Ingo Naujoks braucht Ecken und Kanten

Ingo Naujoks: (jubelnd) Endlich, ich freue mich tierisch auf zu Hause. Ich bin mit den Proben seit drei Monaten in München und habe meine Familie seitdem nicht mehr gesehen. Vor dem 24. Dezember war ich mal 24 Stunden zuhause. An Silvester war meine Frau hier und hat an der Bar gewartet, während ich ins neue Jahr gespielt habe. Das war nicht toll.

Ich dachte, Sie verbringen Silvester vielleicht gern auf der Bühne …

Naujoks: Wenn das in Berlin gewesen wäre, hätte ich Spaß gehabt, Geld verdient und wäre abends nach Hause gegangen. Aber hier in München hatte ich gefühlsmäßige Wellen. Erst sagt man: Alles okay, passt schon. Dann gibt es große Durststrecken, wo man denkt: Ist es noch lang? Und dann dachte ich: Ich pack das nicht mehr, ich schmeiße hin. Das hat auch alles damit zu tun, wie sich der Beruf des Schauspielers in letzter Zeit entwickelt hat. Früher war man Filmschauspieler und konnte von diesem Geschäft schwuppdiwupp leben. Heute braucht man mehrere Standbeine, muss Fernsehen und Film machen, am besten noch ein eigenes Bühnenprogramm und Tourneetheater.

Wann hat sich das verändert?

Naujoks: Mit der Wirtschaftskrise. Ich habe immer gedacht, die Film- und Unterhaltungsbranche würde das nicht tangieren, weil wir immer on stage und auf Sendung sind. Aber irgendwie ist das auch eingekracht. Gagen wurden gekürzt. Das wäre so, als wenn Sie 3000 Euro im Monat verdienen und plötzlich sagt der Chef: Ab jetzt gibt’s nur noch 1800 und Urlaub fällt aus. Plötzlich gab es weniger Filme, tausendmal mehr Schauspieler, viel viel weniger Geld und konsequentes Sparen an allen Ecken. Da wurden plötzlich Gagen aufgerufen, die geringer waren, als damals als ich angefangen habe. Man hat dann gehört: Die Zeiten ändern sich und wenn du es nicht machst, macht’s ein anderer. Und die Sendeplätze wurden Kochshows, Rateshows, Gameshows und Castingshows gefüllt.

Es gibt doch auch unzählige Krimis im Fernsehen …

Naujoks: Aber darin spielen entweder immer die selben Fünf oder immer andere, wo man sich fragt: Wo kommen die eigentlich alle her? Eine Soko in Köln, eine in Bremen, eine Soko, eine Soko, eine Soko, eine Soko. Die ganzen anderen Geschichten, die wir so mögen, die großen Blockbuster, da spielen die Ferres, der Liefers oder der wundervolle, ganz ganz großartige Kollege Armin Rohde, dem ich alles gönne. Es sind immer dieselben Köpfe und die anderen kennt man gar nicht, die siehst du ein-, zweimal und dann kommt der nächste. Dazwischen gibt es kaum noch etwas.

Deutschland geht es wirtschaftlich gut. Geht es auch im Film- und Fernsehgeschäft bergauf oder wird es schlimmer?

Naujoks: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch viel schlimmer sein könnte. Ich bin ja selbst auch ein bisschen außen vor, weil ich den Job schon seit 25 Jahren mache, ich kenne einige Produzenten, wo ich weiß, denen kannst du vertrauen. Da wird nicht hinterher nachverhandelt oder ausgebessert. Ich muss aber für meine Kollegen eine Lanze brechen, die gerade neu anfangen und noch nicht so ein Standing haben, die kriegen Angebote wie: Pass auf, wir drehen zehn Tage. Du bist dreimal dran, du kriegst einen Flug hin und einen zurück. Hotel gibt’s nicht, sieh mal, ob du bei Exfrau, Mutter oder Oma schlafen kannst. So etwas hätte es früher nicht gegeben. Die hätten gesagt: Du drehst zehn Tage hier, zehn Tage Arbeit, Montag und Freitag kannst du nach Hause fliegen, weil da nichts zu tun ist.

Würden Sie deshalb heute nicht mehr Schauspieler werden?

Naujoks: Ich selbst kann mir nichts anderes vorstellen. Aber fairerweise muss ich den jungen Kollegen sagen, überlege nochmal genau, ob das wirklich das ist, was du dir vorstellst. Ich kann aber niemandem in sein Leben reinquatschen. Ich habe außerdem das Gefühl, dass es eine Inflation gibt. Jeder, der nicht mal Tennis spielen kann, wird Schauspieler, jedes Model, das zu blöd ist, einen Catwalk zu laufen, wird Schauspieler. Wenn die nicht Schauspieler werden, sind sie im Dschungel und haben Megaeinschaltquote. Das ist absurd.

Nehmen Sie alle Rollenangebote an?

