(hpd) In der Schriftenreihe der „Soziologischen Diskurse“ der Universität Hannover legt Dawud Gholamasad hier eine soziologische Studie vor, die sich mit der Situation des Iran seit der sogenannten „islamischen Revolution“ befasst. Das Buch ist nicht leicht zu lesen und doch ein Gewinn.
Ich habe dem Begriff „islamische Revolution“ bewusst das Wort „sogenannt“ vorangestellt. Denn nach meiner Sicht ist eine Revolution immer etwas Vorwärtsgerichtetes. Die „islamische Revolution“ des Ajatollah Chomeini war dies jedoch in keinem Falle.
In genau diesem Sinne argumentiert der Autor auch. Er gab der vorliegenden Arbeit den Untertitel „Von der Liebe zum Toten zur Liebe zum Leben“. Gholamasad beschreibt die Lebensauffassung, die im klerikalen System in Iran vorherrscht, als lebensfeindlich, pessimistisch geprägt und den Tod verherrlichend. Dem gegenüber steht das, was vorrangig die Jugend des Landes im letzten Jahr auf die Straße brachte: ein lautes „Ja“ zum Leben.
Diesem Wandel von einer erstarrten, toten (nekrophilen) Gesellschaft in eine quicklebendige (biophile) spürt Gholamasad in seinem Buch nach. Ganz im Sinne Erich Fromms zeigt er auf, welche tatsächlich revolutionäre Phase im Jahr 1979 dazu führte, dass das Regime des Schahs abgelöst wurde und durch ein anderes, sich schnell als ebenso unterdrückerisches erweisendes, ersetzt wurde.
Ich meine, dass dieser extreme Wandel der verlorenen Hoffnungen und des kurz darauf beginnenden Krieges mit dem Irak die Bevölkerung regelrecht in eine Schockstarre versetze, von der sie sich jetzt erst langsam erholt. Und nun dagegen aufbegehrt.
Dawud Gholamasad gelingt – meiner Meinung nach – auf der soziologischen und psychologischen Ebene das Denken und Fühlen einer ganzen Generation nachvollziehbar zu machen. Unter der Maßgabe, dass der Iran die weltweit jüngste Bevölkerung hat – das Durchschnittsalter liegt bei 30 Jahren – und zudem eine gut ausgebildete, erklärt sich, dass diese junge Gesellschaft gegen die alten Maßgaben und Machthaber revoltieren muss. Es ist unmöglich – und es wird immer unmöglicher – dass einige wenige, der Macht und der Religion Verhafteten, über das intime Leben der großen Mehrheit der Bevölkerung bestimmen.
Im Vergleich mit den sehr aktuellen Ereignissen in Tunesien zeigt sich, dass Wandel und Wechsel manchmal sehr schnell gehen können. Dieser gesellschaftliche Wandel ist in Iran so (noch) nicht erfolgt. Die Bewegung nach den Wahlen zeigt aber, dass das Potential dafür vorhanden ist.
Der Autor versucht, eine historische Erklärung dafür zu finden, weshalb die „grüne Bewegung“ noch nicht erreichen konnte, wofür sie steht. „Deswegen strebt die … ‚grüne Bewegung‘ mit der Demokratisierung Irans und der Etablierung der Menschenrechte die einzige innen- und außenpolitische Lösung des Problems an, d.h. Die Überwindung der nekrophilen Tendenzen der ‚Islamischen Republik‘.“(Seite 90) Dabei bleibt er jedoch optimistisch, wenn er zum Beispiel darüber schreibt, dass die öffentlichen Hinrichtungen als Zeichen der De-Zivilisierung der Macht zu werten sind und das Entstehens der vielen Menschenrechtsorganisationen in Iran als Gegenbewegung dazu. Er setzt das in größere Massstäbe, wenn er schreibt, dass die gewaltlosen Protestaktionen der Bevölkerung gegen die Menschenrechtsverletzungen auch als Potential begriffen werden kann, „eine weitgehende Humanisierung des Nahem und Mittleren Ostens auszulösen“ (Seite 77).
Das kleine Buch ist meiner Meinung nach eines der Wichtigsten, die zum Verständnis beitragen können, was in den letzten eineinhalb Jahren in Iran geschah. Auch wenn es nicht einfach zu lesen ist – es sei denn, man ist Soziologe – es ist ein großer Gewinn.
Nachsatz: Üblicherweise markiere ich mir in Büchern immer die Stellen, auf die ich innerhalb der Rezensionen hinweisen möchte. Das ist bei diesem Buch so gut wie unmöglich. Es sei denn, ich würde ein gutes Drittel des Buches als Zitat hier anbringen.
Nic
Irans neuer Umbruch (Von der Liebe zum Toten zur Liebe zum Leben), ecce-Verlag 2010, ISBN 978-3-9813978-0-2, 9,90 Euro