Schon vor geraumer Zeit ist mir der Autor Jason Reynolds aufgefallen. Vor allem durch diverse US-Booktuber, die seine Bücher mit Lobeshymnen überschütteten, wurde ich angefixt. Im September las ich dann mit seiner jüngsten Neuerscheinung GHOST, mein erstes Buch. Und wie es ein sehr glücklicher Zufall so wollte, bekam ich nur kurze Zeit später eine Anfrage vom deutschen Verlag (DTV). Jason Reynolds würde in Köln sein und man könne noch ein Treffen organisieren. Gesagt, getan. An einem Donnerstagnachmittag machte ich mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Mir begegnete ein äußerst lässiger, entspannter und auch sehr müder Jason Reynolds.
Sandy: Hi Jason, es ist toll, dass du bei deinem vollgepackten Terminkalender noch ein bisschen Zeit für mich gefunden hast! Wie geht es dir und wie war die Woche für dich in Deutschland?
Jason: Es ist schön, dich kennenzulernen und mit dir ein bisschen plaudern zu dürfen. Tatsächlich bist du mein allerletzter Termin, bevor ich wieder in den Flieger Richtung Amerika steige. Vielleicht sieht man es mir auch ein bisschen an, dass ich nun entsprechend kaputt bin. Du musst also alles geben, um mich wachzuhalten. Nein, das war ein Scherz!!
Die Woche war einfach fantastisch. Das ist meine Zeit in Deutschland immer. Ich habe wirklich fantastische Leser hier und liebe das Land sehr. Ihr seid immer warmherzig und neugierig.
Sandy: Du hast ja auch an einigen Schulen gelesen und vor Publikum im ausverkauften Frankfurter Literaturhaus. Wie war die Reaktion im Allgemeinen?
Jason: Oh ja, das war der Wahnsinn! Und es war richtig voll, was mich so gefreut hat. Die Lehrer waren sehr freundlich und wollten, dass ich wirklich auch in die Tiefe bei den Lesungen gehe. Die Schüler zeigten sich offen dafür, sich näher über die komplizierten Themen in meinen Büchern auszutauschen. Die Kids waren einfach unglaublich und haben mich tief beeindruckt. Alle, die in den Lesungen saßen, kennen meine Bücher und waren sehr konzentriert bei der Sache. Viele bestanden sogar darauf mit mir Englisch zu sprechen. Sie scheuten sich nicht davor tiefer zu bohren. Das ist für mich überwältigend. Denn ich schreibe in meinen Büchern auch über meine Freunde, deren Leben und was wir so erleben/erlebt haben. Eine überwältigende Erfahrung, die beweist, was für Möglichkeiten einem geboten werden, wenn man sich nur öffnet.
Sandy: Guter Stichpunkt. Lass uns über deine Bücher sprechen, inbesondere GHOST. Es ist der Auftakt der Lauf-Serie. Ich habe es erst kürzlich gelesen und sehr geliebt. Wie kam die Idee zustande ausgerechnet von jungen Menschen in einer Laufmannschaft zu schreiben?
Jason: Tatsächlich hatte mein Verleger die Idee über ein Team junger Sportler zu schreiben, allerdings wollte er in Richtung Basketball oder US-Football gehen. Ich mochte den Gedanken nicht unbedingt, denn damit wird sich wieder dem Klischee bedient, dass Schwarze sich nur für diese zwei Sportarten interessieren. Dem ist aber nicht so. Daher schlug ich den Laufsport vor. Vielleicht reizte es mich auch, weil ich selbst gelaufen bin, als ich jünger war. Man kann das Laufen im Hinblick auf die Buchreihe auch metaphorisch deuten. Nicht nur um von etwas davon zu rennen, sondern um auf etwas zuzulaufen, ein Ziel zu haben und sich zu öffnen. Beim Laufen muss man auch nicht viel an Geld für Ausrüstung investieren. Der finanzielle Status ist unwichtig. Das sieht man bei Ghost, der mit seinen abgewetzten Straßenschuhen und in Jeans losprescht.
Sandy: Man kann so viele verschiedene Lektionen aus dem Buch ziehen. Was war deine für Ghost?
