Über viele Jahre ist Spanien jetzt Einwanderungsland gewesen: Seit 2000 kamen sechs Millionen Menschen. Diese Tendenz hat sich in der Krise ins Gegenteil verkehrt. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres verliessen 40.625 Personen mit spanischem Pass das Land, damit 44,2 Prozent mehr als Vergleichszeitraum des Vorjahres. Schon 2011 hatte sich die Bilanz zwischen Zu- und Abwanderung in etwa ausgeglichen, doch erstmals in diesem Jahr steigt die “Landflucht” dramatisch an.
Die Abwanderung ist natürlich krisenbedingt. Wer im Land kein Auskommen mehr findet, probiert es woanders. Leider gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele der 40.625 geborene Spanier sind und wie viele “nationalisierte” Immigranten, die inzwischen einen spanischen Pass besitzen. Viele der sechs Millionen Einwohner, die seit 2000 kamen, sind Südamerikaner, die bereits nach zwei Jahren die spanische Staatsbürgerschaft erwerben können (z.B. mehr als 100.000 im Jahr 2010). Nicht wenige von ihnen sehen nun in ihrem Geburtsland bessere Chancen und verlassen Spanien wieder.
Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind viele Spanier ausgewandert, weil sie Zuhause kein Auskommen fanden. Besonders nach Kuba, Argentinien und Venezuela. Aber auch als “Gastarbeiter” nach Deutschland und in andere europäische Länder. Wenn die Krise andauert, könnte sich das Einwanderungsland Spanien nun wieder in ein Auswanderungsland verwandeln.
Junge und gut ausgebildete Spanier, die ihr Glück im Ausland suchen, hat es immer gegeben. Es gibt sie nun vermehrt, aber die Steigerungsrate ist nach den Angaben des Nationalen Statistik-Instituts noch kaum spürbar. Es spielt auch letztlich keine Rolle, ob die Emigranten geborene Spanier sind oder nicht – wichtig ist allein die Tatsache, dass Menschen auszuwandern gezwungen sind, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren können. Oder, wie es ein Madrider Uni-Professor ausdrückt: “Wir müssen endlich ein ökonomische System anzweifeln, das nicht in der Lage ist, die Bevölkerung zu ernähren.”
Während die Spanier aus der EU abwandern, weil sie ihren Lebensunterhalt gefährdet sehen, sterben tausende von Afrikanern im Atlantik auf dem Weg in die EU, weil selbst der sinkende Lebensstandard Europas immer noch das Vielfache ihrer eigenen Möglichkeiten verspricht. Die EU wehrt sich nach Kräften: Mit dreistelligen Millionen-Investitionen wurden z.B. alle kanarischen Küsten mit Wärme-Radars versehen, die solche Boote aufspüren.
Um eine Idee zu bekommen, wohin die Spanier hauptsächlich abwandern, hier ein paar Zahlen aus 2011. Europa: England 7.756, Frankreich 5.264, Deutschland 4.408; Amerika: USA 5.041, Ecuador 4.182, Venezuela 3.033, Argentinien 2.931. Nach Marokko wanderten 1.557 aus, nach China 987. Es erscheint klar, dass viele von ihnen früheren Immigranten sind, die inzwischen den spanischen Pass besitzen. Auch wenn die übergrosse Mehrheit der Spanier keine Absichten hat, sich vom Fleck zu bewegen, komme was da wolle, haben nach einer aktuellen Umfrage im vergangenen Jahr 17 Prozent darüber nachgedacht, ob eine Auswanderung in Frage kommt. Die angedachten Zielländer teilen sich so auf: Deutschland 25%, England 21%, Frankreich 15% und USA 7,4%.