Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik

Markus Kupferblum - Wien

Markus Kupferblum im Interview mit European Cultural News

Markus Kupferblum inszenierte die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann bereits einmal in New York und brachte im Dezember die Koproduktion der Schlüterwerke mit der Opera Moderne New York nach Wien. Neben einem hochrangigen Gesangsensemble agierte das Klangforum Wien und garantierte so höchste musikalische Qualität.

Wir trafen uns einige Tage nach den Aufführungen, die in der Maria-Theresien-Kaserne stattfanden, zum Interview. Der Theatermacher stand noch ganz unter dem Eindruck der ausgebuchten Vorstellungen an diesem außergewöhnlichen Spielort. Neben den Abendvorstellungen waren an einem Vormittag auch 18 Schulklassen eingeladen und er knüpfte gleich zu Beginn unseres Gespräches an seine Eindrücke dieser Vorführung an.

Es herrschte eine irre Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen. Der Verteidigungsminister und die Kulturministerin waren bei der Schülervorstellung anwesend, nicht in der ersten Reihe, sondern sie setzten sich mitten unter die Kinder, die für mich fast enttäuschend brav waren. Für viele von ihnen war es ihre erste Oper überhaupt. Für uns war aber nicht nur die Aufführung selbst mit Arbeit verbunden, sondern wir haben in 18 Klassen Vor- und Nachbearbeitungen durchgeführt.

Was hat die Kinder in der Nachbearbeitungsphase denn am meisten interessiert?

Viele haben gefragt, warum gesungen wird und nicht gesprochen. Ich habe versucht, ihnen das anhand ihrer eigenen Erfahrungen zu erklären und die Gegenfrage gestellt, wann sie selbst denn singen würden. Da haben sie rasch verstanden, dass sie ihre Gefühle mit dem Gesang stimmiger ausdrücken können, als mit reiner Sprache. Eine weitere häufig gestellte Frage war, ob der Kaiser absichtlich mit einem Schwarzen besetzt wurde. Ja natürlich habe ich das absichtlich gemacht. Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik. Nur mit politisch unkorrekter Kunst kann man Lösungskompetenz für soziale Probleme aufzeigen, nur so kann man auch den Leuten Mut machen, zu jenen Menschen zu werden, die sie selbst eigentlich sein könnten. Die Politik kann die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben schaffen, aber erst die Kunst kann den richtigen Ansporn dazu bringen. Bei den Kursen habe ich mit den Kindern in einer Gruppe das Problem der Ausgrenzung thematisiert. Also das Thema, das in der Oper behandelt wird. Sie haben in der eigenen Gruppe ein rothaariges Mädchen ausgesucht, das sie dazu auserkoren hatten, von der Gruppe ausgegrenzt zu werden. Ein zweites Mädchen war türkischstämmig, aber im Gegensatz zur Rothaarigen, die alles über sich ergehen ließ, hat dieses ihre Freundinnen aktiviert, die ihr beigestanden sind, sich vor sie hingestellt haben und aktiv gegen die Ausgrenzung aufgetreten sind. Ich habe das rothaarige Mädchen ermuntert, sich zu wehren, was sie dann auch getan hat. Das sind Erfahrungen, die können die Kinder auch später in ihrem Leben einsetzen, wenn es nötig ist.

Wie sind sie zur Besetzung des Kaisers durch Vince Vincent gekommen?

Er hat bei einer Audition, die wir in N.Y. veranstaltet haben, überzeugt. Er kannte die Rolle und war schon zuvor dafür besetzt worden, wollte aber nur in der ihm bekannten, nämlich letzten Fassung von Viktor Ullmann singen. Ich aber wollte die ursprüngliche Fassung, nämlich die erste und radikalste auf die Bühne bringen. Die meisten Regisseure glauben, dass die letzte Fassung, wie sonst allgemein üblich, die vom Komponisten autorisierte ist. In diesem Fall war das aber aufgrund der Umstände anders. Ullmann hat die Oper mit seinem Librettisten Peter Kien im KZ in Theresienstadt geschrieben und dann drei Mal entschärft, aus jeder Fassung mehr Sprengstoff herausgenommen. Sie hofften ja, dass sie die Oper im Lager aufführen durften, und scheiterten jedoch bis zum Schluss an der Zensur. Aus diesem Grund ist also die erste und nicht die letzte Fassung jene, welche die meiste Brisanz innehat. Als Vince diese Argumentation hörte, hat er zugestimmt und jetzt ist es so, dass er nur mehr diese Fassung singen möchte.

