“Auf fünf Minuten getaktet haben wir den Tag noch nicht.”
Zwei Männer mit Biker-Kopftuch und Dreitagebart springen ekstatisch durchs Bild und schreien sich die Seele aus dem Leib. Begleitet werden sie von einer dissonanten Krawallmucke.
„HI EVERYBODY!
WIR HABEN FÜR EUCH EINEN GANZ NEUEN HEISSEN TREND UND DER KOMMT AUS:
JU ÄS EY!”
Extrem Rasiering, Extrem Tätowiering, Extrem Bud Spencer and Terence Hilling. Extrem schräg! Die Serie Far Out, die den Extremsportarten-Hype der 90er auf die Schippe nahm, gehörte für mich zum Besten, was RTL Samstag Nacht zu bieten hatte. Bei den beiden Männern handelte es sich um Mirco Nontschew alias Pain und Tommy Krappweis alias Splatter. Auch wenn Letzterer in der Regel viel einstecken musste, tat das seinem Arbeitseifer – sorry, Extrem Moloching – keinen Abbruch. Im Gegenteil: Er stand bei RTL Samstag Nacht vor und hinter der Kamera, war als Autor für die Pro Sieben Märchenstunde tätig, produzierte zahlreiche Serien fürs Fernsehen, schrieb diverse Bücher, macht Lesungen, außerdem spielt und singt er in der Band Harpo Speaks. Vor allem aber ist er Erfinder von Bernd das Brot, wofür er 2004 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Tommy Krappweis ist buchstäblich das, was man ein Allroundtalent nennt.
Test eins zwo, eins zwo!
Einen Tag nach seinem Geburtstag treffe ich ihn in seiner Produktionsfirma bumm film in München. Trotz seines engen Zeitplans nimmt er sich die Zeit, mich herumzuführen. Er demonstriert mir die sagenumwobene Kastenkopf-Presse, mit deren Hilfe es den Bernd-das-Brot-Autoren leichter gemacht werden soll, sich in Bernd hinein zu fühlen, zeigt mir eine illegale, osteuropäische Bernd-das-Brot-Sponge-Bob Symbiose und verweist auf den Geräuscheschrank für die Vertonung von Filmen. Leider bin ich zu Beginn etwas schüchtern, wie es eben meine Art ist, und traue mich nicht zu fragen, wozu dieses Holzgedöns oben rechts taugt. (Nein, die Bildunschärfe hängt nicht mit der Aufregung zusammen, ich habe einfach nur schlechte Augen.)
Gut, dass mir Tommy von sich aus den Schneesack vorführt. Er quetscht ihn zusammen und tatsächlich klingt dieser so, als würde jemand durch den Schnee laufen. Es ist offensichtlich, dass Tommy diese Besichtigung nicht zum ersten Mal macht. Die bumm film erstreckt sich über zwei Etagen inklusive Tonstudio. Zahlreiche Büros mit Computern, wo fleißig geschnitten, vertont, geschrieben, produziert und gezaubert wird. Und zahlreiche junge Männer mit dunklen Klamotten und schicken Brillen. Unwillkürlich fühle ich mich in meine Werbeagenturzeit zurückversetzt, als ich wir uns die Nächte um die Ohren gehauen und uns auf Agenturkosten die Pizzen reingezogen haben, aber das ist eine andere Geschichte. Die Atmosphäre bei der bumm film gefällt mir.
Dann geht‘s ans Eingemachte. Nein, ich möchte nichts trinken, danke schön. Sprudel oder Kaffee sind launenhafte Gesellen – gerade, wenn es darum geht zu sprechen oder still zu sitzen. Ein kurzer Check, dass das Aufnahmegerät funktioniert (klingt hochtrabender als es ist; es handelt sich um mein Handy) und wir legen los!
Hallo Tommy, du schreibst Bücher, machst Musik, erfindest das Brot neu, gehst auf Lesetouren, drehst Videos und jetzt auch einen Film zu deinem Buch „Mara und der der Feuerbringer“, trittst mit der Augsburger Puppenkiste auf … Als Außenstehender hat man den Eindruck, alles geschieht irgendwie gleichzeitig. Wie bekommst du das alles unter einen Hut?
