Intelligenz-Evolution - Mit und ohne "genetic replacement"

Im Vorderen Orient und in Ostasien gab es viel genetische Kontinuität seit 10.000 Jahren, in Europa nicht - Wie sind diese Umstände mit der jeweiligen Intelligenz-Evolution in Einklang zu bringen?

Sehr spannende Hinweise und Überlegungen hat soeben der indisch-US-amerikanische Humangenetiker Razib Khan veröffentlicht (1). Und zwar zu Fragen, die uns schon seit allerhand Jahren umtreiben, insbesondere seit 2015. Denn wir überblicken seitdem die genetische Geschichte der Völker Europas und des Vorderen Orients eigentlich recht gut. Wie aber sieht es diesbezüglich aus mit der Geschichte Ostasiens?

Razib Khan sagt dazu, was uns selbst schon jüngst dumpf schwante, als wir uns mit den Vorfahren der Ultschen in Ostsibirien (den "Devil's Gate samples") beschäftigten (2, 3). Razib Khan sagt nämlich über diese (1):

Die modernen Chinesen weisen viel mehr genetische Ähnlichkeit mit den Menschen in Ostsibirien 5.700 v. Ztr. auf als heutige Westeuropäer genetische Ähnlichkeit aufweisen mit Menschen, die 5.700 v. Ztr. in Westeuropa lebten (oder als heutige Inder mit Menschen aufweisen, die in ähnlicher Zeitstellung in Indien lebten).

Original: Modern Chinese show much more affinity to the Devil's Gates samples from the northeastern border with Russia dated to 7,700 years ago than modern Western Europeans do with people present 7,700 years ago (or modern Indians would with people of a similar date).

Das würde heißen, daß es in Ostasien ähnliche genetische Kontinuität gibt zwischen den vorneolithischen und den heutigen Bevölkerungen wie sie seit 2015 auch für den Vorderen Orient festgestellt worden ist. Sowohl Ostasien wie der Vordere Orient haben früh komplexe, städtische Gesellschaften hervorgebracht, die - vermutlich - mit einem bestimmten jeweils angeborenen Intelligenz-Quotienten korreliert haben.

Dennoch weisen die Bevölkerungen im Vorderen Orient heute einen durchschnittlichen angeborenen Intelligenzquotienten zwischen 90 und 95 auf, in Ostasien aber einen solchen von 105. Und das ist ein sehr beträchtlicher Unterschied, der auch - wie ja zwischenzeitlich aufgezeigt wurde - mit dem Bruttosozialprodukt in den jeweiligen Regionen korreliert.

Wie ist der hohe ostasiatische Intelligenz-Quotient evolutiv entstanden?

Hier auf dem Blog waren wir bislang davon ausgegangen, daß der europäische IQ von etwa 100 erreicht worden sei über die durch die Ancient-DNA-Forschung seit 2015 festgestellte "Gruppenselektion", über den festgestellten genetischen Austausch ("genetic replacement"), über Volkstod, über den Abbruch genetischer und kultureller Kontinuität und neue Volkwerdungen (Ethnogenesen) im Verlauf der europäischen Geschichte der letzten 10.000 Jahre. Die Ancient-DNA-Forschung stellte nämlich seit 2015 fest: 1. den Volkstod der mesolithischen Völker Europas (der so für Ostasien nicht feststellbar ist), 2. den Volkstod der früh- und mittelneolithischen Völker Europas (auch dieser scheint in Ostasien nicht feststellbar zu sein). An die Stelle der vormaligen europäischen Völker traten schließlich ab dem Spätneolithikum, ab etwa 2.800 v. Ztr. über ganz Europa und zum Teil auch den Mittelmeer-Raum hinweg kulturell und genetisch die Indogermanen.

