So wie im Januar 1994 stand der Eiskunstlauf nie wieder im Mittelpunkt des Medieninteresses und dass obwohl es damals um ein Ereignis ging, das nicht einmal auf dem Eis stattgefunden hat. Es war die Faszination an der Eiskunstläuferin Tonya Harding, die mit einem Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan in Verbindung gebracht wurde. Ihr damaliger Ehemann Jeff Gillooly beauftragte einen Attentäter, der Kerrigan mit einer Eisenstange am Knie attackierte, woraufhin diese aus dem Wettbewerb ausscheiden musste. Es entstand der Mythos der Eishexe um Tonya Harding, die nun dank Regisseur Craig Gillespie und seiner Hauptdarstellerin Margot Robbie mit I, Tonya einen großartigen, amüsanten Wolf of Wall Street des Eiskunstlaufes gewidmet bekommt.
Was dabei entstanden ist, ist eine unglaublich gelungene Kür auf dünnem Eis. Gillespie, der nach einem Drehbuch von Steven Rogers gearbeitet hat, bringt Tonya Harding zurück ins Gespräch und verschafft ihr einen Funken Sympathie, wenn er uns zeigt, wie viel Schläge, Misshandlungen und Leid sie physisch und psychisch zu ertragen hatte.
Zugleich macht er sich einen Spaß daraus, die Idioten bloßzustellen, von denen Harding umgeben war, macht eine Komödie aus I, Tonya, wenn er kommentarlos die Inszenierung des Eiskunstlauf-Sports und die Popkultur der 90er Jahre zur Schau stellt – ohne dabei jemals die Figur der Tonya Harding in Mitleidenschaft zu ziehen.
I, Tonya
" data-orig-size="1000,667" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Margot Robbie als Tonya Harding mit Sebastian Stan als Jeff Gillooly in I, TONYA.
Wie der Film zu Beginn selbst herausstellt, handelt es sich um eine Erzählung frei von Ironie, die an vielen Stellen widersprüchlich erscheint und auf wirklich wahren Interviews beruht. Einen Moment später bekommen wir die drei Hauptakteure vorgesetzt: eine unfassbar charismatische und einmal mehr in ihrer Rolle aufgehende Margot Robbie als Tonya Harding, Sebastian Stan (Bucky Barnes, der Winter Soldier in den Marvel Cinematic Universe-Filmen) als ihren Ehemann Jeff Gillooly und Allison Janney als Tonyas Mutter LaVona Golden, die absolute Showstealerin des Films, bei der wir froh sein können, das sie nicht mehr Screentime erhalten hat, da sie sonst den gesamten Film an sich gerissen hätte.
I, Tonya beginnt mit einer vier Jahre alten Harding (Maizie Smith), die im Portland der 1970er Jahre aufwächst. Ihre Mutter treibt sie dazu an, Eiskunstlauf zu lernen, da sie eine natürliche Begabung sieht. Als das Mädchen älter wird (hier von Mckenna Grace gespielt), nimmt die Mutter sie aus der Schule, um sich unter der Trainierin Diane Rawlinson (Julianne Nicholson) auf den Sport konzentrieren zu können. Sie wird schnell zur besten Eiskunstläuferin des Landes, kann sich aber nicht von ihrem Ruf als “White Trash” mit zu großer Klappe, selbstgenähten Kostümen und unkonventioneller Auswahl ihrer Performance-Musik befreien.
Mit 15 Jahren beginnt sie den drei Jahre älteren Jeff zu daten, den sie schnell heiratet um das Haus ihrer Mutter verlassen zu können, die sie im Dauerfeuer schikaniert und beschimpft. Aber schon bald sieht es bei Jeff nicht anders aus. Erneut landet Tonya in einer Hölle aus verbalen Tiraden und körperlichen Missbrauch. Trotzalledem gelingt ihr als erste amerikanische Eiskunstläuferin der Dreifach-Axel-Sprung und sie beginnt für die Winterolympiaden der Jahre 1992 und 1994 zu trainieren.
Margot Robbie ist schlicht fantastisch in ihrer Rolle. Dass sie facettenreich und talentiert ist, zeigte sie bereits in all ihren bisherigen Auftritten. In ihrem Durchbruch The Wolf of Wall Street konnte sie spontan neben Leonardo DiCaprio bestehen, während sie in Focus Will Smith an die Wand spielte. Zwischendurch drehte sie den hierzulande viel zu wenig beachteten Z for Zachariah und war dann erneut neben Will Smith eine der wenigen guten Dinge an der DC Comicverfilmung Suicide Squad
I, Tonya
" data-orig-size="1000,667" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Allison Janney als Tonyas Mutter LaVona Golden.
Hier nun spielt sie durch und durch diese White Trash-Lady auf dem Eis: “Ich bin ein Redneck. Das ist, was ich bin. Ich entschuldige mich nicht dafür.” Sie zeigt sich als Großmaul, das sowohl ihrer Mutter als auch ihrem Ehemann paroli bieten kann. Sie spielt sich aber auch durch kleine und leise Momente, wenn sie eingeschüchtert ihr Leben in andere Hände legt oder ganz aufzugeben scheint. Wenn Margot Robbie sich mit Allison Janney oder Sebastian Stan zankt, schlägt, prügelt, dann erleben wir einen I, Tonya, der selbst aus seinen dramatischen Streitmomenten noch einen Schock-”Ist das wirklich gerade passiert?”-Lacher herausholt.
I, Tonya brilliert durch all seine unzuverlässigen Erzählungen durch nachgespielte Interviews mit Tonya, Jeff und LaVona, die allesamt ihre Version der Geschichte erzählen wollen. Diese werden von dem Regisseur zusammen gewürfelt, so dass wir uns unser eigenes Bild machen können. Dabei entfesselt er einen schwarz-humorigen Film, in dem hin und wieder auch inmitten der Handlung die vierte Wand durchbrochen werden darf, voller großartiger 90er Jahre Popmusik, unkonventionellen Dialogwitz und natürlich wunderschönen Eiskunstlauf-Performances.