Intensität

Des Menschen Motors sechster Tomus.

Was soll bloß diese ganze uferlose Verwirrtheitsreise? Warum kann ich mich nicht einfach mal suchen anstatt mich immer wieder aufs Neue zu erfinden? Ich vergesse Woche für Woche, wer ich eigentlich bin und verliere meinen einst so couragiert gewesenen Willen in einem Sturm aus hysterisch lachenden Fratzen, rot gedimmten Lichtern und einem Meer aus verklebten Glassplittern, dessen Existenz in endlosen Rauchwolken verglüht.

Das ist meine Art von SelbstinszenierungWo finde ich noch ein kleines Licht an Schönheit zwischen dieser Masse an Geschmacklosigkeit? Wann habe ich mal wieder die Möglichkeit eine unerwartet angenehme Art von Intensität zu fühlen? In seinem ganzen Leben lernt der Mensch sich niemals richtig kennen. Darum macht er eben immer dieselben Fehler. Die Nacht ist eine andere Welt als der Tag, verwildert von Hochstaplern und immer innovativer werdenden Schwindeleien. Ehe die Sonne untergeht, hält mich meine Gesellschaft für einen dieser Besserverdiener, ohne, dass ich ein Wort über mein Einkommen verlieren muss und ich bade mich in dieser meist wohltuenden Masse der Aufmerksamkeit. Das ist meine Art von Selbstinszenierung und zugleich eine ewige Flucht vor der Realität, während ich mich ganz unvorhergesehen, nur dank meiner stetigen Präsenz, in einen Mythos verwandle.

Jetzt stelle ich mir erstmals die ausschlaggebende Frage, ob diese Verwandlung mir irgendwelche Vorteile erübrigt. Da ich keine Moral, sondern nur ein Gewissen habe, antwortet mir dieses: Nein! Sobald die Sonne aufgeht, bin ich wieder Alexander Roth. Die Türen der grenzenlosen Euphorie verschließen sich und die Rederei beginnt, wobei ich mich gerne mehr auf den Tratsch danach als auf die eigentliche Festivität freue. Seit etwa einer Woche habe ich kein einziges Lebenszeichen von Lauren bekommen, wobei ich befürchte, dass das noch nicht mal ihr richtiger Name ist. Sicherlich gestehe ich mir nun, wenn auch ungewollt und nur sehr zaghaft, selbst ein, dass sie mitverantwortlich für meine Sonntagsmelancholie ist.

Zum Glück habe ich diesen Morgen eine geregelte Verdauung. Ich gehe auf die Toilette und scheiße das Rotweinrisotto von gestern abend den Abfluss hinunter. Die durch Antibiotika erzeugte Verstopfung scheint verschwunden zu sein. Voller Freude schneuze ich meine letzten Koksreste in ein verbrauchtes Taschentuch. Der Nasenschleim hat dem Kokain wohl eine Barriere gebildet. Deswegen war mein Rausch von heute morgen um vier wohl nicht so eingehend penetrant wie der von letzter Woche. Ich ziehe daraus den Vorteil, dass mir die Post-Koks-Depression erspart bleibt. Trotzdem wird mein Gehirn soeben von einem Gedankenbrei aus Traumsequenzen überrollt während ich nervös zitternd meine Hände zwischen den Knien zerdrücke.

Warum fällt es mir erst jetzt auf? Oder habe ich es mir bislang nur noch nicht eingestehen wollen? Wenn ich mich an ihr Gesicht erinnere, was ich kürzlich von der Halbseite angeschaut habe und sich ihr Kopf dabei ganz leicht zum Takt der Musik bewegt hat, taucht plötzlich ein passendes Wort in meinem Hirn auf. Sie ist wahnsinnig sexy. Vor allem durch eine kleine Strähne ihrer Haare, die dabei langsam vor ihrer Stirn tanzt, wirkt ihr Erscheinungsbild noch lasziver. Hierbei muss ich jedoch betonen, dass ich diesen Anblick nicht als direkt erotisch empfunden habe, sondern als entspannt sinnlich. Lauren ist wohl eine spontane Art von Sonntagsintensität für den Mülleimer meiner Fantasien, der keine langfristige Überlebenschance in meiner Gedankenwelt gewährt ist. Ich als Großstädter befülle meine Sammlung an Kontaktpersonen leider viel zu schnell mit neuen Individuen und sortiere wöchentlich Überflüssigkeiten aus. Mein verletzter Stolz wird sich im Lauf dieser Woche, höchstwahrscheinlich an einem Dienstag, von Lauren verabschieden.

Lale Nikki Eggers

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