Hochinteressant... wirklich hochinteressant! Mit langem O. Der Systemfunk instruierte uns, den offenen Landtag zu Wiesbaden zu besuchen. Landtagspräsident Kartmann, so hieß man uns weiter, lade "alle Bürger ein, die Arbeit von Parlament, Parteien und Protokollern hautnah zu erleben". Eine Verheißung, die zu verpassen wir nicht gewillt waren. Sodenn landeten wir in Wiesbaden - einmal hinter jenes pawlowsche Dorf blicken, das sich im Stadtschloss eingenistet hat; einmal begreifen lernen, wie sich Entscheidungen machen, wie sich Gesetze verabschieden und wie gesellschaftliche Interessen die Arbeit der Parlamentarier beeinflussen.
Dorthin, wo politische Entscheidungen stattfinden. Man lotste uns in ein schummriges Zimmer, das die Aufmachung eines miefiges Tagungsraumes aufwies, zu dem normalerweise, wie uns der Führer erklärte, die Öffentlichkeit und die Presse auf keinen Fall Zutritt erlangten. Hier sei es Usus, dass sich Abgeordnete oder Minister und deren Staatssekretäre mit Vertretern der Wirtschaft träfen, um über etwaige Partikularinteressen zu diskuschmieren, die dann allgemeinverbindliche Gesetze und Regeln werden sollten. Hier leisteten Unternehmen ihren Obolus in Parteikassen und Parteifunktionäre zeigten hier ihre Wirtschaftsnähe. Wenn weitere Kommunen ausbaubedingt im Fluglärm erstickten, dann wäre hier der Ort, an dem die Arbeit des Parlaments beginne, stattfinde, ende - nicht gänzlich ende, denn letztlich verlagere man das Gespräch. Von trauter Runde ginge es rüber in den Plenarsaal, dort vollende und genehmige man, was entspannt und natürlich ergebnisoffen - na-tür-lich betonte er energisch! - schon vorher besprochen wurde.
In einem weiteren dieser Entscheidungszimmer, die es übrigens laut Aussage unseres jungen Begleiters mehrfach in Gebäude und etwaigen Außendienststellen gäbe, empfing uns ein wortgewandter Mann. Dieser sei beruflich als Interessensvertreter eines großen, heute aber ungenannten Unternehmens tätig, belehrte uns unser Führer, bevor er dem Interessensvertreter das Wort erteilte. Sofortige Zwischenfragen wie Sind Sie Lobbyist? konterte er sachlich mit Ich bin für Public Affairs zuständig! Das beruhigte die Besucher sofort nachhaltig. Das klang seriös. Er erläuterte uns am Szenario der Leiharbeitsbranche, wie er arbeite. Die sei nämlich arg gebeutelt, weil sie Flexibilität nicht mehr gewähren könne, wenn sie vom öffentlichen Druck dazu verdonnert würde, ihre Mitarbeiter so überteuert zu bezahlen, wie es hochgradig qualifizierte Fachkräfte seien. Mein Leiharbeiter sind aber oft Facharbeiter, die keine reguläre Stelle mehr finden! überging er charmant, indem er mir das Wort abschnitt. Seine Arbeit sei so: Ein Gespräch hier, eine Unterredung dort, manchmal noch Aufklärungsarbeit und Vorlegen von Studien, die er vorher in mühseliger Instruktion bis ins Detail, bis zum Resultat, in Auftrag gab. Danach stecke er Umschläge zu, Koffer seien aus der Mode, die Bargeldlosigkeit sei auch hier angelangt, PayPal nicht unbeliebt. Diese immense Maß an Überzeugungsarbeit, das er leisten müsse, sei natürlich kraftraubend, aber als ein Akt für die ganze Gesellschaft zu sehen.
