Ich blogge, also bin ich: Vom publizistischen Ungehorsam

26.11.2011 – Es war im März diesen Jahres, als ich mir Georg Schramms Programm „Meister Yodas Erbe“ angeschaut habe. Vielleicht kennt Ihr das: Bei den ersten paar Sätzen muss und will man noch lachen. Seine Rollengestaltung, seine Sprache, sein Wortwitz und das Gelächter im Publikum laden dazu ein.

Ich blogge, also bin ich: Vom publizistischen UngehorsamDoch dann kommt der Moment, in dem man seine Aufmerksamkeit den vermeintlichen Scherzen an der Oberfläche des Vortrags entzieht und in dem mir das Lachen im Hals stecken bleibt. Und gleichzeitig mit Schramm werde ich erst nachdenklich und schließlich zornig.

Und ich laufe im Zimmer auf und ab und ich weiß nicht wohin mit meinem Zorn. Und ich schreie die Wände an und dann mich selber. Ich schalte Schramm auf Pause und beruhige mich. Dann setze ich die Wiedergabe fort und augenblicklich ballen sich meine Hände unwillkürlich zu Fäusten.

Ich blogge, also bin ich: Vom publizistischen Ungehorsam

Wohin mit dem Zorn?

Noch in derselben Nacht mache ich mich im Web auf die Suche nach einer Möglichkeit, meine Meinung zu veröffentlichen, mit anderen zu teilen und zu diskutieren. Ich lande beim „Freitag“, genauer gesagt im Community Bereich der Online-Ausgabe der Zeitung. Nach der Anmeldung kann man dort Blogbeiträge veröffentlichen. Gut.

Ich sehe im französischen Fernsehen die Übertragung einer Rede des libyschen Außenministers Mussa Kussa, der sich an die Weltöffentlichkeit wendet und darum bittet, dass Beobachter ins Land geschickt werden, um sich vor Ort selber einen Eindruck von den Verhältnissen zu machen, bevor sie sich zum Eingreifen entscheiden. Insbesondere wendet er sich dabei übrigens an Deutschland.

Nun kann die Beurteilung des Gaddafi-Regimes, der UN Resolution, der damalige Enthaltung Deutschlands oder des Eingreifens der Nato ganz unterschiedlich ausfallen. Auch kann man verschiedener Auffassung über die Einladung des libyschen Außenministers sein. Allerdings gehört zum vollständigen Bild, dass hierüber berichtet wird. Und in Bezug auf die Rede von Mussa Kussa fehlte in den deutschen Medien jeglicher Hinweis.

Und so erschien am 19. März 2011 beim Freitag mein erster Artikel und wenige Wochen später, genauer gesagt am 8. Mai diesen Jahres, habe ich dieses Blog eröffnet.

Ich blogge, also bin ich: Vom publizistischen Ungehorsam

Ich blogge, also bin ich

Sobald man beginnt zu bloggen, verändert sich alles. Als erstes wächst die eigene Aufmerksamkeit gegenüber anderen Medien. Wer selber schreibt, der will auch wissen, was andere publizieren. Der Rundfunk, das Fernsehen, die Presse, andere Blogs und Leserkommentare werden wichtiger. Der Tag beginnt mit einem ausgiebigen Studium der „Nachrichtenlage“.

Der Ärger über die oft schlampigen Recherchen der bekannten Nachrichtenredaktionen, über das gegenseitige Abschreiben und Nachplappern von Schlagzeilen und über die Gleichförmigkeit der öffentlichen Berichterstattung führt zu dem Wunsch, nach eigener, tiefgründiger Recherche.

Plötzlich beschäftigt man sich weitaus intensiver mit dem politischen Tagesgeschehen, forscht nach Quellen, Zitaten und Hinweisen und wird dadurch selber immer mehr zum Experten der Themen, mit denen man sich regelmäßig befasst. Die Geschwindigkeit, mit der man eine Nachricht, ein Statement oder eine Entwicklung einordnen kann, erhöht sich. Die eigene Urteilsfähigkeit und die Sicherheit, mit der man seine Standpunkte vertritt, wachsen. Der Umgang mit Sprache wird geübter und souveräner. Und mit jedem einzelnen Leser wächst das Gefühl, dass man einen regelrechten Auftrag hat, sich mit Themen auseinanderzusetzen und selber darüber zu berichten.