Wie kam es zur Aufführung in einer Kaserne?

Aus der Not heraus, denn ich habe in Wien keinen Raum gefunden, der passend, leistbar und verfügbar gewesen wäre. Eigentlich war die Adaptierung eines Gebäudes des Heeres für kulturelle Zwecke eine juristische Pionierarbeit, das hat vorher noch niemand gemacht. Nachdem die anfängliche Skepsis verflogen war, haben beide Seiten alles getan, um das Projekt möglich zu machen. Vom Justizminister abwärts bis zum Militärkommandanten für Wien habe ich nur Positives erlebt. Ich hatte das Glück, dass mir Oberst Klug von der Infrastrukturabteilung bei der Unternehmung sehr geholfen hat und enorm kooperativ war. Nicht nur, dass es sich um ein sensibles Gelände handelt, auch die Halle selbst steht unter Denkmalschutz, was bedeutete, eine Menge von Genehmigungen einzuholen. Wir mussten auch die komplette Infrastruktur, die für die Aufführung einer Oper notwendig ist, dazumieten, die dann auch abgenommen werden musste. Das war dann schließlich auch teuer und zeitintensiv. So mussten wir, um den Boden der Halle zu schonen, allein 900 m² Teppichboden verlegen. Es war aber nicht nur Neuland für das Bundesheer, auch ich habe einen ganz neuen Blick auf die Institution gewonnen. Viele Soldaten haben uns vor Ort geholfen und ich habe erlebt, dass auch Freigänger der Jugendstrafanstalt in der Kaserne einen Arbeitsdienst verrichten. Das finde ich sehr gut, denn sie werden dafür bezahlt, üben eine sinnvolle Tätigkeit aus und sind dabei in die Gemeinschaft voll integriert. Mir war das vorher überhaupt nicht bewusst, dass das Bundesheer eine so wichtige soziale Aufgabe übernimmt.

Wie haben die Künstlerinnen und Künstler diese spezielle Umgebung empfunden?

Das Feeling für die Künstlerinnen und Künstler war schlichtweg der Hammer. Sie haben abseits des Geschehens auf der Bühne, das im KZ Theresienstadt geschrieben worden war, am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn man sich in einem hochbewachten Gelände aufhält und unter ständiger Kontrolle steht. Nicht nur, dass eine Zutrittskontrolle für jeden Einzelnen notwendig war, es wurde vor der Premiere etwa auch eine Hundestaffel des Mienensuchdienstes eingesetzt, da sich der Bundespräsident angekündigt hatte. Das Arbeiten in einer Kaserne mit all den rundherum notwendigen Sicherheitsvorkehrungen war ein direktes, einschneidendes Erlebnis für alle – auch für das Publikum.

Sie sind dafür bekannt, den Finger auf die sozialen und politischen Wunden unserer Zeit zu legen.

Unsere Arbeit ist nicht nur wichtig, sondern sie ist sogar notwendig. Wer behauptet, dass Kunstförderung Luxus sei, verkennt die künstlerische Arbeit, die dazu dient, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Ich kenne Diktaturen in anderen Ländern und habe ihre Mechanismen am eigenen Leib erfahren. Ich will nicht, dass dasselbe hier bei uns auch passiert. In meiner Arbeit geht es um das Thema Ausgrenzung und damit, was mit den Ausgegrenzten passiert. Im Nationalsozialismus waren es die Sinti, Roma und Juden und man kann sagen, dass die Ausgrenzung schon mit einem Judenwitz beginnt. Heute muss man sich fragen, warum derzeit eine so heftige negative Imagewerbung gegen Türken gemacht wird, wenn man nicht vorhat, irgendwann gegen sie einen Krieg zu beginnen.

Sie glauben tatsächlich, dass Hetze gegen türkischstämmige MitbürgerInnen in einen Krieg münden kann?

Schauen, Sie – genauso ungläubig und blauäugig, wie Sie mich das jetzt fragen, genauso ungläubig waren auch die Menschen im Dritten Reich – bis es nicht mehr gelang, das Regime an der Verfolgung der Juden zu hindern. Das Schlimme an der derzeitigen Verfolgung der Sinti und Roma ist, dass diese im Gegensatz zu den Juden, keine Lobby haben. Anders als bei den Juden haben sie keine Leute die in wichtigen sozialen Positionen sitzen. Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Wir müssten unser Verhalten als Bringschuld für die Minderheiten sehen und diese als Bereicherung unserer Gesellschaft und nicht als Bedrohung erkennen.

