Ich bin dann mal Winterschlafen!

Foto: Maren Stein -  Liegen bleiben: Fünf Monate im Winterschlaf. Knuth hat es für uns geträumt.

Foto: Maren Stein - Liegen bleiben: Fünf Monate im Winterschlaf. Knuth hat es für uns geträumt.

Knuth leidet unter Winterempfindsamkeit und möchte am liebsten in den Winterschlaf fallen. Sein Traum: Die gesamte Menschheit vom Nordpol bis zum Südpol fällt in einen Winterschlaf.

Der Wind rüttelte am Fenster und Regen schlug gegen die Scheibe. Ein nasskalter Wintermorgen weckte mich auf. Draußen wartete ein weiterer trostloser Tag. Wer will da schon raus? Ich blieb liegen. Die Bettdeckenwärme lähmte mich. Ich schloss die Augen und träumte gegen den Sturm an.

In meinem Traum taten wir Menschen es den Siebenschläfern oder Bären gleich. Zum Ende des Sommers verlangsamte sich unser Stoffwechsel. Wir wurden immer müder und fielen in einen mehrmonatigen Winterschlaf.

Alles verschliefen wir. Alles ruhte.

Daunenjacken, Heiligabend, Feuerwerk, Winter-Sales, Vierschanzentournee, Hüttengaudi, Helene Fischer Weihnachtsshows, UGG-Boots, Bundesligarückrundenstart, Eiskratzen, Neujahrsansprachen, Black Fridays oder Glühwein kannten wir nicht.

Foto:Kung Shing -  Die Menschen im globalen Winterschlaf. Die Erde dreht sich einfach weiter.

Foto:Kung Shing - Die Menschen im globalen Winterschlaf. Die Erde dreht sich einfach weiter.

Wir kannten nur den Frühling, den Sommer und ein bisschen Herbst.

Wenn es kälter wurde, verschwanden die Menschen langsam in ihre Betten. Ich war noch einer der wenigen Wachen und schlurfte durch die leeren Gänge eines Supermarktes. Ich wollte mir noch einmal richtig viel Eiscreme gönnen. Es hatte nur noch eine Kasse auf. Der Kopf der Kassiererin lag auf dem Laufband. Sie schlief. Ich weckte sie und bezahlte. Wir wünschten uns zum Abschied noch schöne Winterträume und ein schönes Erwachen im April.

Ich schob meinen mittlerweile 127 Kilo schweren Körper durch die leeren und dunklen Straßen. Zu Hause angekommen nahm ich den Fahrstuhl. Wertvolle Kalorien zu vergeuden war eine Sünde. Denn der Winterspeck sorgte dafür, dass ich im Frühling gesund wach wurde. Jeder Mensch brauchte ungefähr 120 Kilo, um gesund durch den Winter zu kommen. Experten empfahlen sogar etwas mehr zu essen, weil so ein Winter manchmal länger dauert. Ich war gut vorbereitet, weil ich an einem Zunehmkurs bei den Fat-Watchern mitgemacht hatte. 30 Kilo in zwei Monaten versprachen sie und tatsächlich klappte es. Ich hatte sogar sieben Kilo mehr als sonst auf den Rippen. Meine Facebook-Freunde waren ganz neidisch auf meine Wampe.

Einsam am Küchentisch aß ich ein sehr weiches Eis. Alles schien wegzuschmelzen. Ich machte mir Musik an und hörte Marvin Gaye. Meine Frau fehlte mir.

Vor fünf Tagen war meine Frau in den Tiefschlaf gefallen. Sie schlief immer vor mir ein. Dafür wurde sie im Frühjahr immer eher wach. Wenn ich verschlafen und um einige Kilo leichter vor ihr stand nahm sie mich in den Arm. Sie hielt mich lange fest und stellte immer die Schneefrage. Die Schneefrage gehört zu unserem Frühlingserwachungsritual: „Ob ich noch den Schnee mitbekommen habe?“, wollte sie dann immer wissen. Einmal passierte es. Es schneite viel zu früh und ich machte ihr einen Schneeball. Ich bewahrte ihn in der Kühltruhe für sie auf. Sie freute sich, wie ein kleines Kind darüber.

Foto: Kung Shing -  Eiszeit: Draußen ist es kalt und dunkel. In unser Betten träumen wir vom Sommer.

Foto: Kung Shing - Eiszeit: Draußen ist es kalt und dunkel. In unser Betten träumen wir vom Sommer.

Mein Herz klopfte immer langsamer. Beim dritten oder vierten Löffel nickte ich ein. Marvin sang den „Inner City Blues“. Ich summte mit und kam immer wieder aus dem Takt. Ich warf das Eis in den Müll. Schade um den Zucker, dachte ich.

In Zeitlupe schlich ich durch die Wohnung. Schaute noch einmal nach unseren Vorräten. Alles war voll. Sicher ist sicher, falls einer von uns zu früh wach wurde oder zwischendurch mal wach wird, wird er nicht verhungern.

Im Bad betrachtete ich meinen kahlen Kopf im Spiegel. Der Friseur hatte alle meine Haare abrasiert. Der Winterschlaf mag die Körperfunktionen verlangsamen, aber die Haare wachsen im gewohnten Tempo weiter. Wenn ich wach werde, sind sie schulterlang. Im Frühjahr einen Friseurtermin zu bekommen, ist oft schwierig, weil alle ihre langen Winterzotteln loswerden wollen. Ich trag dann immer einen Zopf. Das Frühjahr ist eine stressige Zeit, aber auch eine schöne Zeit. Alle erledigen dann alles, was liegen geblieben ist und holen das Versäumte nach.

Sekundenschlafanfälle verlängerten mein Duschen. Meine Haut war schon ganz schrumpelig. Ich zog meinen Flanellschlafoverall an. Dann ging ich ins Schlafzimmer und setzte unser Wohnungssystem auf Audiopilot. Die Jalousien gingen runter und unsere Wohnung versank in absoluter Dunkelheit.

Ich legte mich ins Bett zu meiner Frau. Ich hielt ihre Hand und dachte über ihr Dornröschengeschenk nach, das ich ihr auf den Küchentisch gestellt hatte. Das machen alle Männer so. Die Frauen bekommen von uns teure Dornröschengeschenke, wenn sie wieder aufwachen. Sie wünschte sich eine Handtasche. Nach Jahren hatte ich sie endlich bekommen, ich hoffte sehr, dass sie ihr gefällt.

Der Wind rüttelte am Fenster und der Regen schlug gegen die Scheibe. Ein nasskalter Wintermorgen kündigte sich an. Draußen warteten trostlose Wochen. Wer will da schon raus? Die Bettdeckenwärme lähmte mich. Ich schloss die Augen und träumte gegen den Sturm an.

Ich fiel in den Winterschlaf.

Foto: Kung Shing -  Mit der Kälte beginnt das großen Gähnen. Wie satte Babys fallen wir in den Schlaf.

Foto: Kung Shing - Mit der Kälte beginnt das großen Gähnen. Wie satte Babys fallen wir in den Schlaf.


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