Vielleicht wird man bezüglich der Ostasiaten noch herausfinden daß - wie bei der Entstehung des Volkes der aschkenasischen Juden oder der Indogermanen - genetische Flaschenhals-Ereignisse eine Rolle gespielt haben, in denen viel Selektion stattfinden kann. Auf jeden Fall könnte das Beispiel Ostasien aufzeigen, daß eine Völkergruppe, eine Herkunftsgruppe (traditionell als "Rasse" bezeichnet) einen IQ von 105 evoluieren kann, auch ohne solche genannten beträchtlichen Gruppenselektions-Ereignisse, wie sie die europäische Geschichte aufweist.

Das dürfte man dann als ziemlich eindrucksvoll erachten. Und es wird deutlich, daß hier noch viele Fragen offen sind, die sich dadurch klären werden, daß man den "polygenic score" für angeborene Intelligenz in der Ancient-DNA-Forschung erheben wird für vorgeschichtliche Bevölkerungen. Vielleicht wird man auch feststellen, daß es diesbezüglich ein "Auf und Ab" im Vorderen Orient und in Europa gegeben hat? Es bleibt alles sehr spannend.

Frühe Erklärungsmodelle der Völkerpsychologie - Greifen sie?

Übrigens könnten die Unterschiede im Geschichtsverlauf Europas einerseits und Ostasiens und des Vorderen Orients andererseits auf Unterschiede hinweisen, die schon in den 1920er und 1930er Jahren von der Völkerpsychologie herausgearbeitet worden waren (4).

Dort war die Rede von zwei angeborenen Dichotomien in Bezug auf die Psychologie von Völkern und Kulturen. Es war einerseits die Rede von "wandelfrohen" Völkern im Gegensatz zu "beharrlichen" Völkern und Rassen (4, S. 85f). (Zu ersteren waren die indogermanischen Völker gezählt worden, zu letzteren die ostasiatischen Völker.) Außerdem war die Rede von einer zweiten, angeborenen, und zwar nun konkreter religiösen Dichotomie. Nämlich daß es Völker gäbe einerseits mit ausgeprägterem, angeborenen thymotischen Erleben (wie es Peter Sloterdijk nennen würde), also mit "Stolz-Erleben" (ursprünglich benannt: "Licht-Erbgut") und daß es Völker gäbe mit ausgeprägterem, angeborenem "Demut-Erleben" (ursprünglich benannt: "Schacht-Erbgut") (4, S. 86ff). Es dürfte diese Dichotomie grob entsprechen der heute von der Kulturvergleichenden Sozialforschung (Kulturpsychologie) ( Wiki) herausgearbeiteten Dichotomie der europäischen individualistischen und der asiatischen Konsens-Kulturen.

Von Seiten der Völkerpsychologie war dann davon gesprochen worden und es war begründet worden, daß Kulturen und Völker mit Stolz-Erbgut in ihrem Überleben, sprich bezüglich ihrer kulturellen und genetischen Kontinuität, weitaus stärker gefährdet seien als Völker mit Schacht-Erbgut. Es dürfte von Bedeutung sein, daß die damaligen Gedankengänge vor dem Hintergrund des neuen Wissens der Archäogenetik noch einmal erneut gründlicher gesichtet werden und zu den neueren Erkenntnissen in Bezug gesetzt werden.

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  1. Khan, Razib: The emergence of Han identity as autochthonous. 6. Mai 2019, https://www.gnxp.com/WordPress/2019/05/06/the-emergence-of-han-identity-as-autochthonous/
  2. Bading, Ingo: Ihr Völker Asiens, ihr Völker Europas - Euer Werden, Euer Überleben! Studium generale, 1. Mai 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/05/ihr-volker-asiens-ihr-volker-europas.html
  3. Bading, Ingo: 8.000 Jahre lange unverfälschte genetische Kontinuität eines Fischervolkes - In Ostsibirien. St.gen.II, 5. Februar 2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/02/8000-jahre-lange-genetische-kontinuitat.html
  4. Ludendorff, Mathilde: Die Volksseele und ihre Machtgestalter. Eine Philosophie der Geschichte. Ludendorffs Verlag, München 1933, 1936, https://archive.org/details/MathildeLudendorffDieVolksseeleUndIhreMachtgestalter

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