Invasion der Killer Sounds – Neuer Soul Jazz Sampler

Invasion der Killer Sounds – Neuer Soul Jazz Sampler

Das Londoner Label Soul Jazz leistet mit seiner Compilation Invasion of the Mysteron Killer Sounds musikalische Allgemeinbildung. Von Stuart Baker und Kevin Martin aka The Bug zusammengestellt, deckt das Album die ganze Bandbreite der kreativen Verbindungslinien zwischen Jamaika und England ab, deren Resultat mit Dancehall Dubstep, Grime bis heute beliebte Soundtracks urbaner Lebensführung darstellen.

Anders ausgedrückt: Es ist Musik, zu der sich am lässigsten tanzen lässt, ohne eine verkiffte Coolness aufzugeben, während die straff gezogene Hoodie-Kapuze die eigene Umwelt abschirmen kann. Das Label unterfüttert die Musik mit einem Comic des Italieners Paolo Parisi und einer dazugehörigen Geschichte, die so unrealistisch gar nicht ist: Außerirdische Sound Lord Abductors versuchen die letzten, auf der Erde verbliebenen, menschlichen Seelen zu erobern. Anscheinend sind die anderen schon längst Opfer irrationalen Medienkonsumzwangs geworden oder allgemeiner Gleichgültigkeit verfallen. Gut, dass längst die Digital Defenders der zweiten Generation angetroffen sind, um uns mit den Waffen des Dub zu verteidigen.

Dass Kingston, Jamaika, der einzige, dafür infrage kommende Austagungsort ist, sollte klar sein. Denn dort hat sich vor 40 Jahren mit Reggae und Dub einer der einflussreichsten Genres der Musikgeschichte entwickelt, und das sowohl auf kreativer, musikalischer als auch und vor allem auf technischer Ebene. Wenn King Tubby Anfang der  1970er-Jahre nicht das Badezimmer neben seinem Studio mit Mikrofonen ausgestattet hätte, um klirrende Echos aufzunehmen, wären wir wohl nie in den bewusstseinserweiternden Genuss von raumerweiternden Klängen gekommen, die unser Hörempfinden zu akustischen Epiphanien perfektionieren.

Invasion der Killer Sounds – Neuer Soul Jazz Sampler

Paolo Parisi

Neben analogen Dub-Leuten wie King Tubby liegt der Fokus vor allem auf dem, in den 80er Jahren durch Künstler wie King Jammy entstandenen Digital Dancehall, bei dem sich die Produktion von Musik von den großen Studios emanzipierte. Selbst in den rauen Ghettos wurde so das Musizieren erschwinglich und nahm der Musik endlich die physische Aura weg, die außer Walter Benjamin sowieso keinen mehr interessierte. Die Digitalisierung ermöglichte stetige Weiterentwicklungen und mündet schließlich in den überdrehten oder apokalyptischen Tracks des Amerikaners Diplo oder den Briten Harmonic 313 oder The Bug, die allesamt den ursprünglich jamaikanischen Sound an ihre westliche Umgebung anpassten und für neue Einflüssen öffneten, sodass beispielsweise der Weg für Dubstep  geebnet werden konnte.

Die lange Reise dorthin wird dabei am besten akustisch deutlich. Klassische Reggae-Skanks für Puristen stehen  neben cluborientierten Tracks und lassen sich wohl genauso auf den Londoner High-Tech-Anlagen eines Fabric-Clubs spielen wie auf den überdimensionalen Soundsystemen in Kingston, wo die endlosen Echo-Schleifen mit den verschwommenen Hitze-Reflektionen des Asphalts kommunizieren.

Der Track von King Tubby bekommt im Verlauf etwas geisterhaftes, wenn die Stimme eines Sängers ganz plötzlich und kurz auftaucht. Es wirkt so, als ob es die Seele eines längst verstorbenen Sängers mithilfe eines mysteriösen Sound Abductors geschafft hätte, sich auf dem Stück zu verewigen. Viel weniger aufregend, aber umso lustiger, klingt der Beitrag von Kickin` Productions, die wohl einen depressiven Super Mario engagiert haben, um ein melancholisches 8-Bit-Stück zu komponieren.

Die Unterschiedlichkeit der Tracks wird von einigen, grundlegenden Prinzipien zusammengehalten, die den jamaikanischen Dub und Dancehall bis heute als die einzig adäquate Waffe gegen schlechte Musik prädestinieren:  Minimalismus, Leere, akustische Zurücknahme, eine allumfassende weniger ist mehr-Ästhetik und die magische Kraft des Basses. Und da wären wir wieder. Vielleicht lag der Autor Murray Schafer gar nicht so falsch mit der These, dass Musik immer auch die akustische Landschaft unserer „natürlichen“ Umwelt spiegelt. Und so wird der gestresste und unbefriedigte Körper in unserer reizüberfluteten Zivilisation zur Reflektionsfläche für basslastige Schallwellen. Denn nur so ist der Mensch in der Lage, sich noch annähernd mit seiner lauten, hellen und hyperschnellen Umwelt zu identifizieren.

Text: Phire

Various Artists & Soul Jazz Records Present: Invasion Of The Killer Mysteron Sounds In 3-D (Dancehall Digital Dub) compiled by Kevin Martin & Stuart Baker

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