Wir Besucher waren uns hernach darüber einig, dass die Leiharbeitsbranche dringend staatlichen Schutz benötige, wenn sie weiterhin eine "attraktive Option auf dem Arbeitsmarkt" sein möchte, wie das der eloquente Antichambreur so schön formulierte. Und ein Kollege dieses Mannes, der uns nur kurz beehrte, machte uns klar und stichhaltig, dass Steuer-CDs niemals von staatlichen Institutionen gekauft werden dürften, so schön wie er sprach, konnten wir nicht anders, als ihm zu glauben.
Meine Frage, wann wir den Plenarsaal sehen würden, stieß dann jedoch auf Unverständnis. Man wolle uns die Entscheidungsgremien und deren Arbeitsweise nahe bringen; der Plenarsaal sei insofern nicht relevant. Dort werden längst getroffene Entscheidungen nur nochmal nach gebotener Sitte und den postdemokratischen Überlieferungen durchgekaut und ein althergebrachter Zustimmungsritus begangen, der sich aus Lesungen, Wortgefechten und dem obligatorischen Handheben aus Zustimmungszwecken zusammensetze. Die eigentliche Arbeit passiere genau hier und drüben im Rotlichtviertel, wo man uns gleich per Shuttle hinfahren wolle. Dort bekämen wir jenes Stundenhotel-Zimmer zu sehen, in dem die Atomkraft gerettet, in dem der Ausstieg vom Ausstieg erbumst und die Laufzeitverlängerung dereinst erblasen wurde.
Man nenne uns nun Spießer, wir haben das Shuttle allerdings nie bestiegen, so wie wir Wiesbaden nie betreten haben. Nicht heute jedenfalls. Denn Entscheidungsorte, Hinterzimmer und Séparées hätte ich gerne gesehen; und einen Lobbyisten, einen wirklichen Träger von gestalterischer Macht, hätte ich gerne mal begafft. Das wäre hochinteressant gewesen. Hochinteressant. Mit langem O und abgehackten Silben. Aber auf die Scharade in Zwirn und guter Laune hatten wir keine Lust...
Wenn Sie mich schön postdemokratisch schmieren möchten, teile Ihnen gerne meine Kontodaten mit oder Sie stellen einfach Ihren für mich bestimmten schwarzen Koffer bei PayPal ab. Und wer es noch nicht hat, darf auch gerne aus seinem Hinterzimmer heraus eines meiner zwei Bücher bestellen.
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Dorthin, wo politische Entscheidungen stattfinden. Man lotste uns in ein schummriges Zimmer, das die Aufmachung eines miefiges Tagungsraumes aufwies, zu dem normalerweise, wie uns der Führer erklärte, die Öffentlichkeit und die Presse auf keinen Fall Zutritt erlangten. Hier sei es Usus, dass sich Abgeordnete oder Minister und deren Staatssekretäre mit Vertretern der Wirtschaft träfen, um über etwaige Partikularinteressen zu diskuschmieren, die dann allgemeinverbindliche Gesetze und Regeln werden sollten. Hier leisteten Unternehmen ihren Obolus in Parteikassen und Parteifunktionäre zeigten hier ihre Wirtschaftsnähe. Wenn weitere Kommunen ausbaubedingt im Fluglärm erstickten, dann wäre hier der Ort, an dem die Arbeit des Parlaments beginne, stattfinde, ende - nicht gänzlich ende, denn letztlich verlagere man das Gespräch. Von trauter Runde ginge es rüber in den Plenarsaal, dort vollende und genehmige man, was entspannt und natürlich ergebnisoffen - na-tür-lich betonte er energisch! - schon vorher besprochen wurde.