Naujoks: Natürlich gibt es Dinge, wo ich vom Niveau her sage, das kann ich nicht machen. Früher wäre ich da vielleicht ein bisschen großmäuliger gewesen. Heute gucke ich schon zweimal hin, bevor ich absage.

Mussten Sie bei Morden im Norden auch zweimal hingucken?

Naujoks: Nee, nee, Morden im Norden war ein Glücksfall. Ich kenne die Leute, die dafür verantwortlich sind über Jahrzehnte und als die mich angefragt haben, war ich überglücklich. Ich mag den Vorabend, da wird weniger geballert und mehr skurrile Geschichten erzählt. Da schon mal Kinder zugucken, sind die Morde schräger und alles muss mit einem Augenzwinkern passieren. Da wird nicht jemandem mit Zielfernrohr der Kopf weggeschossen. Das interessiert mich. Wie spielt man das? Wie unterhält man die Leute, wenn man als Polizist keine Knarre hat? Ich bin ganz stolz, mitspielen zu dürfen.

Der, den ich spiele, ist mittlerweile auch schon 50. Der ist im Leben angekommen, so wie ich nicht. Der ist gut angezogen, weiß, wo er hin will, so wie ich auch nicht. Aber ein bisschen hat er schon von mir. Ich freue mich riesig, dass ich jetzt Rollen bekomme, wo ich nicht immer nur den Outlaw, den Outsider und den Verrückten spielen muss. Ich würde auch noch gern gucken, ob vielleicht der Anwaltstalar passt oder mir mal einen Arztkittel überwerfen, da hätte ich kein Problem mit.

Sie spielen Lars Englen, den Vorgesetzten des Lübecker Kriminalkommissariats. Ich habe die ersten vier Folgen gesehen und bin regelrecht enttäuscht, dass Sie nicht sehr oft vorkommen.

Naujoks: Das ist gut. Wir haben ja schon während meiner drei Monate in München gedreht und ich konnte hier einfach nicht weg. Die waren so klasse, fair und auf mich fixiert, dass sie die Bücher so geschrieben haben, dass ich erstmal weniger vorkomme. Wenn das Theaterengagement vorbei ist, steige ich richtig ein.

Haben Sie eine Zuneigung zum Norden entwickelt? Sie waren in Bad Segeberg bei den Karl-May-Spielen dabei, hatten Rollen in der Küstenwache, beim Landarzt und jetzt Morden im Norden.

Naujoks: Ich mag den Norden schon sehr und der Norden fragt mich an. Ich will nicht über den Süden herziehen, aber wenn ich hier halb 11 aus dem Theater raus bin, ist es in München echt schwer, eine Gastronomie zu finden, wo du in Ruhe was essen kannst, ohne dass sie dir auf den Teller gucken. Bist du bald fertig? Damit ist Berlin und Hamburg nicht zu vergleichen.

Und was machen Sie in München bis 20 Uhr vor der Vorstellung?

Naujoks: Das ist auch eine gute Frage, die kein Schwein stellt. Du hast keine großen sozialen Kontakte, du kannst mal einen Kollegen besuchen, was mir eher unangenehm ist. Da gehe ich in eine Ausstellung oder ins Kino. Dann fängst du an, dich zu sehnen, denkst an zu Hause, an Familie, Freunde, deine Stadt und wirst ein bisschen schwermütig. Aber du musst wie ein Montagearbeiter dein Säcklein schnüren und da durch. Wenn das Stück gut ankommt, ist es natürlich riesig, den Applaus zu hören. Die restliche Zeit ist jedoch sehr leer. Wenn wir in Hamburg drehen, kann ich zu meiner Familie sagen, kommt am Wochenende vorbei. Deshalb ist die Zeit in Hamburg tausendmal angenehmer als in München.

Als Sie beim Tatort ausgestiegen sind, haben Sie gesagt, die Figur Martin Felser sei Ihnen zu bleich geworden. Welche Vorkehrungen haben Sie getroffen, dass Ihnen das mit Lars Englen nicht passiert?

Naujoks: Tja, das ist eine gute Frage. Man muss natürlich erstmal das spielen, was im Drehbuch steht. Ich habe aber gesagt, ich werde keinen Chef spielen, der nur durch die Wache geistert, Akten hin- und herträgt und darauf aus ist, seine Kollegen in die Pfanne zu hauen. Da müsst ihr euch schon was anderes einfallen lassen. Martin Felser im Tatort hatte ja nichts. Der hatte keine Lizenz zum Ermitteln. Jetzt bin ich zwar ein Schreibtischtäter, aber ich könnte auch zufällig das richtige Indiz finden, um einen Fall zu lösen. Oder ich setze mich in den Dienstwagen und fahre raus, um einen Zeugen zu vernehmen. Der Martin konnte das nicht. Der war Kriminalautor. Deshalb habe ich mich gewundert, dass der Typ so lange, so sympathisch überlebt hat. Im Grunde hatte er nichts anderes zu tun, außer zu trösten. Ich war der Frühstücksdirektor.

Zugegeben, er war eine Lusche.

