Ins Mittelalter zurückgeurteilt, oder: Gebt Gott, was Gottes ist

Seit 10 Jahren sind die Niederlande immer wieder für politisch-religiöse Schlagzeilen gut. Mit dem Urteil, das ein Gericht in Amsterdam letzte Woche fällte, kann man sich aber wie im mittelalterlichen Investiturstreit fühlen, und zumindest ich kann nur verwundert den Kopf schütteln.

Die Quellenlage ist äußerst dürftig, ich habe von dem Fall nur über die Presseschau in der berühmten täglichen Magazinsendung “Met het ook op morgen” erfahren. Offenbar wurde im letzten Jahr ein in den Niederlanden lebender orthodoxer Jude von der Polizei an einem Samstag angehalten, und man verlangte seinen Ausweis zu sehen. Der Bürger erklärte, er könne sich nicht ausweisen, weil es ihm am Sabbat verboten sei, außer Haus etwas bei sich zu tragen. Der Fall wurde nun vor Gericht entschieden, und dieses urteilte, dass die religiöse Verpflichtung schwerer wiege als das staatliche Recht, welches das Tragen eines Identitätsnachweises verlange. Im Klartext: Wenn die Religion es gebietet, kann man sich über staatliches Recht hinweg setzen.

Vermutlich wird dieses Grundsatzurteil starke Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben in den Niederlanden haben. Das in einigen Bereichen eingeführte Burka-Verbot wird wahrscheinlich in nächster Zeit Gegenstand intensiver gerichtlicher Verhandlungen sein, doch meiner Ansicht nach geht die Sprengkraft weit über diesen Fall hinaus: Beispielsweise wird über die Themen rituelle Schlachtung und Tierrechte, häusliche Gewalt und Frauenrechte, so wie Beschneidung von Frauen und körperliche Unversehrtheit neu nachgedacht werden müssen.

Überhaupt steht das Verhältnis von Staat und Kirche erneut zur Diskussion. Überall in Europa haben wir geglaubt, dass sich der Staat und das überparteiliche Recht des Gesetzes durchgesetzt haben. Der Streit über die weltliche Macht schien endgültig zu Gunsten des Staates entschieden worden zu sein. Und jetzt macht ein staatliches Gericht solch einen Rückzieher? Wie kann eine religiöse Verpflichtung höherrangiges Recht gegenüber staatlichen Gesetzen sein? Es handelt sich ja hier nicht um eine moralische Frage des Naturrechts, wo dies von verschiedenen Gruppen ja hin und wieder noch angenommen wird. Es geht um das Alltagsleben. Religiösen Verpflichtungen und Regeln wird der Vorrang vor staatlichen Gesetzen eingeräumt. Diese Gesetze sind es aber, die den Bürger vor Willkür des Staates schützen müssen, aber auch vor Einschränkungen ihrer Rechte durch dritte, zum Beispiel die Kirchen. Staatliche Gesetze müssen für alle gelten. Es darf für sie keine Ausnahmen geben, das widerspricht auch fundamental dem Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Wenn sich Anhänger einer Religionsgruppe bestimmten staatlichen Verpflichtungen entziehen können, werden nicht mehr alle Bürger gleich behandelt. Damit werden Humanisten und Atheisten sogar diskriminiert, weil ihnen eine solche Verweigerung nicht möglich ist.

Fatal finde ich aber, dass dieses Urteil dazu einlädt, dass fundamentalistische religiöse Gruppen die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte aushebeln können. Kernaussage der Gerichtsentscheidung ist ja, dass Staatsrecht zurückstehen muss, wo eine religiöse Verpflichtung gegen dieses Recht verstößt. Gemeint sind damit vermutlich Verwaltungsvorschriften und anderes niederrangiges Recht. Ich will nicht hoffen, dass ein niederländisches Gericht dies ausdrücklich auf die Menschen- und Grundrechte bezieht. Doch ist einer solchen Auslegung nach dem durch die Medien wiedergegebenen Tenor des Urteils Tür und Tor geöffnet. Zwar geht es hier um den Widerstreit zwischen zwei Verpflichtungen, und nicht zwischen religiöser Pflicht und Menschenrecht, aber dies ist rechtsbuchstäblich lediglich eine andere Rechtskategorie.

Geert Wilders wird an diesem Urteil seine Freude haben, nehme ich an. Ich hingegen frage mich, ob die Niederlande irgendwie die Aufklärung verschlafen haben.


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