Jason: Ghost kommt aus einer zerrütteten Familie. Er ist mit seiner Mutter allein. Sein Vater ist im Gefängnis, was ihm natürlich zusetzt. Sein Familienbild hat einen tiefen Riss bekommen. Jeder entscheidet selbst, wer für ihn Familie ist. Wo man sich Zuhause fühlt, ist nicht abhängig von Blutsverwandtschaft. Ghost hat in der Mannschaft eine Art Familie und Geschwister gefunden. Menschen, die ihm einheizen und auch auffangen. Ein Coach, der zur Vaterfigur wird. Ich bin in einer Nachbarschaft aufgewachsen, wo man einander unter die Arme greift und auf den anderen acht gibt. Es geht in einer Mannschaft darum, den Teamgeist zu pflegen und sich gleichzeitig bewusst zu werden, wo man hin möchte als individuelle Person.
Sandy: Gerne möchte ich mehr über Familie mit dir sprechen. Neben GHOST habe ich auch gerade ALS ICH DER GRÖSSTE WAR gelesen. In beiden Geschichten haben die Hauptfiguren starke Mütter, die durchgreifen. Ist das Zufall, oder entscheidest du das bewusst?
Jason: Nein, das ist kein Zufall. Ich habe eine sehr starke Mutter. Sie ist absolut fantastisch und ich bewundere sie sehr. In allen meinen Büchern, haben die Figuren starke Mütter. Ich kenne es nicht anders und es ist meine Art, allen Müttern/Frauen Tribut zu zollen.
Sandy: In deiner Heimat ist die Lauf-Serie ein großer Erfolg und in kürze abgeschlossen. Bei uns in Deutschland werden wir nach Ghost im zweiten Buch auf Patina, sowie in Band drei und vier jeweils auf Sunny und Lu treffen. Welche der Figuren hat dich beim Schreiben am meisten gefordert?
Jason: Hm, vermutlich Sunny. Seine Figur ist sehr schweigsam. Er redet mit niemanden. Also musste ich beim Schreiben natürlich umdisponieren und in seinen Kopf eintauchen. Seine Geschichte liest sich daher wie ein Tagebuch. Man hört seinen Gedanken zu. Es ist kompliziert mit Menschen zu kommunizieren, wenn du dich weigerst zu sprechen. Sunny schreibt also anstelle dessen jeden Tag in sein Tagebuch, über seinen Vater. Er setzt sich damit ganz allein auseinander, was hart ist. Das als Autor glaubhaft zu meistern, ist nicht so einfach. Daher bin ich wohl am meisten auf dieses Buch der Serie stolz. Ich wurde als Autor von Sunny herausgefordert. Man wird sich in ihn verlieben. Er ist so charmant und süß, etwas seltsam, verspielt und witzig. Kinder sollten Kinder sein dürfen. Und er ist das definitiv noch.
Sandy: Patina ist das einzige Mädchen in der Laufmannschaft. Die Hauptfiguren in deinen Büchern sind sonst Jungs/junge Männer. Fiel es dir schwer, dich auf Patina einzulassen?
Jason: Nein, überhaupt nicht. Die Frage kommt immer wieder auf, was ich witzig finde. Mädchen sind in all meinen Büchern irgendwo präsent [z. B. Jazz aus ALS ICH DER GRÖSSTE WAR]. Und ich bin mit vielen wundervollen Frauen und Mädchen (Mutter, Tanten, Cousinen) aufgewachsen. Jungs und Mädchen sind nicht so unterschiedlich, wie alle immer sagen. Ihre Gedanken und Gefühle gleichen sich sehr, nur leben sie diese anders aus. In Patinas Geschichte sind Frauen durch ihre Mutter, Stiefmutter, die Schwester und Freundinnen sehr präsent. Es hat mir großen Spaß gemacht über sie zu schreiben.
Sandy: Du hast, wenn man sich das mal so anschaut, schon jede Menge veröffentlicht seit deinem Debüt vor über vier Jahren. Dahinter steckt sicher Disziplin und natürlich viel Leidenschaft. Brauchst du einen geregelten Schreibauflauf?
Jason: Ganz sicher, ja. Ich schreibe jeden Tag. Während andere ins Büro fahren, setze ich mich auch an meinen Arbeitsplatz. Für mich ist das genauso ein Job, verstehst du?! Wenn ich nicht auf reisen bin, arbeite ich von früh morgens bis in den späten Nachmittag. Und sofern ich danach nicht total ausgelaugt bin, gehe ich noch ins Kino.
