Im Lager der hasserfüllten Verleumder

Im Lager der hasserfüllten VerleumderEr hat das von Berlin aus gemacht, das Gespräch mit der BBC. Besser so für den ehemaligen Bundesbanker Thilo Sarrazin, gebürtig in Gera, einer Stadt der späteren und dann ehemaligen DDR: Als zum letzten Mal ein Mann in Deutschland beschuldigt wurde, sich "außerhalb unserer Gesellschaft" gestellt zu haben, durfte er seinen Auftritt im Ausland noch genießen. Danach aber nicht mehr zurück nach Hause.
Die DDR-Führung hatte kurzerhand beschlossen, den Liedermacher Wolf Biermann auszubürgern. Der Hamburger Übersiedler habe eine "konterrevolutionäre Wühltätigkeit" durchgeführt, er habe die DDR "verleumdet", die Erfolge des Aufbaus negiert und damit das "Recht verwirkt", an der gesellschaftlichen Diskussion weiter teilzunehmen. Es schloss sich, und auch das ist soweit weg vom heutigen Theater, das das alte Stück zum 35. Jubiläum mit Thilo Sarrazin als Biermann wiederaufführt, eine großangelegte Kampagne an, in der Prominente vom Provinzschauspieler bis zum Staatsdichter erklären mussten, dass sie sich von Biermann verraten fühlten.
Wie ein Mann traten sie an, die späteren Polizeiruf-Kommissare, "Riverboat"-Talker und Messe-Ehrengäste. Das Bekenntnis einer DDR-Künstlergruppe um den Sat1-Drehbuchautor Benito Wogatzki wäre gegenwartstauglich, tauschte man die Worte Biermann und DDR gegen Bundesrepublik und Sarrazin: "Unser Staat hat Biermann ausgebürgert. Das ist sein Recht. Unser Staat musste ihn ausbürgern: Das war seine Pflicht; er vollzog nur juristisch nach, was Biermann schon längst getan und öffentlich demonstriert hatte: seine Trennung von der DDR durch Übertritt in das Lager ihrer hasserfüllten Verleumder".
Wie der Sänger damals seine Lieder über den Umweg Köln in die sozialistischen Wohnzimmer verklappen wollte, so hat Sarrazin, der jettzte auch singt (Soundfile oben) den Umweg über das Ausland genommen, um seinen "kruden Thesen" (Spiegel) noch weitere Verbreitung zu verschaffen.
Zu Hause untersuchen derweil Forscherteams "Sarrazins Thesen", schreibt die Süddeutsche Zeitung und sie finden heraus, dass man aufgrund derselben Zahlen auch zu anderen Schlüssen kommen kann. "Sarrazin beschreibt teilweise die Vergangenheit», sagt Naika Foroutan von der Berliner Humbold-Uni, die schon vor Beginn ihrer Untersuchung im Herbst 2010 wusste, dass Sarrazin lügt und falsche Daten benutzt. Jetzt weiß sie, dass sie Recht hatte: Viel habe sich verbessert in den letzten fünf Jahren, so sei etwa Facebook erfunden worden, was Sarrazin gar nicht erwähne. Heute liegt in Berlin der Anteil an Sozialgeldempfängern unter Türkischstämmigen bei knapp fünfzig Prozent, als Wolf Biermann aus der DDR ausreiste, war es weniger als ein Prozent. "Da wird einem klar", sagt Naika Foroutan
wieviel sich in fünf Jahren doch verändern kann."
Das alles und noch viel mehr, sang der nach Norddeutschland emigrierte Berliner Ralph Möbius, auch kein Freund von Biermann. Doch da gilt immer noch das Wort des großen DDR-Kunstschaffenden Konrad Wolf, der Biermann einst hinterherrief, der sei "nicht der unbequeme, manchmal zu weit gehende, aber zu Unrecht verdächtigte Liedermacher, sondern ein Mann, der einen anderen politischen Weg geht als wir" (Foto oben).
Das würde der Schriftsteller Thomas Lehr sicher unterschreiben, nachdem er in der FAZ Goethes „West-östlichen Divan“ als ein "antisarrazinisches" Werk bezeichnet hat. Naheliegend wie die Behauptung, der Sklavenführer Spartakus sei Antifaschist und Hitlergegner gewesen. Goethe, der Einfühlungsgigant in die islamische Kultur, habe es geschrieben, um Völker zu verbinden, nicht um zu spalten, das habe er ihm selbst gesagt. Sarrazin rufe den Dichterfürsten ohne Genehmigung als Zeugen an. Dafür gebe es Zeugen.
"In seinem Vortrag erkennt man leicht die bösartigen Wahrheitsverdrehüngen", belehrt Lehr. Mit großer Überheblichkeit liefere er Ratschläge, "was unsere Bürger in ihrem Staat tun müssen, damit er und seine Freunde, ihn akzeptieren könnten."
Oh, der Satz war aus dem Jahr 1976 hereingerutscht, der große Volksschauspieler und Fernseh-Kapitän Horst Drinda brachte ihn dazumals zu Papier, um seiner Empörung über Wolf Biermann Luft zu machen. Sarrazins Gastspiel bei der BBC erntet eher entsetztes Kopfschütteln: "Der Beifall, den er mit seinem Auftritt in der BBC bei den erklärten Feinden der Integration gefunden hat, zeigt, dass diese Kräfte die Angriffe Sarrazins auf die erfolgreiche Integrationspolitik der Bundesregierung als nützlich für ihre Propaganda ansehen. Das macht Sarrazin interessant für alle Gegner der Demokratie, von den äußersten Reaktionären bis zu rechten sozialdemokratischen Führern, die dem Großkopital verbunden sind", analysiert zum Beispiel Gerd Deumlich, der zu diesem Zweck einen vor 35 Jahren als Mitglied des Präsidiums der DKP verfassten Satz nur ein ganz klein wenig aktualisieren musste.
Kein Wunder. Für den Mann erwärmten sich jetzt auch die schlimmsten Feinde der Gewerkschaften, die Sprachrohre der Konzerne, die selbst Mitbestimmungsrechte für die Arbeiter und ihre Gewerkschaften in die Ecke der Verfassungswidrigkeit rücken wollten, ließ der derzeitige Kolumnist der Internetseite Kominform wissen. Wäre Rudi Werion, der große volksdemokratische Schlager-, Musical- und Filmkomponist, der der schwedischen Migrantin Nina Lizell anno 1969 das Stück "Rauchen im Wald ist verboten" lieferte, nicht schon tot, hätte er zugestimmt: "Seine Gedanken sind nicht die unsrigen, seine Welt ist nicht unsere Welt, und seine Lieder sind nicht unsere Lieder."
Unsere Lieder schreibt nämlich der Berliner Rapper Wasiem Massiv Taha Pittbull, der auf seinem neuen, balladesken Album klar macht, wo der Gegner wirklich steht. "Ihr verbreitet die Lüge, der Islam wäre euer größter Feind." Dabei ist das doch Thilo Sarrazin, weswegen im Video zum Hit auch ein Plakat zum Bestseller "Deutschland schafft sich ab" friedlich verbrannt wird. Die FDJ-Songgruppe 49 applaudiert: "Für jeden politischen Künstler unserer Republik steht seit jeher die Aufgabe, sich mit seinen Mitteln an der Entwicklung unserer Gesellschaftsordnung zu beteiligen - das entspricht den Forderungen unserer Partei."


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