Clemens Traub brachte vor wenigen Wochen seine Streitschrift „Future for Fridays?" heraus. Seine These: Die Bewegung treibt die soziale Spaltung unserer Gesellschaft aktiv voran und riskiert einen Bürgerkrieg - hier die gebildeten Klima-Eliten, dort die tumben Umweltzerstörer. Doch seit der Corona-Krise sind die täglichen Nachrichten um Greta Thunberg und ihre Mitstreiter völlig aus den Nachrichten verschwunden. Wir fragten nach, ob die Corona-Krise die „Fridays-for-Future"- Bewegung auf dem Gewissen hat.
- Wie und wo haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?
Die letzten Wochen habe ich vor allem mit meinen Mitbewohnern und meiner Freundin in unserer gemütlichen Studierenden-WG in Mainz erlebt. Ursprünglich freute ich mich auf anstehende Buchlesungen, die Leipziger Buchmesse und ein interessantes Sommersemester, stattdessen erwarten mich gesichtslose Arbeitspakete und mühsame Online-Seminare.
- Sie haben die Streitschrift „Future for Fridays?" geschrieben, in der Sie die Fridays-for-Future-Bewegung kritisieren. Nun hört man aktuell nicht mehr viel über den Klimawandel und die Bewegung. Hat die Corona-Krise die Fridays-for-Future-Bewegung auf dem Gewissen?
Schon eigenartig: Obwohl ich nur zwei Kilometer von der Uni entfernt lebe, fühlt es sich mittlerweile an wie ein Fernstudium. Für unternehmungslustige und lebensfrohe Studierende ist es selbstverständlich keine prickelnde Zeit, aber Gesundheit hat in diesen Wochen natürlich obersten Stellenwert.
Ja, definitiv! Ich meine, wer hätte vor drei Monaten schon gedacht, dass „Fridays for Future" innerhalb kürzester Zeit aus den großen Nachrichtensendungen und Zeitungen verschwindet?
Wer an der Universität, im Freundeskreis oder sogar im Sportverein mitreden wollte, musste eine klare Meinung zu „Fridays for Future" haben. An Greta Thunberg und der lautstarken Klimabewegung ging damals einfach nichts vorbei.
Die Corona-Krise mag „Fridays for Future" auf dem Gewissen haben, doch der wichtige Kampf gegen den Klimawandel ist dadurch natürlich noch längst nicht gelöst. In persönlichen Krisenzeiten rücken Klimathemen für viele Menschen erst einmal in den Hintergrund. Doch genau das kann eine Chance für die Bewegung werden: Die Klimabewegung braucht nämlich dringend einen Sinneswandel!
- Sie schildern, dass Sie schnell merkten, dass in Ihrer dörflich geprägten Heimat die Fridays-for-Future-Bewegung nicht so das große, allumfassende Thema war. Wie haben Sie das mit Corona wahrgenommen?
Um auch ein Sprachrohr für „normale Leute" werden zu können, muss „Fridays for Future" ihre vergifteten Schuldvorwürfe endlich einstellen und darf nicht länger elitär sein. Nur dann wird die Klimabewegung zurückkommen, da bin ich mir sicher.
Auf der einen Seite bin ich umgeben von einem großstädtischen, akademischen Umfeld in meiner Universitätsstadt, auf der anderen Seite komme ich ursprünglich aus einem kleinen abgelegenen pfälzischen Dorf. Dadurch bin ich bestens vertraut mit zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Als „Insider" zweier unterschiedlicher Welten erlebe ich seit Jahren leider auch hautnah die Spaltung unserer Gesellschaft mit. Nicht nur in der großen Klimadiskussion des letzten Jahres wurde ich davon Zeuge, sondern auch in der derzeitigen Corona-Krise.
- Erkennen Sie Parallelen in der Diskussion über die Lockerungen in der Corona-Krise zu der Fridays-for-Future-Bewegung? Welche wären das?
Wohingegen „Fridays for Future" ein Randthema war, ist Corona zurzeit auch in meinem Dorf das Thema schlechthin. Denn natürlich sind auch meine Bekannten dort in ihrem Alltag direkt betroffen. Restaurants mussten geschlossen, auf den Sportverein musste verzichtet werden, doch das Schlimmste: Nachbarn konnten nicht mehr zu ihrer Arbeit gehen. Was mir dabei aufgefallen ist: In meinem Heimatdorf denken die Menschen, im Vergleich zu meinem Bekanntenkreis aus der Großstadt, deutlich verängstigter und wuterfüllter über Corona, vor allem aber über die getroffenen politischen Entscheidungen. Es herrscht eine große persönliche Verunsicherung, die schnell in Frustration und Zorn gegenüber der Politik und den vermeintlichen „Eliten" überschlagen kann. Das dürfen wir nicht ausblenden.
Oh ja, ich erkenne sehr viele Parallelen! Ich erlebte, wie die Berichterstattung und insbesondere die emotional vergiftete Diskussion über die Klimabewegung einen Keil zwischen unsere Gesellschaft trieb. In meinem Heimatdorf wurden die jungen Demonstranten nicht als mutige Helden und Retter gegen den Klimawandel gefeiert, sondern man betrachtete sie als „abgehobene und verzogene Großstädter". Was störte, war der erhobene Zeigefinger, mit dem die Bewegung auf alle vermeintlichen Klimasünder herunterschaute.