Sandy: Aber nicht jeden Tag?
Jason: So oft wie möglich, also eigentlich schon. Filme anzuschauen gibt mir die Gelegenheit, mich entspannt weiterzubilden. Es ist wie eine Art Gehirnjogging. Während ich also im Kino sitze und mich dem Film hingebe, setzt mein Gehirn sich zwar auf den Standby-Modus, triggert aber irgendwie auch weiter Ideen. Das ist inspirierend und entspannend.
Sandy: Vor kurzem habe ich mir LONG WAY DOWN zugelegt und auch schon einen Blick hinein geworfen. Ich war etwas schockiert, denn die gesamte Erzählung ist nur in Verse geschrieben. Damit sticht das Buch sicher heraus. Warum hast du dich dafür entschieden, die Hauptfigur Will in Verse sprechen zu lassen?
Jason: Die gesamte Geschichte spielt sich innerhalb von sechzig Sekunden ab. Es sind sechzig Sekunden in Wills Leben. 85.000 Wörter aussagekräftig auf sechzig Sekunden zu pointieren, ist unmöglich. Wenn du dir mehrere Tage oder Wochen Zeit für das Buch nimmst, zieht sich die Handlung. Sie manifestiert sich anders. Die wahre Message ginge dabei im schlimmsten Fall verloren. Wenn du hingegen nach einer Stunde das Buch beendet hast, wird dir die ganze Tragweite der Emotionen und Geschehnisse um Will sehr viel mehr bewusster sein. Die Versform gibt der Handlung also die nötige Dringlichkeit.
Sandy: Hast du das vorab selbst getestet, wie glaubwürdig eine ’normale‘ Schreibform versus Verse sein würden?
Jason: Ja, hab ich. Tatsächlich existierte die Geschichte zunächst in reiner Fließtextform. Es war mein Agent, der mir sagte, er könne sich nicht in die Handlung und Figur hineinversetzen. Es wäre zu ausufernd umschrieben. Also, kam ich auf Poesie/Verse und begann nochmal von vorn. Es wurden von mir Wörter immer wieder hin und her geschoben, auf andere Seiten platziert, gestrichen. Ich probierte solange rum, bis ich das Gefühl dafür hatte, wie ich den Leser am besten verunsichern bzw. manipulieren kann. Die Beklemmung und Angst sollen spürbar sein. Alfred Hitchcock hat das getan, sobald er die Kamera in die Hand genommen hat. So hatte er den Zuschauer in unangenehme Situationen versetzt. Mit Wörter auf Papier kann man das auch vermitteln, je nach dem wie man mit ihnen jongliert.
Sandy: Also möchtest du absichtlich, dass der Leser sich beim Lesen unwohl fühlt.
Jason: Genau! Will offenbart sich auf sehr schmerzhafte Art und daher ist es nur natürlich, dass ich dem Leser ein ungemütliches Gefühl vermitteln muss. Ich möchte, dass der Leser buchstäblich das Gefühl hat, mit Will in diesem Fahrstuhl zu stehen.
Sandy: Wow! Mich würde ja sehr interessieren, ob sich dem Buch ein Übersetzer annimmt…
Jason: Tatsächlich wird LONG WAY DOWN derzeit übersetzt. Die Buchveröffentlichung ist für Herbst 2019 geplant. Es ist keine leichte Arbeit, sich der Übersetzung anzunehmen. So viel ist sicher.
Sandy: Begonnen hast du ja vor vielen Jahren mit Gedichten und du bist ein großer Musikfan. Bist du jemals in Berührung mit Poetry Slam gekommen?
Jason: Als ich ein Teenager war, habe ich ‚geslamed‘. Dadurch habe ich viel über meine eigene Sprache und wie man richtig betont gelernt. Ich bin aber kein Performer, weshalb ich bald damit aufhörte. Eine Performance ist vergänglich. Sobald du runter von der Bühne gehst, sind die Wörter im Raum verschwunden. Der Moment ist vorüber. Wörter auf Papier sind jedoch langlebig. Sie bleiben ewig in Erinnerung.
Sandy: Du hast NICHTS IST OKAY (OT: „All American Boys“) mit Brandon Kiely geschrieben. Wie war es mit ihm zu arbeiten?