Beim ersten Artikel im „Freitag“ ging es mir nur darum, meinen Zorn loszuwerden. Über einen Adressaten hatte ich nicht nachgedacht. Dementsprechend groß war die Überraschung, als der Beitrag gleich von drei Lesern kommentiert und von einem auf Facebook geteilt wurde. Angesichts der unerwarteten Aufmerksamkeit habe ich mich erschreckt und kurz darüber nachgedacht, das Bloggen sofort wieder einzustellen. Meine Empörung wollte eigentlich kein Publikum.

Beim Schreiben an einen Leser, an ein kritisches Gegenüber zu denken, verändert die eigene Haltung grundlegend. Es entsteht das Gefühl, eine Verantwortung zu tragen. Andere verlassen sich auf die Informationen, die man vermittelt. Mein eigenes Urteil fließt in die Meinungsbildung anderer ein. Das Bewusstsein hierüber bedingt eine noch gründlichere Recherche und eine strengere Überprüfung von Quellen und eigenen Standpunkten. Und ganz nebenbei realisierst Du, dass Du Einfluss gewinnst. Deine Arbeit, Deine Schlussfolgerungen und Deine Standpunkte haben eine Wirkung auf die Meinung anderer Menschen.

In dem Moment, in dem Dir das klar wird, hat sich Dein Zorn längst in Aktion verwandelt. Es ist das Ende Deiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Du wachst aus dem Gefühl der Hilflosigkeit auf und stellst fest, dass es nur eine Illusion, nichts tun zu können.

Ich blogge, also bin ich: Vom publizistischen Ungehorsam

Publizistischer Ungehorsam

Die ersten Tage im Blog sind aufregend. Ich bin Dauergast auf meiner eigenen Statistikseite. Ich begrüße jeden einzelnen Leser mit stillem Jubel.

Im Mai schreibe ich über den plötzlichen Unfalltod von Günter Amendt. 31 Menschen lesen meinen Text. Ich stelle mir mehr als 30 Personen in einem Raum vor und bin beeindruckt. Und ich denke darüber nach, ob mein Artikel vielleicht dazu geführt hat, dass einer von ihnen an Amendt gedacht und seine Bücher noch einmal hervorgeholt hat.

Wenige Tage später kommentiert Henryk M. Broder in der Welt die Tötung Osama Bin Ladens. Unter dem Titel „Ihr feigen Deutschen seid passiv-aggressiv!“ schreibt er über den Antiamerikanismus, über Kinderschänder, über die Sicherheitsverwahrung und kommt schließlich auf die Mauertoten und die Opfer des DDR-Regimes zu sprechen. Im Ergebnis rechtfertigt er Bin Ladens Tötung und macht sich über jeden lustig, der angesichts des Todes eines Menschen nicht in begeisterten Beifall ausbricht.

Abschnitt für Abschnitt quäle ich mich durch Broders Artikel. Ich verfolge jedes Zitat, jede Quelle, jeden Spott und jede Behauptung. Ich widerlege nach Kräften. Ich forsche nach den Lücken in seiner Argumentation und arbeite mich an seiner Häme ab. Ich bin körperlich erschöpft, nachdem ich mit meinem Artikel fertig bin. Und diesmal zähle ich schon am ersten Tag 192 Leser.

Vor ein paar Tagen erregt wieder ein Kommentar in der „WELT“ meine Aufmerksamkeit. Freya Klier macht hier die Linkspartei für den Rechtsextremismus in Deutschland verantwortlich. Und mittlerweile sind es bereits am ersten Tag knapp 5.000 Leser, denen ich meine Sichtweise und meinen Standpunkt hierüber vermitteln kann.

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich jeden dazu ermutigen, selber im Internet zu publizieren. Gedanken und Einsichten mit anderen zu teilen. Eine individuelle Form von publizistischem Ungehorsam und Gegenöffentlichkeit zu entwickeln und zu pflegen. Sich intensiv mit den Themen zu beschäftigen, von denen man ahnt, dass sie in der Öffentlichkeit unangemessen behandelt werden und die Medienlandschaft um Sichtweisen zu ergänzen, die es sonst nicht geben würde.

Macht Euch laut! Nutzt die digitale Gesellschaft! Und verwandelt Euren Zorn in schreibende Aktion!

 



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