Ihr seid Japan

Was uns die alten Säcke wirklich sagen wollen. A tale of two islands.

Zunehmende ökonomische Unsicherheit gerade auch unter den Jungen, hohe Politikverdrossenheit, Protestwahlen ohne Glauben an Veränderung – was der Economist diese Woche (Ausgabe vom 5. September 2009, Seite 27 ff: Lost in transition, leider nicht online) in seiner Analyse der dortigen Wahlen über die japanische Gesellschaft schreibt, liest sich über weite Strecken wie ein Lagebericht mitten aus Österreich. Tatsächlich haben die beiden Länder viel gemeinsam: So etwa einen verlorenen Weltkrieg mit anschließender Demokratisierung von außen plus Wirtschaftswunder, ein rigides de-facto-zwei-Parteien-System mit jahrzehntelang unveränderten Machtstrukturen, als Resultat ein unentwirrbares Geflecht aus Partei, Wirtschaft und Bürokratie – und das alles mit einer ordentlichen Dosis Inselmentalität. Auch die Rechtskultur ist recht eng verwandt mit der hiesigen, das Zivilrecht wurde etwa nach deutschem (und damit so gut wie österreichischem) Vorbild eingeführt. Zudem hat Japan seine Krise eigentlich schon hinter sich – in den späten 80ern krachten Banken und Versicherer und konnten nur äußerst mühsam wiederbelebt werden. Der Blick nach Japan könnte also auch der Blick in unsere Zukunft sein.

Die Zahl der atypischen Beschäftigten explodiert, die Unzufriedenheit mit der Politik ist massiv. Erstaunlich ist jedoch, dass das politische Engagment nicht etwa zugenommen hätte – die Bevölkerung verharrt in Lethargie. Einig ist man sich darin, dass es nicht so weitergehen kann. Wie es denn weitergehen könnte, dafür fehlen die politischen Visionen. Politik wird als Sache der Bürokraten und der Politiker wahrgenommen, jedenfalls nicht als etwas, worauf man als Bürger Einfluss hätte. Man wüßte auch gar nicht, was man mit damit anfangen sollte.

Woher kommt diese apolitische Haltung?

Die Politik Japans ist seit dem zweiten Weltkrieg von einem vertrauten Grundsatz geprägt: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Tatsächlich hat man sich mehr oder weniger darauf beschränkt, die Wirtschaft gut geölt am Laufen zu halten; mit durchaus gewaltigem Erfolg. Die Sache hat allerdings einen Haken: Wenn’s der Wirtschaft einmal schlecht geht, dann geht’s auch allen schlecht – und zwar vor allem (auch) den Jungen, die nicht mehr in den Genuss der großzügigen Betriebspensionen und Dienstwohnungen, die den Alten das soziale Netz waren, kommen. Auch so eine Parallele zur Insel der Seligen, auf der wir Junge wohl nicht mehr viel von den Segnungen der vor unseren Augen zerbröselnden Sozialpartnerschaft haben werden. Außerdem, und das ist entscheidend, hat sich eine echte demokratische politische Kultur, eine offene Debatte über Grundsatzfragen der Politik, die Politisierung des Einzelnen in Japan nicht nachhaltig herausgebildet. Fragen der Ideologie und damit der Politik hielt man schlicht für überflüssig. Der Economist zitiert eine Werberin:

People knew instinctively that as long as the economy took care of them, ideology was something they didn’t need to debate.

Und stellt fest:

This has created citizens who vote, but who have little interest in what politicians actually do with power.

Man ist also der Wirtschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und hat keine Idee – besser: keine demokratische Kultur, aus der heraus sie entstehen könnte – was man besser machen könnte. Wenn’s unerträglich wird, wählt man halt die andere Partei, ohne viel Hoffnung, dass großartig was weitergehen wird. Eine lebendige Demokratie mündiger Bürger sieht anders aus. Manche würden diesen Zustand Postdemokratie nennen.

Derweil keimt in Österreich das zarte Pflänzchen des öffentlichen Diskurses, Gattung Generationenstreit, gepflanzt von Meredith Haaf in der Süddeutschen Zeitung, importiert von Martin Blumenau. Alles mögliche wird der Jugend vorgeworfen: geschwätzig, kritik- und diskursunfähig, ängstlich, konfrontationsscheu, unpolitisch. Der Großteil davon und noch so einiges mehr, was jungen Menschen von alten üblicherweise eben so an den Kopf geworfen wird, wurde im Laufe der Debatte genüsslich zerpflückt und entkräftet. Zweierlei zieht sich aber wie ein roter Faden durch alle Beiträge: Zum einen der ökonomische Druck unter dem wir heute stehen, der von niemandem bestritten und überdies als unvermeidlich erkannt wird. Zum anderen, dass wir, so unterm Strich, doch ziemlich unpolitisch sind – auch wenn das kein exklusiv jugendliches Phänomen ist und wir noch nicht so viel Gelegenheit hatten, den Gegenbeweis anzutreten.

Hier liegt der Hund begraben: Das sind die zwei Punkte, die wir nicht wirklich in Abrede stellen können. Lassen wir uns nicht ablenken vom ganzen restlichen Gerede (Mehr links! Weniger rechts! Mehr rebellisch! Weniger brav!). Die Botschaft lautet nicht: Seid wie wir! Sie lautet: Seid keine Japaner!

Denn wie Japan sind wir in wirtschaftlich guten Zeiten groß geworden. Wie Japan haben wir gelernt: Ideologie ist obsolet und Politik die Sache der Bürokraten, Hauptsache der Wirtschaft geht’s gut. Die Gefahr, dass wir über unseren ökonomischen Sorgen unser politisches Bewusstsein verkümmern lassen (oder überhaupt keines entwickeln), ist real. Man will uns sagen: Vergesst nicht, dass es die absolut notwendige Vorbedingung einer Demokratie ist, dass jedeR Einzelne nicht nur die eigenen Interessen im Kopf hat, sondern immer auch das große Ganze mitdenkt. Dass die Wirtschaft nur eine Seite der Medaille ist – und dass auf der anderen die Macht verteilt wird.


Lesen:
The Economist – Lost in transition
Meredith Haaf – Hilfe, die Welt will was von uns
Martin Blumenau – Die acht Thesen der Meredith Haaf
Tom Schaffer – Über meine und andere Generationen sprechen (mit ein bisschen Wut)
Rafael Reisenhofer – Von wegen Veröden
Ingrid Brodnig – Rebelliert halt selbst, ihr alten Säcke!
Rafael Buchegger – Talking About My Generation: Das hässliche Entlein

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© farblos 2009 | Permalink | 5 Kommentare


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