| Ich will dir in die Augen sehen | Thordis Elva und Tom Stranger | Übers. Charlotte Breuer | Knaur, 2017 | 978- 3426214121 | 19,99 € |
Das Cover führt Euch zum Buch!
Eine Frau, ein Mann, eine Vergewaltigung – und der schwierige Weg von Gewalt zu Versöhnung: Erstmals schreiben ein Vergewaltigungs-Opfer und ein Täter gemeinsam ihre Geschichte auf. Ein tief berührendes Memoir ist entstanden über Schuld, Vertrauen und Vergebung.
Die Isländerin Thordis Elva ist 16, als sie von ihrem Freund vergewaltigt wird. Nach einer Party nutzt Tom, der australische Austauschschüler, ihre Wehrlosigkeit aus und missbraucht sie stundenlang. Danach ist für Thordis wie auch für Tom nichts mehr wie zuvor. Beide versuchen auf ihre Weise, das Geschehen zu verarbeiten – vergeblich. Bis Thordis Jahre später mit Tom Kontakt aufnimmt. Sie schlägt ihm ein Treffen vor, in Kapstadt, auf halber Strecke zwischen Reykjavik und Sydney. Ihr Ziel: Sie will Tom die Tat vergeben und so endlich die Opferrolle ablegen. Auch Tom hat seine Sicht der Dinge zu erzählen.
Dieser ehrliche und authentische Bericht einer emotional riskanten Begegnung ausgerechnet in Kapstadt, er statistischen Hochburg von Sexualverbrechen, spricht Frauen und Männer an – denn Vergewaltigung in der Partnerschaft ist ein heiß diskutiertes Debattenthema.
Wochen später bin ich immer noch geschockt. Ich schaue dieses Buch an, das sich einen Platz in meinem Regal verdient hat. Trotzdem werde ich es wahrscheinlich nie wieder lesen. Es hat mich gefesselt, es hat mich verstört und es hat mir gezeigt, wie stark ein Mensch sein kann.
Es ist bemerkenswert, dass eine junge Frau mit 16, eine heftige Liebe erlebt und dafür büßen muss. Was sich liest, wie etwas, das jeden Tag passieren kann, passiert wahrscheinlich auch jeden Tag. Ein Mann hat mit einer Frau Sex und diese will es gar nicht. Thordis Elva kann sich nicht wehren, da sie betrunken ist. Danach fühlt sie sich benutzt, aber denkt auch: hätte ich nichts getrunken.
Schlimmer ist nur noch, dass ihr Freund sie vergewaltigt hat. Der Mensch, den sich noch einmal treffen wird, wieder mit ihm Sex hat, um ihn diesmal zu zerstören. Sie findet viel Weg e mit der Vergewaltigung umzugehen. Erst merkt sie nicht, dass es sie beeinflusst, später redet sie darüber. Noch Jahre später sagt ihr Vater nicht viel dazu und das alles stürzt auf mich ein, denn ich lese ihre Geschichte.
Die Autorin ist direkt. Schreibt, was sie fühlt, erlebt und vor allem, was sie erleben will. Sie will ihm vergeben. Ihm, der ihren Körper missachtet hat, der am andere Ende der Welt wohnt und sich auch schämt.
Es war schwierig für mich, Tom zu mögen. Fast sofort legte ich ihm gegenüber eine bösartige Lesehaltung an den Tag. Aber mit der Zeit weicht die Autorin selbst diesen Hass auf. Was treibt einen Menschen dazu? Wie steht er zu Frauen, Feminismus und Selbsthass? Was kann ihm damals durch den Kopf gegangen sein? Viele Fragen, die Thordis sich stellt, stelle ich mir auch.
Tom Stranger kommt auch zu Wort. Ich lese Emails, die sie sich schicken. Spüre, dass er bereut und auch eine Last zu tragen hat. Ist es nicht gerecht? Die beiden finden eine Kommunikation, die manchmal weh tut, aber manchmal auch heilt. Thordis ist diejenige, die freiere Worte findet, mehr aufarbeitet und mit ihrer Seele kämpft. Sie ist ein starker Mensch und am Ende des Buches möchte ich den Hut vor ihr ziehen, denn sie hat die Worte tatsächlich in den Mund genommen: Vergebung. Für eine Tat, die mehr mit einer Seele und einem Körper anrichtet, als ich es mir vorstellen konnte und immer noch kann.
Man sollte es nicht Lieblingsbuch nennen, aber es ist so ehrlich, tatkräftig und hingebungsvoll erzählt, dass es eine Perle ist.
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