Seit der Corona-Krise erlebe ich, wie sich dieser gesellschaftliche Graben weiter verhärtet. Meine privilegierten Großstadtfreunde treffen die Kontaktsperren und Arbeitsverbote weniger schlimm wie den Bekanntenkreis in meiner Heimat. Für den Grafikdesigner oder Journalisten ist eben Home-Office angesagt. Ja, die kopfzerbrechende Langeweile ist nervig, mit einer gehörigen Portion Netflix und Online-Wein-Tastings lässt sich das aber schon überstehen. Während die Corona-Krise für meinen großstädtischen Bekanntenkreis fast so etwas wie ein spirituelles Echt-Zeit-Erlebnis ist, geht es in meiner Heimat bei vielen Menschen um das nackte Überleben. Menschen, die ohnehin schon das Gefühl hatten, weniger Anerkennung und Berücksichtigung seitens der Politik zu erfahren, fühlen sich nun noch mehr im Stich gelassen.
- Mal ganz ehrlich: Wie finden Sie es, nicht jeden Tag etwas von oder über Greta Thunberg in den Medien zu lesen?
Die Politik muss alles daransetzen, um diesen Eindruck zu verhindern.
- Sie schildern, dass Sie unter anderem die moralische Überheblichkeit der Fridays-for-Future-Bewegung stört. Nikolaus Blome schreibt in seiner SPIEGEL-Kolumne vom 11. Mai 2020, dass ihm „die tiefe, geradezu sakrale Inbrunst" der Bewegung nie geheuer war und fordert: „Fridays for Future muss auf die Couch." Was möchten Sie der Bewegung jetzt sagen - und ihr somit als Therapeut helfen?
Ich muss zugeben, anfangs reagierte ich mit einer gewissen Genugtuung darauf. Mit Sicherheit war ich mit diesem Gedanken nicht alleine: Endlich gibt es wieder Nachrichtensendungen ohne die schwedische Weltenretterin. Doch jetzt in Zynismus zu verfallen, bringt uns sicher keinen Schritt weiter. Denn bei aller berechtigten Kritik gegen Greta Thunberg und „Fridays for Future", unser Planet muss eben doch gerettet werden! Gerade meine Generation wird wie keine andere Generation zuvor erleben, welche verheerenden Folgen der Klimawandel mit sich bringt. Millionen Klimaflüchtlinge in aller Welt werden in den nächsten Jahrzehnten zur Normalität, da sind sich Wissenschaftler sicher. Da viele Menschen „FfF" längst den Rücken gekehrt haben, ist kluge Kritik an „Fridays for Future" deshalb jedoch dringend notwendig im Kampf gegen den Klimawandel!
- Sie fordern, dass „Fridays for Future" mehr Diversität in ihren Reihen benötigt. Könnte man das auch von der Medienberichterstattung fordern? Zuerst wurde fast mono-thematisch über Klima gesprochen, nun über Corona. Wie sehen Sie das?
Je lauter und radikaler, desto besser - dieses Credo vieler „FfF"-Demonstrierender muss der Vergangenheit angehören. Die Klimabewegung hat viel zu oft vermeintliche „Klimasünder" an den Pranger gestellt und sich in vergifteten Schuldvorwürfen verloren. Die Suche nach klugen Lösungen ging im Sturm der Empörung unter. Doch genau das ist es, was die Klimabewegung jetzt dringend benötigt. Unter die „normalen" Leute gehen und dort in Rathäusern und Sporthallen eine gemeinsame politische Zukunftsvision entwickeln. Austausch und Lösungen, statt Apokalypse und Hysterie. Seit Corona mehr denn je! Nur so kann das Thema aus der elitären Blase heraustreten. Erst dann bekommt eine konsequente Klimapolitik auch wirklich Rückhalt aus der breiten Gesellschaft. Die wichtigste Voraussetzung, um unsere Erde doch noch retten zu können.
Kritischer Journalismus ging in der Masse der Greta-Thunberg-Huldigungen unter. Aber ganz ehrlich: Sind die privaten Meinungen in den Hamburger und Berliner Redaktionsbüros wirklich ein Spiegel dessen, was man in der Pfalz oder der Uckermark denkt? Hypes enthalten immer die Gefahr, dass sie in einer Blase produziert werden. Ein Vorwurf, den sich Journalisten in der Berichterstattung über „FfF" gefallen lassen mussten.
Bei Corona verhält es sich zurzeit ähnlich: Nicht das mediale Thema an sich betrachte ich als kritisch, sondern die oftmals alltagsfremde und gelegentlich abgehobene Art der Berichterstattung. Journalisten leben meist in einem privilegierten, urbanen Umfeld. Über Existenzgefährdung oder Arbeitslosigkeit lesen sie eher aus der Ferne. Von ihrem aufgewühlten besten Freund werden sie dies in einem Skype-Gespräch wohl kaum erfahren. Artikel, wie beispielsweise „Corona-Virus: Chance zum Innehalten" des NDR, sind ein typischer Ausdruck dieser medialen Lebensfremdheit. Menschen, die von schlaflosen Nächten geplagt sind, da sie um ihre eigene Existenz fürchten, werden wohl kaum Verständnis für ein solches Elfenbeinturm-Denken aufbringen. Wir sitzen zurzeit auf einem Fass voller sozialem Sprengstoff, daher ist es auch die Verantwortung der Medien, eine weitere Spaltung der Gesellschaft mit einer einfühlsamen und lebensnahen Berichterstattung abzumildern.