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ntscheidungen und das Problem, diese „richtig“ und rechtzeitig zu treffen, gehören zu den häufigsten Anliegen im Coaching. Doch betrachte ich dieses Problem mit Entscheidungen nicht als eine Schwäche des Klienten. Vielmehr ist es seine beste Strategie, um etwas Wichtiges zu vermeiden.
Aber was eigentlich?
„Helfen Sie mir, meine Entscheidungsschwäche wegzukriegen. Sie haben doch auch mal Hypnose gelernt, geht das damit?“ Das waren die ersten Sätze der 33-jährige Ärztin am Telefon gewesen.
Und jetzt saß sie mir gegenüber, Frau L. seit zwei Jahren in der Facharztausbildung an einem hiesigen Krankenhaus.
„Ich muss drei wesentliche Entscheidungen in den nächsten Monaten treffen“ erzählt sie mir auf dem Spaziergang über den Philosophenweg. Erstens, bleibe ich in diese Klinik oder gehe ich an ein anderes Haus, denn mit dem Chef verstehe ich mich überhaupt nicht. Zweitens, bleibe ich bei meinem Freund, mit dem ich seit fünf Jahren zusammen bin, obwohl ich ihn nicht wirklich liebe. Und drittens, will ich mal Kinder? Und wenn ja, wann und mit wem?“
Entscheidungen treffen zu können, bedeutet ja erst einmal, dass man eine Wahl hat.
Und heute können wir soviel entscheiden wie nie zuvor. Es wirkt wie die große Freiheit. Früher fand man den Partner beim Tanzabend im Nachbarort. Die Berufswahl war vorgegeben durch die Berufe der Eltern oder die wenigen Alternativen am Ort. Heute können wir Partner auf der ganzen Welt kennenlernen. Und einen Beruf wählen, den es irgendwo im Land – oder auf der Welt – gibt.
Aber die immense Wahl- und Entscheidungsfreiheit hat die Menschen nicht glücklicher gemacht. Im Gegenteil. Psychologen sprechen von einer »Tyrannei der Wahl«. Je größer die Auswahl an Joghurt-Sorten, Automarken, Ferienorten – umso länger brauchen wir für unsere Entscheidung. Vor allem, wenn man Perfektionist ist.
Wie immer in meinen Coachings frage ich nach biographisch interessanten Details.
„Warum haben Sie sich denn für Medizin entschieden?“, wollte ich wissen.
„Meine Eltern waren selbständig, hatten ein großes Modehaus. Für die zählte nur Karriere. Das heißt, meine zwei älteren Brüder und ich, wir waren uns meist selbst überlassen oder die Oma kümmerte sich um uns.
Zur Medizin kam ich, weil ich mit meinem Beruf nicht einfach nur Geld verdienen, sondern vor allem Menschen helfen wollte.“
Die ersten zehn bis zwölf Jahre sind für unsere Persönlichkeit die prägendsten. Das Land, der Ort, die Menschen, mit denen wir damals täglich zu tun hatten, sind unsere Welt. Wir lernen die Regeln, die offiziellen wie auch die nicht geschriebenen Vorschriften, wie man sich verhält.
In meinen Persönlichkeitsseminaren mache ich mit den Teilnehmern eine Phantasiereise ins Elternhaus. Dabei können sie wie aus der Vogelperspektive beobachten, welche Regeln sie dort vorfanden und wie bestimmte Situationen gehandhabt wurden:
- Wie lebten die Eltern zusammen?
Waren Sie ein Paar oder eine Zweck- und Wohngemeinschaft? - Was ist der Sinn des Lebens?
Womit sind die Eltern am meisten beschäftigt. Wofür wird am meisten Zeit, Geld und Energie aufgewendet? - Wie geht man mit Konflikten um?
Wie machen das die Eltern? Wie laufen Streitereien zwischen den Geschwistern ab? - Wie wurde der Geburtstag des Kindes begangen?