Jason: Brandon und ich stehen uns sehr nahe. Wir kennen uns schon so lange und lieben es lange Gespräche zu führen. Wir saßen also zusammen, redeten und schrieben in der Gegenwart des Anderen. Nach sechs Wochen war das Buch fertig…
Sandy: Ihr habt das Buch in SECHS Wochen geschrieben? Das ist aber schnell.
Jason: Ja, du schreibst ja nur die Hälfte der Geschichte. *lacht“ Und es war sehr einfach mit ihm zu arbeiten. Brandon ist wie ein Bruder für mich, einer meiner besten Freunde. Wir reden jeden Tag. Ich würde jederzeit gerne nochmal mit ihm schreiben. Er ist ein so talentierter Autor.
Sandy: Unser Gespräch möchte ich gerne mit einer letzten Frage beenden. Was ist dein persönlicher Buchtipp?
Jason: VOR DEM STURM von Jesmyn Ward (OT: „Salvage the Bones“). Ihr zweites Buch ist auch klasse, aber ihr Debüt ist ein Meisterwerk.
Vielen Dank für das schöne Gespräch, Jason!
Der Autor…
Jason Reynolds studierte Literaturwissenschaften und Kreatives Schreiben an der University of Maryland. Jason Reynolds lebt in Washington, D.C. In den USA gehört er mit seiner authentischen Stimme zu den neuen Stars der Jugendbuchszene. Mit COOLE NUMMER: ALS ICH DER GRÖSSTE WAR feierte er im Jahr 2014 einen beachtlichen Debüterfolg in seiner Heimat. Auch seine nachfolgenden Bücher wurden von der Presse hochgelobt und mehrfach ausgezeichnet.
Doch es war GHOST, der Auftakt der vierteiligen Track-Serie/Lauf-Serie, welches ihn in die Riege der New York Times Beststellerautor katapultierte. Mit LONG WAY DOWN, einem Roman in Versen verfasst, kehrte Reynolds im Jahr 2017 zur Poesie zurück. Für dieses Werk erhielt er abermals bedeutende Preise sowie große Beachtung von den Print- und TV-Medien. Im Herbst 2019 wird LONG WAY DOWN übersetzt beim DTV Verlag erscheinen.
Bücher von Jason Reynolds…
- COOLE NUMMER: ALS ICH DER GRÖSSTE WAR
- LOVE oder meine schönsten Beerdigungen
- NICHTS IST OKAY!
- GHOST – Jede Menge Leben
- PATINA – Was ich liebe und was ich hasse (EVT: 30.11.2018)
- SUNNY (EVT: Frühjahr 2019)
- LU (EVT: Frühjar 2019)
- A LONG WAY DOWN (EVT: Herbst 2019)
Von mir gelesen und rezensiert….
GHOST und COOLE NUMMER: ALS ICH DER GRÖSSTE WAR
Das Gewinnspiel…
Durch die freundliche Unterstützung des DTV Verlags, ist es mir möglich ein signiertes (!) Exemplar von GHOST – JEDE MENGE LEBEN zu verlosen. Um in den Lostopf für dieses tolle Buch zu landen, müsst ihr mir nur eine kleine eine Frage beantworten:
Welches Buch machte Jason Reynolds zum NY Times Bestsellerautor?
Tipp: Die Antwort findet ihr in diesem Beitrag.
Die Teilnahme erfolgt ausschließlich über Mail – an nightingales-blog[at]web.de mit Betreff „GHOST“. Bitte beantworte die Frage NICHT im Kommentarbereich!
Teilnahmebedingungen & Datenschutzhinweis(e)
Das Gewinnspiel läuft vom 17.10. bis 21.10.2018 (um 23:59 Uhr). Die Auslosung findet per Losverfahren statt.
Zur Teilnahme berechtigt sind Personen mit Wohnsitz in Deutschland mit einem Mindestalter von 14 Jahren. Mehrfachteilnahmen werden nicht akzeptiert und unverzüglich gelöscht.
Der Gewinner erhält von mir eine Mail. Im Gewinnfall benötige ich bei Minderjährigen die Erlaubnis eines Erziehungsberechtigten zur Übermittlung der Versandadresse. Die Daten werden nach erfolgtem Versand gelöscht.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Für Verlust oder Beschädigung auf dem Postweg wird keine Haftung übernommen. Eine Barauszahlung des Gewinnes ist nicht möglich.
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