Incredible India 3: Backpacker und andere Grausamkeiten

Am “Domestic Airport Busbahnhof” in Mumbai keimen mal wieder negative Gefühle auf. Es ist kaum zu erkennen, dass hier überhaupt Busse fahren. Es gibt keine richtigen Sitzgelegenheiten, es ist schmutzig und man wird argwöhnisch beäugt. Wie kommt es, dass ich als einziger 3 Stunden auf meinen Bus warten muss? Wissen die Inder Intuitiv wie viel Verspätung ihr Bus hat? Ein hitziger Taxifahrer versucht mich in sein Auto zu zerren. Ich bin kurz vor einem aggressiven Kollaps. Scheiße, warum habe ich kein Flugticket gebucht?

Incredible India 3: Backpacker und andere Grausamkeiten
Postapokalyptische Szenarien entstehen nicht nur in meinem Kopf, sondern durch eine morbide Mischung aus Verfall und Schönheit

„So, jetzt erzähl doch mal! Wie war deine Reise?“. Die Antwort der meisten Menschen entspringt wahrscheinlich mehr einem sozialen Erwartungsdruck als ehrlichen Eindrücken und Gefühlen. Dabei können in der Antwort – abhängig von Entfernung, Dauer und den klimatischen Bedingungen – nicht genug Superlative verwendet werden. Meine nächste Etappe führt mich nach Goa – Indiens Traumstrandparadies: „Es war fantastisch – unglaublich schön!“ wäre hier wohl eine adäquate Antwort. Durch die portugiesische Besetzung, ist Goa ein Staat im Staate. „Goa ist nicht Indien“ sagt man, und meint damit die schöne Bauweise, den legalen Alkohol, die vielen Touristen und die relativ geringe Armut.

An meinem ersten Tag in Palolem, Goa gehe ich auf eine Strandparty mit Livemusik. Ein cooler Nepalese, der seine Bar souverän managed, scheint plötzlich überfordert, als eine attraktive Europäerin mit ihm tanzt. Freut mich irgendwie!  Schnell kommt man mit anderen Backpackern ins Gespräch. Die Gesichtszüge der Menschen sind hier entspannter. Viele reden jetzt erstmals über ihre belastenden Erlebnisse vor ihrer Ankunft in Goa. Es stimmt, es ist eine riesige Erleichterung hier zu sein nach all dem Stress. Es werden die besten Geschichten ausgetauscht wie er oder sie über den Tisch gezogen wurde (z.B. Etwas hinter dem Ohr des Touristen „finden“ und ordentlich Geld dafür kassieren). Jeder geht anders mit dem Gefühl einer feindlichen Umwelt um. Manche artikulieren ihre Aggressionen ganz deutlich, andere versuchen positivistisch-rational eine Erklärung zu konstruieren, warum so viele Touristen betrogen werden und wieder andere verschließen ihre Augen gänzlich vor dieser Tatsache.

Hier eine kleine Liste von Beispielsätzen der verschiedenen Backpacker mit denen ich sprach: „India makes me paranoid“, “It´s just ironic, it´s so beautiful over here”, „Indians are mainly cowards – They talk a lot but they never do anything”,  “India is amazing. Just the Indians, yeah, they are crap“. Diese Sachen wurden mir wirklich anvertraut. Was mich am meisten überraschte. Es waren langhaarige Finnen, hippe Neuseeländer und studierte Australier, die solch rassistischen Plattitüden von sich ließen.

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Was für Leute kommen nach  Goa? Hier leben englische Ex-Patriots wie deutsche Rentner auf Malllorca, Mad-Max-artige Auswanderer (auf dem dicken Bike mit coolen Klamotten und genug Geld in der Tasche. Harte Kerle mit Glatze, harte Frauen mit Rastas. Immer on the Road, immer unterwegs), Long-Time Traveller, spirituell Suchende, Drogenvolk, Manager die ausgebrochen und/oder ausgebrannt sind und Backpacker (Mittelklasse Kids, die ihren Lebenslauf mit der künstlichen Aura des Abenteuers, der pseudoalternativen Weltgewandtheit schmücken, um zu hause ein strebsames und angepasstes Leben zu führen). Sie alle sind nur Hedonisten. Sie sind mehr oder weniger isoliert von den Einheimischen und leben in einer künstlich geschaffenen Welt. Sie tun nichts für Andere, wie etwa für ihre Familie oder Freunde. Sie geben zwar ihr Geld aus, aber die Dollars und Euros helfen auch nicht wirklich, sondern verstärken die Unselbstständigkeit der einzelnen Regionen.

Und so laufe ich an den schönen Stränden Goas entlang, schaue auf das Meer, den Sonnenuntergang und spüre…nichts! Ich finde es zwar schön hier, habe aber nicht dieses bombastisch traumhafte Gefühl,  welches uns Werbung und Filme vermitteln wollen, wenn sie Bilder von Palmenstränden inszenieren. Vielleicht ist es der starke Kontrast zwischen den bisherigen Erlebnissen und der plötzlichen Anwesenheit in einer paradiesischen Umgebung, der ein paradoxes Gefühl der Taubheit produziert. Ich muss jetzt erst mal abschalten.


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