Wurde er gefeiert? Wie – und wie fühlte sich das Kind dabei? - Wie wurde mit Krankheit, Trennung und Tod umgegangen?
Gab es Trost, Körperkontakt, Hoffnung? - Welchen Satz hätte das Kind gebraucht, den ihm ein liebevoller Erwachsener hätte sagen können?
Von Jesper Juul, dem dänischen Familentherapeuten stammt der Satz:
„Wer lernen soll, die richtigen Entscheidungen zu treffen,
dem müssen die Eltern auch die Möglichkeit geben, sich falsch zu entscheiden.“
„Wie war das in Ihrer Familie mit Entscheidungen?“, wollte ich von Frau L. wissen?
Sie lachte kurz auf: „Entscheidungen gab es bei uns nicht. Nur Regeln und Normen. Was man tut und was man nicht tut. Alles wurde auch daraufhin abgeklopft, was wohl die anderen Leute darüber denken könnten. Denn unser Modehaus in einer Kleinstadt war darauf angewiesen, dass die Kunden meine Eltern mochten und gut fanden.
Alles war bei uns geregelt. Welche Freunde zu uns nach Haus kommen durften. Welchen Sport wir lernen sollten, natürlich Tennis und Reiten, weil sich meine Eltern davon Werbung im Club versprachen. Diskussionen wurden abgebrochen mit dem Standardspruch „Wir wissen am besten, was gut für Euch ist.“
Hier wurde mir klar, dass die Klientin kaum eine Möglichkeit hatte, zu lernen, wie man Konflikte regelt. Und Entscheidungen sind ja im kern auch immer Konflikte, die man nicht mit anderen Menschen hat, sondern die in einem selbst ablaufen.
Wie in der Familie Konfliktkompetenz gefördert oder verhindert werden kann, darüber sagt Jesper Juul ein paar kluge Sachen:
- Um Eigenverantwortung zu übernehmen, brauchen Kinder Übung und die Sicherheit, dass sie ihnen nicht negativ angerechnet wird.
- Da ein Konflikt als eine Situation definiert ist, in der zwei Menschen etwas Unterschiedliches wollen, besteht mindestens die Hälfte der gemeinsamen Zeit von Kindern und Eltern aus Konflikten.
- Verstecken Sie nicht alle Konflikte vor Ihrem Kind – lassen Sie es lieber an der Lösung teilhaben.
- Die Qualitäten von Eltern bemessen sich nicht nach den Regeln, die sie ihren Kindern vorgeben, sondern nach der Art ihrer Reaktion, wenn diese Regeln gebrochen werden.
Entscheidungen trifft man immer.
Oder angelehnt an den Satz von Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren,“ lässt sich auch feststellen:
„Man kann sich nicht nicht entscheiden.“
Der Einwand, man könne eine Entscheidung doch überschlafen oder auf nächste Woche oder nächstes Jahr verschieben, trifft nicht. In dem Moment, wo Sie sich nicht für eine der zur Wahl stehenden Alternativen entscheiden, wählen Sie automatisch den Status quo, die gegenwärtige Situation.
Doch warum sind Entscheidungen überhaupt manchmal schwierig?
Das Schwierige an Entscheidungen ist, dass wir vorher nicht wissen, was richtig ist und was aus unserer Entscheidung folgt. Dadurch entsteht eine Unsicherheit, oft auch Angst. Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, eröffnen wir uns eine neue Möglichkeit, aber gleichzeitig verlieren wir auch etwas. Diese Angst, uns falsch zu entscheiden, bremst viele Menschen.
Deshalb erscheint es manchen Menschen sicherer, wichtigen Entscheidungen auzuweichen oder diese aufzuschieben. Man tröstet sich mit der Erkenntnis, man habe sich noch nicht entschieden, da die Optionen ja noch offen sind.
Doch sich nicht zu entscheiden, zieht uns unweigerlich in den Opfermodus. Statt selbst zu agieren, entscheiden die anderen oder die Umstände – und man kann nur noch reagieren.
Doch zurück zum Coaching mit Frau L.
