Prof. Dr. Michael Braungart, vielen bekannt aus seiner Arbeit als Umweltschemiker für Greenpeace, ist Gründer und Leiter des EPEA Instituts für Umweltforschung in Hamburg. Gemeinsam mit dem amerikanischen Architekten William McDonough hat er das Cradle to Cradle®-Konzept entwickelt, das – wie die Natur – keinen Abfall, keinen Verzicht und keine Einschränkungen kennt. Über biologische und technische Nährstoffkreisläufe werden die richtigen Materialien zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort eingesetzt. Die Produktionsweise „Von der Wiege zur Wiege“ (Cradle to Cradle®) steht hierbei im direkten Gegensatz zu dem Modell „Von der Wiege zur Bahre“ (Cradle to Grave), in dem Materialströme häufig ohne Rücksicht auf Ressourcenerhaltung errichtet werden. Produkte, die unter der Mithilfe von Braungarts Team entstehen, sind z.B. essbare Sitzbezüge oder Eisverpackungen, die bei Zimmertemperatur schmilzen und beim Wegwerfen Blumensamen verteilen.
Wer von Müll spricht, spricht von Verpackungen. Herr Braungart, was fasziniert Sie an dem Thema?
Verpackung ist oft gleichzeitig das Intelligenteste und auch das Dümmste was Menschen machen. Intelligent deshalb, weil Verpackungen ungeheuer optimiert sind. Wenn Sie zum Beispiel eine Getränkeverpackung ansehen ist das die intelligenteste Anwendung des Materials. Dumm deshalb weil man immer aus einer PET-Flasche ein Textil machen kann aber eben nicht umgekehrt. Wenn man die falschen Dinge optimiert, sind sie gründlich falsch. Verpackungen hätten die Chance, beispielgebend für viele andere Produkte zu sein. Bei den Verpackungen findet man aber z.B. Farbstoffe, die selbst in China seit 7 Jahren verboten sind und es gibt immer noch 2% PVC-Verpackungen, die das Recycling mit Halogen-organischen Verbindungen kontaminieren. Im Grunde geht es um umfassende Qualtität: Ein Produkt, das die Menschen krank macht, hat ein ganz massives Qualitätsproblem.
Ist nicht die Tatsache, dass wir getrennt Müll sammeln, als positiv zu bewerten?
Der Grüne Punkt ist jetzt gerade 20 Jahre alt geworden. Ich bin mir sicher, dass der grüne Punkt viele Ehen in Deutschland gerettet hat. Ich kenne soviele Paare, die sich seit Jahrzehnten in der Küche anschweigen. Wenn man jetzt sagen muss: „Schatz, soll ich den Joghurtbecher ausspülen und das Aluminium abtrennen, bevor ich ihn in die gelbe Tonne packe?“ dann hat man plötzlich wieder was zu sagen! Darum ist der soziale und kulturelle Effekt ungeheuer.
Welche anderen Effekte gibt es?
Es ist in 20 Jahren nicht gelungen, Bleichromat und PVC wegzukriegen und es ist nicht gelungen, Recyclingfraktionen mit Qualität zu versehen. Das wir uns das von den USA vormachen lassen müssen, wie man Post-Consumer-Materialien recyclet, dass sie Lebensmittel-Zulassung haben, währen wir hier die Pizzas mit Druckchemikalien vergiften zeigt, dass wir wirklich in der technischen Entwicklung ganz vieles verschlafen haben. Trotzdem ist da sehr viel Know-How entstanden. Wir haben auch gelernt, wie man Produkte trennen kann, wie man sie kennzeichnet. Es ist ganz viel Innovation entstanden und es wird jetzt Zeit, das umzusetzen, sonst verursacht es nur Kosten.
Verrottbare Verpackungen scheinen die Lösung für viele Probleme zu sein…
Ich halte das, so wie es jetzt ist, für eine Sackgasse. Weil wenn ich einen Hektar Mais anbaue, verliere ich durch den Anbau ca. 5000mal mehr Boden, als neu gebildet wird. Erstaunlicherweise ist der Bodenverlust in die Stoff-Bilanzen nie eingerechnet. Wir bauen den Boden ab, um Bio-Verpackungen zu machen: Das ist doch absurd. Es gibt durchaus Anwendungen, wo biologisch abbaubare Verpackungen sinnvoll sind, weil sie das richtige Material an der richtigen Stelle sind, z.B. Dinge, die verschleißen, die in ihrer Anwendung kaputtgehen, die direkt mit Lebensmitteln zusammenkommen, oder die nach aussen in biologische Systeme getragen werden. Zum Beispiel Sonnenschutzmittel am Strand. Hier wäre das biologisch abbaubare auch ein zentraler Aspekt der Verpackung. Viel eleganter wäre es aber Polymere über nachwachsende Rohstoffe zu erzeugen, z.B über Algen zu produzieren, die sind über 200 mal produktiver als Mais und konkurrieren nicht mit landwirtschaftlichen Flächen.
Ist Umweltschutz eine moralische Pflicht der Unternehmen?
Wir haben früher die Umweltprobleme immer als ethisches Thema falsch verstanden. Aber die Ethik ist immer dann weg, wenn man sie wirklich brauchen würde. Wenn wir unter Druck sind, dann können wir uns nicht ethisch-moralisch verhalten, zumindest 95% der Leute. Wenn wir die Umwelt zum ethischen Thema machen ist es immer genau dann gerade weg, wenn wir es eigentlich brauchen würden. Unter Schönwetter-Bedingungen können wir alle ethisch sein – wollen wir ja auch.
Wie können wir die Dinge dann angehen?
Ich brauche keine Ethik mehr – ein bisschen Selbstachtung und ein umfassendes Qualitätsbewusstsein reicht, und man kann völlig andere Produkte machen. Ich bin gegen jede holzschnittartige Vorstellung von Gut und Böse. Es geht nicht darum, Natur gegen Mensch oder Öko gegen etwas anderes auszuspielen, sondern darum, einen Fussabdruck zu schaffen, der anderen Lebewesen nutzt. Dann gibt es viele Arten, Leuten dabei zu helfen, gut zu sein. Es gibt keinen Standard dafür, sondern nur Vielfalt. Das Know-How ist eigentlich da: Wir wissen inzwischen was giftig, was schlecht, was schädlich ist, wir wissen, wie wir Kreisläufe schliessen können – und jetzt kommt es nur darauf an, es auch wirklich zu machen.
Weiterführende Links:
> Film über Cradle to Cradle®: www.lilligreen.de
(Das Interview führte: Birgit S. Bauer, Autorin und Herausgeberin der Diskurs-Plattform designkritik,
die sich für die Vermittlung von Designtheorie und -kritik stark macht. www.designkritik.dk)