Gleichzeitig. Mein Tag ist durchgetaktet, teilweise im 30-Minuten-Rhythmus. Um den Tagesplan kümmern sich zwei Leute. Zum einen ist da Sophia von der Agentur Leonard Bookings. Sie regelt und koordiniert alle Lesetermine und übernimmt auch alle anderen organisatorischen Dinge, wann ich wo zu sein habe. Zum anderen ist meine Kollegin Tuna von der bummfilm für die Gesamtorganisation rund um den Film zuständig. Sie hält alles zusammen. Die beiden gleichen sich permanent ab. Ich kann höchstens abends an meinen Büchern schreiben, wenn meine vierjährige Tochter schläft. Tagsüber ist das hier nicht möglich. Erst vor kurzem habe ich ein Buch fertig gemacht: „Vier Fäuste für ein blaues Auge“. Darin geht es um meine Erinnerungen in No Name City, der Westernstadt. Außerdem schreibe ich gemeinsam mit einem Co-Autor gerade an einer Neufassung der Sage von Rübezahl, die vermutlich verfilmt wird und über die wir eine Dokumentation drehen. Das mache ich aber nicht allein. Danach ist erst einmal Schluss mit Bücherschreiben. Sollte der Film „Mara und der Feuerbringer“ ein Erfolg werden, will ich eine weitere Mara-Trilogie schreiben, in der sie 18 Jahre alt ist. Das dauert aber noch einen Moment. Tatsächlich mache ich alles gleichzeitig. Das kann man so sagen.
Dein Tag läuft sehr diszipliniert ab?
Total.
Was ist mit Spontanität?
Spontan ist man dann, wenn etwas schiefgeht oder Dinge passieren, die man nicht planen kann. Ich muss dann auch mal fünf Minuten über etwas nachdenken können, Dinge checken und freigeben und so weiter. Auf fünf Minuten getaktet haben wir den Tag noch nicht. (lacht) In der Früh weiß ich nie genau, was ich zu tun habe. Das wissen Sophia und Tuna viel besser als ich. Dann klicke ich die Seite an: Dort stehen Dinge wie „Arbeitsantritt um so und so viel Uhr, erster Termin unten im Studio, um Audios für die Augsburger Puppenkiste aufzunehmen, weil am Montag gedreht wird. Danach Interview, dann Abnahme usw.“
Alles wirkt sehr professionell, dabei ist deine Außenwirkung sehr locker, spielerisch und authentisch, speziell bei Facebook. Da fragt man sich, wie du das auch noch dazwischen schieben kannst.
Durch Disziplin. Das mit Facebook hat viele, viele Vorteile. Ich habe mir angewöhnt, etwas zu posten, sobald es ein interessantes Ereignis gibt. Manchmal mehrmals pro Tag, manchmal nur alle zwei Tage. Auf meinem Profil poste ich allein, auf der Seite „Mara und der Feuerbringer“ habe ich Unterstützung. Natürlich erhalte ich auch Hilfe bei der Clip-Herstellung. Meine Aktivität bei Facebook beschränkt sich auf die Zeit, wenn ich mit der Trambahn hierher unterwegs bin oder gefahren werde, wenn ich also die Hände frei habe. Das ist in der Regel morgens oder abends. Trotzdem ist es so, dass die Arbeit in sich locker ist, außer natürlich, die Zeit wird knapp oder das Geld wird knapp oder beides. Aber im Großen und Ganzen herrscht hier eine lockere Atmosphäre.
Zu etwas ganz anderem. Wie ist es eigentlich so, mit dem Vater auf Lesetour zu gehen? Habt ihr euch ein Zimmer geteilt?
Nein! (lacht) Das haben wir nicht getan. Wir sind in ganz normalen Hotels abgestiegen. Er hat immer wieder seinen Campingbus angeboten, aber ich habe dankend abgelehnt.
„Kemma do ned mim Bus hi?… “
„Ja, aber nur wenn die Hölle zufriert und nicht mal dann!“
Wir waren in Hotels, die Sophia oder ich ausgesucht hatten. Ich wollte ihm beweisen, dass es dort schön sein kann. Wir haben natürlich geschaut, dass es sich mit dem, was wir bei den Lesungen einnehmen, einigermaßen die Waage hält. Was nicht immer geklappt hat. Aber Hauptsache, ich konnte meinem Vater beweisen: Hotels sind schön! Wenn es dort etwas Gutes zu essen gab, bekam ich das auch hin. Es war super! Ich werde nicht müde, es bei den Lesungen zu betonen, aber es war das erste Mal, dass wir gemeinsam etwas unternommen haben, das uns gleich viel Spaß gemacht hat. Es war früher nicht immer so. Jeder hat vor sich hingelebt und versucht, den jeweils anderen davon zu überzeugen, dass dies und jenes eine gute Idee ist. Erst durch dieses Buch haben wir zueinander gefunden.
Nächste Woche mehr …
Tommy ist ein Glücksfall für jeden Interviewer, denn er hat viel zu erzählen. Aus diesem Grund und weil ich über Bildmaterial verfüge, das ich euch nicht vorenthalten möchte, teile ich das rund 30-minütige Interview in drei wöchentlich erscheinende Beiträge auf. Nächste Woche erfahrt ihr, was Tommy mit seiner Romanfigur Mara verbindet, wie ein normaler Drehtag aussieht und was man vom Balrog aus Herr der Ringe 1 lernen kann. Außerdem zeige ich euch digitale Szenebilder vom Set. Also bleibt dran!
Hier geht’s zu Tommy und hier zur bumm film
Zum 2. Teil des Interviews geht’s hier lang!