheran gegen den Präsidenten des Parlaments, Ali Laridschani und beschimpften ihn auf Plakaten als Räuber, Mörder und ähnliches. (z.B. schrieben sie Lari Dschani, was so viel heißt wie Lari, der Mörder). Es ist die letzte Kulmination in einem systeminternen Streit zwischen Mahmoud Ahmadinedschad, dem Leiter der Exekutive in Gestalt der Regierung und dem alten Politikfuchs und Pistazienmilliardär Ali Haschemi Rafsandschani, der momentan noch als Vorsitzender des Expertenrates  fungiert. Ahmadinedschad attackiert Rafsandschani regelmäßig und lässt nichts unversucht, um ihn von jeglichem Einfluss zu verdrängen. Er wirft dem ehemaligen Staatspräsident Korruption auf dem Rücken der armen Leute vor. Rafsandschani galt bei den Wahlen 2009 als Hauptsponsor und Unterstützer von Mir Hossein Moussavi gegen Ahmadinedschad. Er ist eine der einflussreichsten iranischen Persönlichkeiten auch außerhalb Irans bis hin in die Europäische Union.
Der letzte Streit dreht sich um ein Gesetz, das den Einfluss auf freie Bildungseinrichtungen regelt.
Zuletzt hatte die Judikative unter Sadegh Laridschani, dem Bruder des Parlamentspräsidenten, die Einflussnahme des Obersten Rats der Kulturrevolution zurückgewiesen, so dass das Parlament dieses Gesetz zu Gunsten des Mitgründers der Freien Universität von Teheran (Azad Universität) regeln wollte. Ahmadinedschad ist als Präsident der Islamischen Republik auch maßgebliches Mitglied dieses Rats. Laridschani wies die Kritik und Beschimpfungen gegen ihn von sich. 

Nach den von Ahmadinedschad orchestrierten Demonstrationen vor dem Parlament am Dienstag, griff Ali Khamenei, der Oberste Führer, wie erwartet ein und rief zur Einheit auf. Er wies das Parlament an das Gesetz in einer Dringlichkeitssitzung sofort zu Gunsten Ahmadinedschads und des Obersten Rats der Kulturrevolution zu regeln. Er rief die Streithähne auf die Differenzen zu beenden.

Ali Khamenei hat erneut Partei zu Gunsten Ahmadinedschads ergriffen. Die Zugpferde des Systems im Iran sind aber heillos zerstritten. Khamenei weiß, dass die Streitereien innerhalb seiner Machtelite das System des Velayat-e-faghi ad absurdum führen und innerlich aushöhlen. Der Apfel ist von Innen faul. Viele hoffen darauf, dass er fällt. Manche rütteln am Stamm.

Ist die grüne Bewegung Irans ein dünnes Kapitel der Vergangenheit?

Ali Khamenei war sehr froh als er am Tag der Revolution, 11. Februar (22. Bahman) das Ende der grünen Bewegung verkünden konnte, weil sich Proteste nur in von den Sicherheitskräften isolierten Bereichen abspielten und der große Flächenbrand ausblieb. Ist sie tatsächlich zu Ende? Mitnichten. Es gibt einige Maßnahmen des Regimes im Iran, die eine deutliche Wirkung gezeigt haben. Was bei den Protesten im Juni und im Dezember 2009 noch wie ein gewaltiger Volkssturm auf den Straßen wirkte, wird seit Januar 2010 strikt unterbunden. Massive Präsenz von Sicherheitskräften an neuralgischen Punkten, Installation von hochauflösenden Kameras zur Überwachung strategischer Plätze und Überwachung von Internet, Telefonie und anderen Techniken mit denen man Massennachrichten verbreiten kann, waren Maßnahmen, um größere Ansammlungen von Menschen zu verhindern. Darüber hinaus sind viele Journalisten und Oppositionelle aus der zweiten Reihe inhaftiert worden, oppositionelle Zeitungen verboten oder unter strenge Zensurauflagen gestellt worden, so dass die verbindenden Elemente aus dem Weg geräumt wurden. Ein alt bekannter strategischer Trick wird zusätzlich voll zur Geltung gebracht: Angst erzeugen, um braves, konformes Handeln zu bekommen. Vorsorgliche Verhaftungen von Aktivisten sind an der Tagesordnung in ganz Iran. Die Anzahl von Hinrichtungen hat stetig zugenommen. Mal sind es öffentlich Gehängte, die beschuldigt werden Drogenhändler zu sein, mal werden in Nacht- und Nebelaktionen Menschenrechtsaktivisten als Terroristen im Hinterhof des Gefängnis hingerichtet und deren Leichen verscharrt und vor den Verwandten versteckt. Man vermutet, die Hingerichteten weisen Folterspuren auf, die die Verantwortlichen verheimlichen wollen.