„Sie sagten, dass es drei Entscheidungen gibt, die Ihnen schwer fallen. Ob Sie in dieser Klinik wollen. Ob Sie bei Ihrem Freund bleiben wollen, und ob Sie mal Kinder haben wollen. Wie haben Sie denn diese drei Entscheidungen getroffen?, fragte ich sie und ahnte schon ihre Antworten.
„Das habe ich nicht entschieden, das hat sich so ergeben. Mein Vater kannte den Chefarzt und vermittelte mich an das Krankenhaus. Meinen Freund kenne ich aus dem Studium als netten Kommilitonen. Er hat mich sehr umworben und irgendwann gab ich nach. Und das mit den Kindern. Ich habe bei meiner Mutter gesehen, wie schwierig es ist, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Bei ihr kam immer das Geschäft an erster Stelle. Dann ihr Pferd – und dann die Familie.“
Ein unbewusster Konflikt verhindert die Entscheidungen.
Etwa in der Hälfte meiner 3-h-Coachings habe ich genug Informationen und Ideen gesammelt, um eine Hypothese zu wagen, warum sich jemand so verhält wie er das tut.
Also welcher unbewusste Konflikt Frau L davon abhält, diese wichtigen anstehenden Entscheidungen zu treffen. Und wenn ich eine Hypothese habe, teste ich diese mit der Klientin, um zu überprüfen, ob wir auf der richtigen Spur sind.
Bei Frau L. hatte ich die Hypothese, dass sich in die „Opferrolle“ begeben hat, dass sie trotz ihrer 33 Jahre innerlich noch nicht von ihren Eltern abgelöst hatte und dass sie ihr Erwachsensein verweigerte.
Es würde jetzt nichts helfen, Frau L. diese Hypothese zu sagen. Sie vermutlich reagieren mit „Meinen Sie? Wie kommen Sie darauf? Aber ich arbeite doch als Ärztin, ich bin doch erwachsen!“
Unbewusste Konflikte müssen emotional vom Klienten erlebt werden, damit er spürt, dass an meiner Hypothese etwas dran ist. Dafür muss der Klient achtsam werden. Ich lernte diesen Ansatz 1980 (!) von Ron Kurtz, dem Gründer der HAKOMI-Methode. Damals kannte kein Mensch den Begriff „Achtsamkeit“ – außer ein paar Buddhisten. Aber von Ron lernte ich, wie wichtig dieser Zustand ist, um dem Klienten zu helfen, sich und seine Erfahrungen zu erforschen. nach dem Motto: „Warum tue ich das, was ich tue.“
In diesem Video erklärt Ron den Prozess in Kürze, mit dem ich heute noch arbeite. (Wenn Sie auf der Youtube-Seite die 3 Punkte unterhalb des Videos klicken, können Sie das Transkript dazu lesen.)
Ein solches „Experiment“, von dem Ron spricht, mache ich auch mit meinen Klienten. Dazu wähle ich, ausgehend von meiner Hypothese über den inneren Konflikt einen positiven Satz, von dem ich annehme, obwohl dieser Satz wahr ist, dass der Klient innerhalb von Sekunden mit Widerstand reagiert. Widerstand in Form von nicht glauben können, heftigen Gefühlen oder unangenehmen Körperempfindungen wie Druck, Enge oder Anspannung.
Zu Frau L. sagte ich deshalb, nachdem sie es ich im Sessel bequem gemacht und die Augen geschlossen hatte:
„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen: »Ich bin eine erwachsene Frau.«“
Die Reaktion war wie erwartet. Frau L. schüttelte den Kopf und berichtete, dass sie den Satz kaum rausgebracht hätte. „Als wäre der Satz eine dicke Lüge – oder eine Frechheit.“
Stellt sich die Frage, warum eine Frau in der Facharztausbildung Schwierigkeiten hat, einen solchen Tatsachensatz zu sagen? Wenn ich sie gebeten hätte, den Satz „Heute ist Dienstag“ zu sagen – auch eine Tatsache, hätte sie das ja problemlos gekonnt und nicht den Kopf geschüttelt.