Naujoks: Erst dachte ich, die Leute verscheißern mich. Als ich gemerkt habe, dass die letzten Folgen noch luschiger, noch staubiger und noch träger wurden, habe ich gesagt, ich gehe. Die haben sich solche Mühe gegeben, mich glatt zu schleifen, dass ich nicht mehr erkennbar war. Das tut der Figur und auch mir bei meiner «Fanklientel» nicht gut.

Jetzt sind Sie von der Primetime in den Vorabend gewechselt. Gucken sie eigentlich selbst am Vorabend Fernsehen?

Naujoks: Nein, da habe ich gar keine Zeit dazu. Normalerweise kommt mein kleiner Sohn halb fünf aus dem Kindergarten. Dann gucken wir eine halbe Stunde zusammen KiKa, meistens gehen wir dann in Berlin auf den Spielplatz oder in eine Spielekneipe für Kinder. Wir spielen viel. Aber dafür, dass ich Schauspieler bin, wird bei uns unheimlich wenig Fernsehen geguckt. Das ist eigentlich so wie ein Fußballtrainer, der nie ins Stadion geht.

Aber es funktioniert offensichtlich …

Naujoks: Ja, ich nehme mir Sachen auf oder gucke DVD. Ich muss ja schon sehen, ob es einen Martin-Felser-Erben gibt. Aber ich sitze nicht auf der Couch und habe Chips auf den Beinen. Zappen geht bei mir sowieso nicht. Entweder ich gucke einen Film oder ich gucke keinen.

Mögen Sie eigentlich Überraschungspartys? Für Ihren Kollegen bei Morden im Norden gibt es eine zum Einstand.

Naujoks: Ich hasse es. Ich hasse Partys und Überraschungspartys am allermeisten. Wenn sie nur für mich sind, kotzen sie mich richtig an. Deshalb konnte ich Sven Martinek auch ein paar gute Tipps geben, wie er auf die Party reagieren soll. Ich werde dieses Jahr 50 und wenn irgendjemand auf die Idee kommt, eine Überraschungsparty zu machen, da habe ich absolut keinen Bock drauf.

Werden Sie denn heiraten?

Naujoks: Das werde ich auf jeden Fall noch schaffen.

Sie haben mal gesagt, zum 50. trauen Sie sich das …

Naujoks: Meine Frau und ich sind nicht verheiratet, aber wir haben ein gemeinsames Konto, wir wohnen zusammen, haben gemeinsame Kinder. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir beide das Gefühl haben, wir sollten etwas Besonderes daraus machen. Da braucht man wieder Zeit und Geld. Wir sind beide geschieden. Vielleicht denken wir unterbewusst, wenn wir heiraten, geht alles daneben. Eine Scheidung ist ja immer ein Scheitern. Ich bin mir aber sicher, dass ich das noch schaffen werde, weil ich sie sehr, sehr lieb habe. Ich mag das Symbol der Zusammengehörigkeit.

Können Sie mit Eifersucht was anfangen?

Naujoks: Oh ja, ich bin aber kein eifersüchtiger Mensch. Nicht jeder, der sich um meine Frau herumbewegt, ist für mich ein Nebenbuhler. Aber ich bin sehr in meine Frau verliebt, finde sie attraktiv und kann mir vorstellen, dass das andere auch finden. Und selbst einmal betrügen geht bei mir gar nicht. Da gibt’s kein Sprechen mehr, dann ist es aus. Nicht so: Das kann ja mal passieren. Ich bin ein unheimlich treuer Mensch.

Sie sind bekennender Frauenfan. Wie äußert sich das noch?

Naujoks: Ich liebe Frauen grundsätzlich. Ich mag sie anschauen, ich mag, wenn sie mich anschauen. Ich mag, wie sie sich bewegen. Als Partner, als Pendant, als Freund, Gegner, Diskussionspartner, ich merke deutlich, dass ich bei Frauen aufmerksamer bin, mehr Interesse habe, mehr zuhöre. Bei Männern ist das eher ein bisschen Fußballmentalität.

Wird dann Ihre Frau nicht auch eifersüchtig?

Naujoks: Mit Sicherheit. Aber sie weiß ja, dass sie sich auf mich verlassen kann. Sie sagte auch: Dann bist du drei Monate weg und ich weiß nicht, was du dann machst. Da muss ich innerlich grinsen. Wenn sie wüsste, wie treu ich bin, würde sie solche Sachen gar nicht sagen.

Wie werden Sie denn nun Ihren Geburtstag am 1. März verbringen?

Naujoks: Ich werde wieder bei einem Dreh sein. Auch beim Geburtstag meiner Frau saß ich in München und meine Tochter Luna, die ist mittlerweile 14, musste neun Jahre alt werden, bis ich es das erste Mal an ihrem Geburtstag zu Hause sein konnte.

Morden im Norden, ab 21. Februar 2012, immer dienstags, 18.50 Uhr, Das Erste

Quelle:
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«Morden im Norden» – Ingo Naujoks braucht Ecken und Kanten


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