Stetige Drohungen von Vertretern der Sicherheitsorgane mit Gewalt auf jegliche Proteste zu reagieren und organisierte Bassidschi-Banden, die Häuser überfallen und alles kurz und klein schlagen, sorgen dafür, dass 3 von 4 Iranern, die gerne protestieren würden, lieber zu Hause bleiben.

Trotz all dieser Fährnisse wagen sich immer wieder Menschen auf die Straße oder zeigen auf andere Weise ihren Unmut gegen das Regime. Meistens sind es Studenten, die seit zehn Jahren immer wieder gegen das Regime protestieren und schon vor den Wahlen 2009 von einem nötigen Politikwechsel und von Veränderungen sprachen, was Moussavi und Karroubi in ihren Wahlversprechen auch aufgegriffen hatten. Studenten sind eine treibende Kraft hin zu Säkularismus, Selbstbestimmung, Freiheit und Demokratie. Sie zeigen sich auch immer wieder solidarisch mit Bürgern und Gruppen, die ihrer Rechte beraubt werden.

Der Wechsel muss aus dem Land selbst kommen

Die Reaktionen im Ausland auf die Vorgänge im Iran fallen unterschiedlich aus. Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Iran-Ausschusses im Europäischen Parlament plädierte in einer Plenardebatte vom 19. Januar 2010 in Straßburg für eine differenzierte Politik gegenüber Iran. „Wir können von außen nur begrenzt aktiv werden. Entscheidende Veränderungen müssen aus dem Land selbst kommen. Wir müssen allerdings die Kommunikationskanäle nach außen offenhalten. Dabei ist es auf das Schärfste zu kritisieren, dass ausländische Firmen wie Siemens und Nokia mit ihrer Technologie dazu beitragen, die Zensur zu ermöglichen und zu verbessern.“  Die Forderung, dass der Wechsel aus dem Land kommen muss, wiederholte sie noch einmal in einem Interview mit der in Aserbaidschan erscheinenden Zeitung Trend. Gleichzeitig verlangt sie von der europäischen Gemeinschaft mehr Bewusstsein für die Situation der Bürger und die schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran neben der Fokussierung auf die Nuklearforschungen des Regimes.

Diverse Iranische Exilgruppen führen in allen großen Städten Deutschlands und in vielen anderen europäischen Städten Aktionen, Demonstrationen und Konferenzen durch. Sie klopfen an Türen von Politikern auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Viele von ihnen erfahren Unterstützung der deutschen Zivilgesellschaft aber auch viel Unverständnis und sogar Ablehnung.

Einige Organisationen wie United4Iran, Moje Sabz, die trauernden Mütter (Madarane Irani) und das Internationale Komitee für die Rechte von Studenten und Derwischen im Iran sind sehr aktiv und zeigen Präsenz auf den Straßen und im Internet. Was diese Gruppen vereint, ist der Wunsch nach Freiheit im Iran, nach Trennung zwischen Religion und Politik, nach Demokratie und nach Wahrung der Grundrechte jedem Bürger gegenüber. Jedem ist klar, dass die Veränderungen im Iran aus dem Land selbst kommen müssen und die einzige Unterstützung des Westens für die Bürger im Iran darin bestehen kann, der Pluralität im Iran in westlichen Medien eine Stimme zu geben und über die Verhältnisse dort regelmäßig zu berichten.

Menschenrechtsaktivisten wie Shirin Ebadi und Shadi Sadr, die aus dem Iran geflohen sind, melden sich immer wieder mal zu Wort und zeigen der westlichen Öffentlichkeit das hässliche Gesicht der fundamentalistischen Ideologie im Iran an konkreten Fällen von Menschenrechtsverletzungen. Sie finden Gehör, weil sie internationale Anerkennung genießen, weniger Gehör finden natürlich Fälle von Familien, die über keine Kontakte in den Westen verfügen.

Zur Erinnerung an die Ereignisse im Iran vor den Wahlen und nach den Wahlen 2009 hat der in Deutschland lebende Regisseur Ali Samadi Ahadi (u.a. bekannt durch Salami Aleikum) eine 52 minütige Fassung seines Dokumentarfilms „Iran elections 2009“ in einer Preview im Museum Ludwig in Köln und auf Arte präsentiert. Im Spätherbst wird die 90 minütige Version in die Kinos kommen und auf Festivals gezeigt werden. Der Regisseur hofft durch den Film mehr Menschen für Menschenrechte auf der ganzen Welt und natürlich besonders im Iran zu interessieren.

Man möchte meinen, dass so viel Engagement nicht ohne Auswirkungen bleiben wird. Noch sitzen die Fundamentalisten im Iran im Sattel, aber ihre immer härter geführten Auseinandersetzungen sind ein Zeichen für den Abschwung dieses Systems.

