Ich war die beste Einkindmutter der Welt.
Ich las “Das kompetente Kind”, kniete mich in die Entwicklungspsychologie und baute Experimente der Verhaltensforscher nach.
Das Kind wurde vorbildlich (Körperkontakt!) im Tuch getragen, schlief sicher im Schlafsack und ohne Kuscheltiere, hatte keinen Schnuller und wurde ausgiebig gestillt.
Außerdem war ich eine unkomplizierte Mutter. Ich stillte überall, wo wir gerade waren, machte Wanderungen, traf mich mit Freundinnen und erledigte die Hausarbeit mit Kind auf dem Rücken abends, wenn es sowieso unruhig war und getragen werden wollte.
Dann bekam ich Zwillinge.
Mini-Frühchen-Schnullis waren das einzige, was ich ihnen geben konnte, um sie zu beruhigen. Die Muttermilch bekamen sie mit einer Spritze über die Nasensonde.
Bonding? Ha. Ich war froh, wenn ich jedes Kind einmal am Tag auf meiner Brust
spüren konnte, und selbst das schaffte ich kaum. Nach der OP war mein Kreislauf ganz, ganz unten.
An Stillen war in den ersten Wochen gar nicht zu denken, von Intimsphäre im Krankenhaus mal ganz zu schweigen, und später wollte die beiden nicht mehr. Also stillte ich schweren Herzens ab.
Wenn bei Sohni etwas nicht in Ordnung ist, dann heule ich immer noch. Zum Beispiel, als der Kindergarten die Zwillinge in getrennte Gruppen steckte. Zu tief stecken die Bilder von einem blassen, machmal bläulichen Sohni in meinem Kopf, und ich spüre noch seine Schädelknochen unter meinen Fingern, die aufgrund seiner Frühgeburt noch nicht zusammengewachsen waren und sich daher ständig verschoben.
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Außerdem hatte ich noch einen kleinen Jungen zu Hause, der die Aufregung um die kleinen Brüder im Krankenhaus nicht verstand. Als er sie das erste Mal sah, erlitt er einen Schock und verbrachte einige Stunden stumm bei mir im Krankenhausbett. Es waren wohl doch zu viele Kabel, zu viele Piepser und Lichter auf der Intensivstation.
Einmal rief ich den Krankenwagen, weil ich das Gesicht meines großen Sohnes nur noch zu Hälfte sah. Ich dachte, es wäre irgendwie ungewöhnlich, nur noch ein Auge zu sehen. Der Verdacht auf Schlaganfall erhärtete sich Gott sei Dank nicht. Statt dessen fragte der Arzt, ob mit meinem Mann alles in Ordnung sei. Er vermutete wohl häusliche Gewalt, aber ich war wohl einfach überfordert.
Jetzt, einige Jahre später schiebe ich einen großen Fehler der damaligen Zeit meinem Schlafmangel, meiner Überforderung und der umkommunikativen Übergabe einer Spritze zu, die das Eisen der nächsten Wochen enthielt.
Ich gab Maxe das Eisen in einer einzigen Dosis, weil ich dachte, dass die Spritze Tee mit der Tagesportion Eisen enthielt.
Ich schämte mich wochenlang und die Ärztin und die Schwestern behandelten mich mit harter Höflichkeit. Es war furchtbar, und Maxe musste zwei Nächte länger im Krankenhaus bleiben und litt unter schrecklichen Bauchkrämpfen.
Der Tag, an dem ich nach einem Antidepressivum verlangte.
Schließlich, im Februar, die Zwillinge waren seit acht Monaten auf der Welt und seit sechs Monaten zu Hause, fragte mich der Psychiater, ob ich noch an irgendetwas Freude hätte.
Ich dachte an Sohnes süßes Gesicht, an meine Babies – und schüttelte den Kopf.
Da war nichts mehr. Ich ging kaum aus dem Haus, stand neben mir, versorgte die Kinder mechanisch und war Gott dankbar, dass er manchmal eine Freundin vorbeischickte.
Außerdem kam ein Umzug hinzu, denn seitdem wir das erste Kind bekommen hatten, ging die höfliche Beziehung zur Vermieterin den Bach runter.
