In China ist die Zensur des Internets allgegenwärtig, hat das Handelsblatt kürzlich herausgefunden. Ob es daran liegt, dass die Bilanz der deutschen Internetzensur bislang noch keine Zeile Platz im Qualitätsmagazin des Gabor Steingart gefunden hat, ist unklar.
Sicher ist nur: Auch nach einer Woche hat aus dem Bericht der US-Organisation Freedomhouse zum Stand der Internet-Freiheit in 37 Ländern noch keine deutsche Zeitung, kein Magazin oder Fernsehsender die kritischen Passagen zitiert. Stattdessen belässt es die seit jeher staatsgläubige Frankfurter Rundschau bei einer fröhlichen Kartengrafik mit dem aufmunternden Gesamturteil "Free" für Deutschland (oben). Die Taz prangert routiniert an, in "China liest der Blockwart mit" und die regierungsamtliche Nachrichtenagentur dpa fand heraus, dass "undemokratische Regime mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen in Zensur und andere Kontrollen investierten".
Kein Wort über Deutschland, obwohl das Land, sonst nicht eben die Heimat von Internet-Innovationen, diesmal ganz vorn dabei ist. Im weltweiten Ranking der Länder, die Ergebnisse der Suchmaschine Google am häufigsten sperren und blocken ließen, liegt Deutschland hinter Brasilien, das mehr als zweimal so viel Einwohner hat, auf einem herausragenden zweiten Platz.
Imponierende 188 mal forderten Behörden der Bundesrepublik im Erhebungszeitraum zwischen Juli und Dezember 2009 die nachträgliche Zensur von Suchergebnissen. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet liegt Deutschland sogar weltweit auf dem Spitzenplatz - nirgendwo werden Google-Suchergebnis mehr gelöscht, gesperrt, bereinigt und gefiltert als hierzulande. Deutschland ist damit Chilling-Effects-Weltmeister.
Und das ganz ohne offizielle Websperren für Kinderpornografie und noch vor dem Verbot aller Glücksspielseiten.
Diese Zahlen, von Google selbst veröffentlicht, zeigten, dass deutsche Behörden die Möglichkeit extensiv nutzten, heißt es im Internet-Freiheitsbericht. Das nächste europäische Land in der Liste, Großbritannien, forderte nur 59 Zensureingriffe an, nicht einmal ein Drittel so viele wie Deutschland.
In 12 der 37 untersuchten Länder seien die Video-Plattform YouTube, das Online-Netzwerk Facebook und der Kurznachrichtendienst Twitter oder ähnliche Angebote zeitweise oder dauerhaft gesperrt worden, berichtet die Frankfurter Rundschau. Länder wie Brasilien, Indien, Indonesien, Südkorea oder der Türkei untergrüben die Internet-Freiheit, schreibt der Südkurier. Und "Rußland wird zum Netz-Sorgenkind", analysiert der "Spiegel" wortgleich mit dpa.
In Deutschland dagegen wird das Netz nicht zensiert. Oder jedenfalls wird doch nicht darüber berichtet. Nirgendwo. Und dazu brauchte es nicht einmal einen Zensor!