Die Angst vor dem Chaos in der Region

Was europäische Medien und Politiker zögerlich in Bezug auf die Islamische Republik Iran sein lässt, ist eine berechtigte Angst vor noch größerem Chaos in der Region. Manche haben verstanden, dass eine Art Militärputsch stattgefunden hat und manche verstehen sehr wohl welche Ideologie im Iran die Macht in ihren Händen konzentriert. Man versteht sogar, dass im Iran eine sehr hohe Dynamik in den Entscheidungen und Handlungen des Regimes herrscht. Trotzdem sorgt man sich um die Zeit, wenn das Regime plötzlich gestürzt wird. Iran wird als balkanähnliches Pulverfass betrachtet, dass leicht in bürgerkriegsähnliche Zustände verfallen kann, wenn die zentralen Strukturen von Armee und Pasdaran und anderen Einrichtungen aufgelöst werden. Das lässt die Hauptmedien in Europa eher zögerlich berichten und die Politiker sehr vorsichtige Statements abgeben. Man sieht keine Alternative.

Die umtriebigen Volksmudschahedin, die gerne den Eindruck erwecken, dass sie die einzige Alternative zu dem Regime darstellen, werden von wenigen Europaparlamentariern unterstützt, lösen aber bei vielen anderen Politikern Abwehrreflexe aus. Im letzten Verfassungsschutzbericht der Bundesrepublik heißt es: „Der Nationale Widerstandsrat Iran setzt alles daran, sich als einzige demokratische Alternative für den aus seiner Sicht wünschenswerten Regimewechsel in Iran zu präsentieren. Dabei nutzt der NWRI die Äußerungen des iranischen Präsidenten zu Israel und zur Atomfrage sowie die in Iran wieder vermehrt öffentlich vollzogenen Hinrichtungen und Körperstrafen, um bei öffentlichen Kundgebungen positive Resonanz zu erzielen. Die Protestwelle von auch in Europa lebenden Iranern gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads zum iranischen Präsidenten hat gezeigt, dass der NWRI, anders als von ihm beansprucht, keineswegs die Meinungsführerschaft in der iranischen Oppositionsbewegung hat.“

Der Verfassungsschutzbericht beschäftigt sich aber auch mit den Geheimdienstlichen Tätigkeiten der Islamischen Republik in Deutschland und hebt neben der iranischen Botschaft vor allem die Imam-Ali Moschee in Hamburg hervor. Es ist also bekannt, dass mit Hilfe solcher Moscheen Teile der Bevölkerung in Deutschland konvertiert wird, um dann schließlich die Konvertiten für politische Ziele der IRI zu gewinnen. Das gleiche Konzept praktiziert das Regime in den USA und in anderen Ländern Europas. In Kopenhagen laufen verschiedene Gruppierungen, darunter sogar muslimische Gruppen Sturm gegen den Bau einer solchen Moschee, weil diese die Intention dahinter kennen. Die Befürworter der Moschee führen die offene Gesellschaft ins Feld. Leider nutzen die Vertreter des Regimes im Iran genau diese offenen Türen unserer demokratischen Gesellschaft aus, um ihre Ziele zu erreichen.

Ein Weg zur Freiheit

Im Iran selbst rufen Oppositionspolitiker wie Mehdi Karoubi und zahlreiche Studenten schon lange nach einem grundsätzlichen Referendum unter internationaler Beobachtung über die von den Iranern gewünschte Staatsform.Für ein solches Referendum setzt sich auch das international aktive Komitee für die Rechte von Studenten und Derwischen im Iran ein. Das Komitee versucht Kräften im Iran, die diese friedliche Lösung vorschlagen, eine Stimme im Westen zu verleihen. Mitglieder des Komitees gehen auf die Straße und führen Aktionen in Zusammenarbeit mit Amnesty International durch. Sie sprechen mit Politikern aller Parteien und informieren über Hintergründe.

Die Unterstützung erfolgt aus der Überzeugung, dass sich im Iran in einem solchen Referendum eine große Mehrheit für eine Trennung zwischen Religion und Politik, für Freiheit und Solidarität aussprechen wird.

Es ist ein Rennen gegen die Zeit. Wie bei einem Tsunami. Wer ihn rechtzeitig sieht, kann handeln. Der Zwist innerhalb der Machtelite zeigt, dass der Apfel von Innen fault. Wenn er herabfällt bevor die „Zeit danach“ gut vorbereitet ist, kommen die Menschen im Iran von einem scheußlichen Regen in eine blutige Traufe. Es gilt die Menschen im Iran ernst zu nehmen und sie zu unterstützen ihre seit langer Zeit ersehnte Selbstbestimmung und Freiheit zu erreichen.

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