Rae Grimm ist Head of GamePro.de und Jury-Mitglied beim Deutschen Computerspielpreis 2020. Im Interview berichtet Sie von ihrem beruflichen Werdegang, ihren Aufgaben im Arbeitsalltag und ihrer persönlichen Sicht auf die Gamebranche.
Rae, seit 2016 bist du Head of GamePro.de, Deutschlands größte Website rund um Konsolen-Gaming. Wie kam es zu deinem Einstieg in die Games-Branche?Das ist eher durch Zufall passiert. Während des Studiums habe ich mir eine Wii gekauft und bei der Online-Recherche nach den passenden Spielen dafür, bin ich über eine Stellenausschreibung für einen Gaming-Blog gestolpert. Da ich schon immer gerne geschrieben habe, habe ich mich spontan beworben - und wurde genommen. Es war ein bisschen wie Augen öffnen für mich. Ich hatte schon immer Interesse am Journalismus und habe gern geschrieben, hatte aber nicht das Gefühl, dass die Arbeit bei einer Tageszeitung für mich passen würde. Online-Journalismus fühlte sich viel natürlicher für mich an, gerade in Kombination mit einem meiner liebsten Hobbys. Danach habe ich aktiv nach Möglichkeiten gesucht, hauptberuflich im Videospieljournalismus arbeiten zu können und habe relativ schnell eine Stelle gefunden. Das waren die ersten Schritte auf dem Weg zu GamePro.
Was schätzt du an der Games-Branche besonders und was nervt dich?Ich mag es, wie kreativ und wandlungsfähig die Gaming-Branche ist. Wie viele Digital- und Kreativbereiche passt sie sich schnell an neue Gegebenheiten an und probiert immer neue Dinge aus. Alles ist gefühlt ständig im Wandel, gerade weil Videospielentwicklung zugänglicher ist als je zuvor und sich immer weiter öffnet. Es wird viel experimentiert und so entstehen immer neue, völlig unterschiedliche Erfahrungen. Das ist fantastisch!
Was mich hingegen nervt ist, dass sie teilweise noch immer Anflüge eines „Boys Club" hat. Zwar ist es in den letzten Jahren schon besser geworden und mehr und mehr Frauen und nonbinäre Personen werden Teil der Branche, trotzdem sterben manche alte Angewohnheiten und Denkweisen doch etwas langsamer als es mir lieb ist. Und auch der Blick von außen, dass Spiele nur etwas für „Jungs" sind, hält sich teilweise noch vehement, obwohl es genug Statistiken gibt, die zeigen, dass quasi jeder spielt. Diese und andere Vorurteile nerven mich sehr.
Wie hat sich deine Arbeit in den vergangenen vier Jahren inhaltlich verändert?Mittlerweile schreibe ich selbst nur noch relativ selten Artikel. Vor ein paar Jahren war ich allem voran Redakteurin und habe Artikel geschrieben und Spiele getestet. Heute passiert das nur noch in Ausnahmefällen. Meine Aufgaben sind mittlerweile vor allem organisatorischer und strategischer Natur. Das heißt, dass ich vor allem hinter den Kulissen zugange bin und dort überlege, wie wir GamePro.de und ihre Redaktion weiterentwickeln können, wo Chancen und Potenziale sind und natürlich, wo unser Platz in der Gaming-Welt ist. Kommunikation, Ausbildung, Analyse und Strategie-Entwicklung stehen mittlerweile im Mittelpunkt meiner Aufgaben. Für das Schreiben bleibt da nicht mehr so viel Zeit.
Influencer - oder lieb ausgedrückt Content Creator - nehmen gefühlt einen immer größeren Stellenwert ein und erzielen große Reichweiten. Ist der klassische Spielejournalismus in Gefahr?Gefahr ist glaube ich das falsche Wort. Content Creators und Spielejournalisten - wenn wir sie ganz hart voneinander trennen wollen - erfüllen unterschiedliche Bedürfnisse. Während der Fokus von Influencern hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) auf Unterhaltung liegt, liegt unser Hauptfokus im Spielejournalismus vor allem (aber eben auch nicht ausschließlich) auf Berichterstattung, Analyse und Informationsweitergabe.
Ich glaube, dass die Grenzen mittlerweile allerdings fließender sind als früher noch. Das heißt, dass viele Journalisten dank dedizierter und erfolgreicher Twitch- und YouTube-Channels durchaus auch als Content Creators gesehen werden können, während die Videos einiger Influencer so analytisch sind, dass man sie locker als journalistische Arbeit einordnen kann. Ich sehe diese Entwicklungen weniger als Gefahr für den klassischen Videospieljournalismus, sondern eher als eine natürliche Evolution. Unsere Branche war schon immer sehr wandlungsfähig und hat schnell auf neue Gegebenheiten und technische Möglichkeiten reagiert. Diese Entwicklung ist nur ein Teil davon. Die Bedürfnisse unserer Leser ändern sich, Videospiele selbst entwickeln sich immer weiter - warum sollten wir dann stagnieren und uns nicht auch entwickeln?