“Na, dann herzlichen Glückwunsch”, zischte sie, als sie von den Zwillingen in meinem Bauch erfuhr, “und übrigens möchte ich, dass Sie ausziehen.”
Mit Dreien ist es wirklich anders
ich will hier niemanden beleidigen, Ich kenne auch Einkindmütter, die wahnsinnig pragmatisch sind und Vierkindmütter, die entspannt sind wie ein Panda im Bambuswald.
Aber ich kenne auch die (meistens Einkind-)Mamas, bei denen augenscheinlich alles perfekt läuft, das Kind vor jedem Schlimm bewahrt wird, Mütter, die nur Markenklamotten kaufen und sich über Erzieherinnen ärgern, wenn diese nicht genügend achtgeben, dass die Kinder – und die Kleidung – nicht schmutzig werden.
Vor einigen Wochen waren der beste Ehemann von allen und ich unterwegs, mit einem Kind. Meine Güte, war das entspannend.
“So fühlt sich das also an”, sagte ich zum Mannen, “wie gemütlich ist das denn?”
Und da schlich sich der Gedanke ein, dass manche Bekannte und Eltern mich vielleicht gar nicht verstehen können.
Sie können vielleicht gar nicht nachvollziehen, dass ich abends zu k.o. bin, um zum Vereinstreffen zu gehen – das hat man mir so gesagt -, dass ich froh bin, wenn die Kinder überhaupt etwas anhaben, wenn sie in den Kindergarten gehen, egal ob die Hose nun Löcher hat oder das T-Shirt zu kurz ist, dass der Hof tage- oder wochenlang aussieht wie nach einem Tsunami, weil ich keine Kraft habe, um aufzuräumen oder gar die Brut zum selbigen zu zwingen.
Einem Einkind-Papa erklärte ich meine Strategie, immer nur die Ecke aufzuräumen, die gerade am schlimmsten aussieht. Sonst käme ich ja nie zum Ausruhen. Vermutlich war er gelinde entsetzt, aber mit nur einem Kind, dem nötigen Kleingeld und einer Allround-Putzfrau mit Kochallüren, ist ein Leben mit drei Wildfängen wohl gar nicht nachvollziehbar.
Manchmal schaue ich geradezu gütig auf die lieben, geduldigen Einkindmamas und -papas, die ihr Kinder mit Affengeduld in den Kindergarten bringen, während ich neben ihnen sitze und Kommandos belle, damit die Zwillinge zu Potte kommen, weil ich noch den Großen zur Schule bringen muss.
Gott sei Dank kann ich mit meinen Kindern reden, wenn ich es eilig habe, und meistens bummeln sie dann nicht mehr als üblich.
Und was ist jetzt anders?
Meine Kinder werden nicht (mehr) perfekt erzogen. All die Dinge, die ich gelesen habe, kann ich gar nicht anwenden. Ich komme auch gar nicht zum Lesen. “Forschergeist in Windeln” liegt ungelesen auf dem Nachttisch, dabei sind die Forscher schon längst ohne Windeln unterwegs. Ich bin auch nicht immer geduldig, höflich und ein Vorbild. Ich bin auch zickig, schlecht gelaunt oder ungerecht.
Ich habe gelernt – und das war anfangs wirklich schwer – mich zuerst um mich selbst zu kümmern: mich hinzulegen, wenn ich müde war, nicht ans Telefon zu gehen, wenn ich Ruhe brauchte, Schwimmen zu gehen, wenn auch mit der Angst im Nacken, dass der Ehemann nicht zurechtkommen wird.
Ich habe gelernt, dass es wertvoll ist, wenn ich mich entschuldigen kann, weil Kinder auf diese Weise lernen, wie man mit Fehlern umgeht. Ich gehe raus mit den Kindern, weil sie draußen besser gelaunt und besser zu ertragen sind. Ich gehe häufig um acht Uhr ins Bett und frühstücke morgens nicht selten mit Krümeln unter den nackten Füßen. Ich passe auf auf mich, damit die Depression kein neues Futter mehr bekommt. Ich lese vor, stundenlang, und wenn ich zu k.o. bin, schauen wir Filme über die Tierwelt Südamerikas oder hören Robbie. Tobbi und das Fliewatüüt und kuscheln, was das Zeugs hält.
Kurzum, wir machen wohl einfach das, was man Leben nennt.