Das hängt mit dem unbewussten inneren Konflikt zusammen, der jetzt deutlich wird. Doch warum ist dieser Satz so konflikthaft für die Klientin? Dazu hatte ich eine weitere Hypothese, die ich auch in einem Experiment überprüfen wollte.
Das mache ich meistens mit der Technik des „leeren Stuhls“, die ursprünglich von Fritz Perls entwickelt wurde. Ich stellte einen Stuhl in etwa zwei Metern Entfernung vor den Sessel der Klientin und bat sie, im Geist ihre Mutter in diesen Stuhl zu setzen.
Das klappt eigentlich immer sofort, auch wenn jemand noch nie so etwas gemacht hat. Dabei beobachte ich die Klientin genau und frage, was sich in ihr verändert hat, als die Mutter da saß. Durch diese Frage bekomme ich wichtige Hinweise auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter.
Frau L: sagte: „Ich bin sofort angespannt und würde am liebsten mit meinem Sessel wegrutschen. Mein Herz schlägt auch schneller.“
Um meine Hypothese der mangelnden Ablösung zu überprüfen, schlage ich der Klientin einen Satz vor, von dem ich annehme, dass er den inneren Konflikt noch etwas deutlich werden lassen. Ich sagte zu ihr:
„Ich bitte Sie, mal zu Ihrer Mutter den Satz zu sagen:
»Ich wollte nie so werden wie du!«“
Die emotionale Reaktion von Frau L. war heftig. Ihr schossen die Tränen in die Augen und schrie ihr den Satz nochmal zu: „Ich wollte nie so werden wie du!“
Wer als Erwachsener noch gegen die Eltern rebelliert, verpasst sein Leben.
Die Ablösung von den Eltern ist nicht einfach. Oft für beide Seiten. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Ablösung zu vermeiden. Bei der ersten passt man sich an, bleibt auch geographisch in der Nähe. Entweder gleich im Elternhaus oder maximal 20 Kilometer Luftlinie.
Die zweite Möglichkeit, die Ablösung zu vermeiden, ist die Rebellion. Da zieht man zum Studium oder zur Ausbildung mindestens 350 Kilometer weg. Weil man frei sein will – und dafür braucht man viel Abstand. Aber Rebellion ist wie Anpassung, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
„Der Satz „Ich wollte nie so werden wie du!“ hat Sie sehr durchgeschüttelt“, sagte ich zu Frau L. „Warum eigentlich?“
„Weil mir schlagartig bewusst wurde, dass es stimmt. Ich wollte nie so werden wie sie. So karrierebesessen. So wenig für uns Kinder da. Immer nur daran interessiert, wie sie bei anderen ankommt. Trotz all dem modischen Putz ist sie ist so spießig!“, antwortete bitter die Klientin.
„Die gute Nachricht ist: Nicht so zu werden wie Ihre Mutter, das haben Sie geschafft“, sagte ich. „Die schlechte Nachricht ist: Vor lauter Rebellion gegen sie haben Sie versäumt, Ihr Eigenes zu finden. Weil Sie sich ungern entscheiden und lieber andere Menschen oder die Umstände entscheiden lassen. Und deswegen fühlen Sie sich auch nicht erwachsen.“
Im weiteren Verlauf der Sitzung erarbeiteten wir dann Möglichkeiten, wie Frau L. sich auf eine gute Weise von ihrer Mutter lösen könnte. Und was sie tun würde, wenn sie sich – wie durch ein Wunder – plötzlich wirklich als erwachsene Frau fühlen würde. Erstaunlicherweise kamen dann plötzlich sehr vernünftige Ideen und sie war sehr hoffnungsvoll.
Bei einem Follow-up nach 3 Monaten schrieb sie mir, dass sie sich von ihrem Freund getrennt habe und bei drei Kliniken Vorgespräche geführt hatte.
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