Klassischer Spielejournalismus hat sich weiterentwickelt, genau wie klassischer Journalismus. Das wäre mit oder ohne Content Creators passiert. Sie bieten lediglich eine weitere, spannende Facette in dieser Evolution. Als Gefahr würde ich das aber nicht bezeichnen.
Sucht ihr aktuell neue Kolleginnen und Kollegen an euren Firmensitzen in Berlin und München? Welche Qualifikationen müsste ich mitbringen, um im Spielejournalismus durchzustarten?Aktuell suchen wir keine neuen Kollegen, allerdings öffnen sich immer mal wieder Stellen. Da wir auch ausbilden, suchen wir regelmäßig nach Volontären und Trainees an beiden Standorten. Wir arbeiten quasi immer mit und an der nächsten Generation von Videospieljournalisten. Viele der Leute, die heute in meinem Team oder anderen Redaktionen im Haus sind, habe ich als Praktikanten oder Volontäre ausgebildet. Sollte es neue Stellen geben, ploppen sie immer zuerst auf unserer Karriereseite auf oder als Artikel auf unserer Homepage.
Unsere Branche und auch unsere Redaktion besteht vor allem aus Quereinsteigern mit völlig unterschiedlichen Expertisen. Allein bei GamePro.de arbeiten Leute, die alles studiert haben von Philosophie über Germanistik bis hin zu Fotodesign und das allseits beliebte „irgendwas mit Medien". Ich würde ein Studium nicht zwangsläufig als Grundvoraussetzung nehmen, aber es kann helfen. Wichtig sind für mich vor allem Freude am Schreiben, solide Rechtschreibung, ein Gespür für spannende Geschichten und natürlich eine Leidenschaft für Spiele und nicht enden wollende Neugierde. Stressresistent, anpassungs- und teamfähig sollte man auch unbedingt sein, aber das gilt ja mittlerweile für fast alles.
Welchen Stellenwert hat das Thema „Diversity" bei Webedia? Und wo steht die Games-Branche hier im Vergleich zu anderen zweigen der Digital- und Kreativwirtschaft? Was würdest du dir an Veränderungen wünschen?Diversity hat einen sehr hohen Stellenwert bei Webedia, daher haben wir letztes Jahr auf all unseren Webseiten ein Diversity Statement veröffentlicht, um darauf hinzuweisen und unser Umfeld weiter dafür zu sensibilisieren.
Sowohl der Fokus auf Vielfalt als auch auf Gleichberechtigung sind fortlaufende Prozesse, in unserer Branchen als auch in der allgemeinen Digital- und Kreativwirtschaft. Ich denke, dass sich die Gaming-Branche da nicht hinter anderen digitalen Zweigen verstecken muss, wenn es um den Fortschritt in diesem Bereich geht. Trotzdem geht es natürlich nicht immer so schnell voran, wie wir es vielleicht gerne hätten. In der Zeit, die ich mittlerweile im Gaming arbeite, hat sich sehr viel getan und wir blicken heute auf eine Branche, die vor zehn Jahren noch ganz anders aussah. Mittlerweile arbeiten zum Beispiel mehr Frauen im Gaming als „damals". Trotzdem würde ich mir wünschen, dass die Zahl noch weiter steigt und mehr junge Frauen und genderqueere Personen ihren Weg in die Gaming-Branche finden, um noch mehr unterschiedliche Perspektiven zu bieten.
In diesem Jahr bist du Mitglied der Jury beim Deutschen Computerspielpreis. Auch wenn du zu deiner inhaltlichen Jury-Arbeit zur Verschwiegenheit verpflichtet bist - was reizt dich an dieser Aufgabe?Ich war schon öfter in Jurys wie dem gamescom Award, The Game Awards und der „Best of E3"-Jury. Am DCP finde ich vor allem den Fokus auf Deutschland als Entwicklungsstandort spannend, weil es einen anderen, lokaleren Fokus bietet als die TGA oder E3. Es ist spannend zu sehen, wie sich die Spieleentwicklung in Deutschland entwickelt und welche Art von Spielen hier entstehen - gerade im Bereich des Nachwuchspreises. Es ist eine schöne Abwechslung zu anderen Awards, bei denen der Fokus hauptsächlich auf großen internationalen Blockbustern liegt. Außerdem ist es immer sehr spannend, sich mit Kollegen aus komplett anderen Bereichen auszutauschen und zu diskutieren. So eröffnen sich manchmal völlig neue Perspektiven und ein reger Austausch.
Vielen Dank, Rea, dass Du Dir die Zeit für das Interview genommen hast.