Sie arbeiten über diese Oper hinaus ansonsten mit einem eigenen Ensemble und firmieren unter dem Label „Schlüterwerke“. Wie kamen Sie zu den Künstlerinnen und Künstlern?

Nachdem ich für meine Projekte keine mehrjährige Förderung von der Stadt Wien erhalten hatte, für die ich schon oft eingereicht hatte, war ich sehr deprimiert. Da hat mir Thomas Haffner vom Brick 5 seine Hilfe angeboten, in seinem Gebäude in der Fünfhausgasse proben und spielen zu dürfen. Daraufhin habe ich ein Inserat geschaltet „Suche nach Leuten für ein experimentelles Musiktheaterensemble…. man wird aber damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten können.“ Das wurde deshalb nicht unter „Jobs“, sondern unter „Sonstiges“ veröffentlicht. Normalerweise melden sich ca. 300-400 Leute innerhalb einer Woche für ein Casting an wenn ich Leute suche, diesmal waren es ganze 12. Und die waren alle ganz speziell. Ich bin sehr dankbar, mit diesem Ensemble arbeiten zu können; das sind Béla Bufe, Ingala Fortagne, Florian Hackspiel, Andrea Köhler, Ulla Pilz und Julia Schranz auf der Bühne und dann noch all jene, die hinter der Bühne mitwirken. Beim „Kaiser von Atlantis“ waren das meine Assitentin Heike Sunder Plaßmann, Johanna Jonasch, die die Vermittlung mit den Schulen betreut hat oder Martina Theissl. Ich bin sehr glücklich über diese Leute die allesamt hervorragend sind. Es ist eine Gnade und Freude, mit ihnen zu arbeiten und zu sehen, dass sie sich auf den Wahnsinn einlassen, ohne Gagen zu spielen. Das heißt so viel, dass wir durch die Kulturpolitik in einen „Amateurismus“ gezwungen werden, da wir ja auch alle nebenher Geld verdienen müssen. Genau damit liefern wir aber der Kulturpolitik Argumente, uns abzustellen, denn irgendwann einmal werden wir womöglich die Qualität nicht mehr halten können. Gefördert werden hauptsächlich große Institutionen, weil diese nicht gefährlich werden können. Ein Kulturtanker ist behäbig und die Entscheidungsstruktur funktioniert so langsam, dass sie kaum Kanten entwickeln kann. Die feigsten Kulturpolitiker geben den größten Organisationen das meiste Geld – das kann man als mathematische Formel auffassen und anhand des jährlichen Kulturberichts überprüfen. Das Neue wird in Österreich konsequent be- und verhindert.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ja, ich arbeite an einer Oper, die im 17. Jahrhundert von einem Guarani Indianer in einer Jesuiten Mission in Bolivien geschrieben wurde und den Titel „San Ignacio“ trägt. Mit dem Komponisten Renald Deppe und dem Dichter Bodo Hell bearbeiten wir dieses Werk und nennen es dann „San Ignacio – eine Dschungeloper“. Ich bin wie immer auf der Suche nach einem geeigneten Aufführungsort und könnte mir das Jesuitentheater in der Wollzeile sehr gut vorstellen. Zumal es hier auch eine schöne Querverbindung gibt, wurde doch Glucks Orpheus und Eurydike in diesem Saal uraufgeführt. Ob sich das allerdings realisieren lässt, ist noch nicht sicher. Ich glaube die Dinge immer erst bei der Premierenfeier. Was ich mich schon gefreut habe auf Sachen! Und kaum hab ich es ausgesprochen, war´s auch schon weg!

Schon in die Realität umgesetzt wurde jedoch Kupferblums literarische Arbeit mit dem Titel „Die Geburt der Neugier aus dem Geist der Revolution“. Das Buch behandelt die Entstehung der Commedia dell`Arte und zeigt ihre große Aktualität für die dramaturgische Umsetzung unserer heutigen Lebensgeschichten. Es ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen und wird am 12. Jänner 2014 im Theatermuseum dem Publikum präsentiert.

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