In einem weiteren dieser Entscheidungszimmer, die es übrigens laut Aussage unseres jungen Begleiters mehrfach in Gebäude und etwaigen Außendienststellen gäbe, empfing uns ein wortgewandter Mann. Dieser sei beruflich als Interessensvertreter eines großen, heute aber ungenannten Unternehmens tätig, belehrte uns unser Führer, bevor er dem Interessensvertreter das Wort erteilte. Sofortige Zwischenfragen wie Sind Sie Lobbyist? konterte er sachlich mit Ich bin für Public Affairs zuständig! Das beruhigte die Besucher sofort nachhaltig. Das klang seriös. Er erläuterte uns am Szenario der Leiharbeitsbranche, wie er arbeite. Die sei nämlich arg gebeutelt, weil sie Flexibilität nicht mehr gewähren könne, wenn sie vom öffentlichen Druck dazu verdonnert würde, ihre Mitarbeiter so überteuert zu bezahlen, wie es hochgradig qualifizierte Fachkräfte seien. Mein Leiharbeiter sind aber oft Facharbeiter, die keine reguläre Stelle mehr finden! überging er charmant, indem er mir das Wort abschnitt. Seine Arbeit sei so: Ein Gespräch hier, eine Unterredung dort, manchmal noch Aufklärungsarbeit und Vorlegen von Studien, die er vorher in mühseliger Instruktion bis ins Detail, bis zum Resultat, in Auftrag gab. Danach stecke er Umschläge zu, Koffer seien aus der Mode, die Bargeldlosigkeit sei auch hier angelangt, PayPal nicht unbeliebt. Diese immense Maß an Überzeugungsarbeit, das er leisten müsse, sei natürlich kraftraubend, aber als ein Akt für die ganze Gesellschaft zu sehen.
Wir Besucher waren uns hernach darüber einig, dass die Leiharbeitsbranche dringend staatlichen Schutz benötige, wenn sie weiterhin eine "attraktive Option auf dem Arbeitsmarkt" sein möchte, wie das der eloquente Antichambreur so schön formulierte. Und ein Kollege dieses Mannes, der uns nur kurz beehrte, machte uns klar und stichhaltig, dass Steuer-CDs niemals von staatlichen Institutionen gekauft werden dürften, so schön wie er sprach, konnten wir nicht anders, als ihm zu glauben.
Meine Frage, wann wir den Plenarsaal sehen würden, stieß dann jedoch auf Unverständnis. Man wolle uns die Entscheidungsgremien und deren Arbeitsweise nahe bringen; der Plenarsaal sei insofern nicht relevant. Dort werden längst getroffene Entscheidungen nur nochmal nach gebotener Sitte und den postdemokratischen Überlieferungen durchgekaut und ein althergebrachter Zustimmungsritus begangen, der sich aus Lesungen, Wortgefechten und dem obligatorischen Handheben aus Zustimmungszwecken zusammensetze. Die eigentliche Arbeit passiere genau hier und drüben im Rotlichtviertel, wo man uns gleich per Shuttle hinfahren wolle. Dort bekämen wir jenes Stundenhotel-Zimmer zu sehen, in dem die Atomkraft gerettet, in dem der Ausstieg vom Ausstieg erbumst und die Laufzeitverlängerung dereinst erblasen wurde.
Man nenne uns nun Spießer, wir haben das Shuttle allerdings nie bestiegen, so wie wir Wiesbaden nie betreten haben. Nicht heute jedenfalls. Denn Entscheidungsorte, Hinterzimmer und Séparées hätte ich gerne gesehen; und einen Lobbyisten, einen wirklichen Träger von gestalterischer Macht, hätte ich gerne mal begafft. Das wäre hochinteressant gewesen. Hochinteressant. Mit langem O und abgehackten Silben. Aber auf die Scharade in Zwirn und guter Laune hatten wir keine Lust...
Wenn Sie mich schön postdemokratisch schmieren möchten, teile Ihnen gerne meine Kontodaten mit oder Sie stellen einfach Ihren für mich bestimmten schwarzen Koffer bei PayPal ab. Und wer es noch nicht hat, darf auch gerne aus seinem Hinterzimmer heraus eines meiner zwei Bücher bestellen.
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