Vom 19.bis 21.September fand in Leipzig zum 12. Mal der ElsterCon statt, der alle zwei Jahre vom Freundeskreis Leipzig organisiert wird. Ich hatte die große Freude, dort Ehrengast zu sein.
In der Szene schwärmen alle zu Recht vom ElsterCon, einer familiären und gleichzeitig hochkarätigen Veranstaltung rund um das Thema Fantastik und Science-Fiction, die im wunderbaren Haus des Buchs in Leipzig stattfindet. Bereits bei der Ankunft sah ich viele bekannte Gesichter, und obwohl es mein erster Besuch war, habe ich mich gleich wie zu Hause gefühlt. Eine Überraschung der angenehmen Art war, als ich Jürgen Schütz vom Wiener Septime Verlag traf, der seine James Tiptree Jr. Biographie vorgestellt hat (beim Septime Verlag ist meine Kurzgeschichte „Der letzte Cowboy“ erschienen).
Bei der Eröffnung am Freitagabend wurde das traditionelle Video zu den Ehrengästen der bisherigen ElsterCons gezeigt, anschließend stellten Boris Koch und Christian von Aster, beide sind unter anderem Autoren der SF-Serie „Justifiers“, im Rahmen eines humorvollen Vortrags die Ehrengäste vor. Passend zum Motto des diesjährigen Cons „Tatort Zukunft“ war eine Leiche gefunden worden – die Realität. Daraufhin stellte sich die Frage nach dem Täter. Verdächtigt waren, wie könnte es anders sein, die Ehrengäste: Philip Kerr (GB), Lavie Tidhar (GB), Ian Tregillis (USA), Edward Lee (USA), Jean-Marc Rochette (F), Julie Phillips (USA), Robert Corvus, Uwe Schimunek, Karlheinz Steinmüller, Dirk van den Boom, Christian von Ditfurth und meine Wenigkeit. Ein Motiv hatten alle, aber verblüffenderweise leugnete nur einer die Tat.
Vom Wesen des Wumperlumps
“Man is a killer“
Am Samstag standen spannende Diskussionen auf der Tagesordnung. Im Forum „Tatort Zukunft“ diskutierten Philip Kerr, Christian von Ditfurth, Henner Kotte und Lavie Tidhar über die Natur des Verbrechens. Souverän moderiert und übersetzt wurde das Ganze von Dirk van den Boom. Es zeigte sich, dass die Meinungen weit auseinander gingen.
Sex crimes à la Orwell
Interessanterweise sieht Philip Kerr beim Töten keinen Unterschied zwischen Polizisten und Verbrechern. Bei der Frage nach neuen Verbrechen nannte er sex crimes à la Orwell. Als Beispiel nannte er einen Mann, der zurzeit in Großbritannien vor Gericht steht, weil er vor dreißig Jahren die Brust eines Mädchens berührt hat. Einbrüche in seiner Heimat müssten die Opfer selbst aufklären, weil die Polizei damit beschäftigt wäre, persönliche Beleidigungen auf Twitter zu verfolgen.
Nach dieser sehr interessanten Diskussion habe ich mir eine Auszeit auf der begrünten Terrasse des Hauses des Buchs genommen. Ein schöner, inspirierender Ort mit Kastanienbaum und Trauerweide. Dort konnte ich Energie tanken, bevor meine eigene Lesung begann, die von Sabine Seyfarth klasse moderiert wurde. Trotz der Parallelveranstaltung mit Bestsellerautor Edward Lee waren viele Zuhörer gekommen. Dass Autorenlesungen moderiert werden, hat mir am ElsterCon besonders gefallen, denn dadurch entwickeln sich interessante Diskussionen rund um Buch und Autor. Die jeweiligen Moderatoren bereiten sich vor, lesen vorab die Bücher und stellen zwischen den Auszügen Fragen, was meines Erachtens fürs Auditorium eine echte Bereicherung ist.
Hundefotos und mehr
Alle Welt reißt sich um ihn, und nun werden nach Jahren der Dürre seine Zeichnungen und Gemälde in großen Galerien ausgestellt. Am 4. Oktober nimmt er an einer Veranstaltung im Egyptian Theatre in Los Angeles statt, bei der „Snowpiercer“ und ein Dokumentarfilm über Jean-Marcs Werdegang vorgestellt werden. Der Illustrator ist auch leidenschaftlicher Kletterer und großer Hundeliebhaber, und so blieb nicht aus, dass wir versucht haben, uns mit Fotos und Anekdoten unserer treuesten Freunde gegenseitig auszubooten. Natürlich habe ich mir ein signiertes Exemplar der „Schneekreuzer“-Trilogie besorgt.
Was ist ein Anti-Held?
Danach begaben wir uns zur letzten Veranstaltung zum Thema „Anti-Helden“, das von dem liebenswerten Autor Robert Corbus moderiert wurde. Außer Jean-Marc und mir, der mich zwischenzeitlich darum gebeten hatte, als seine Übersetzerin zu fungieren, nahmen noch Ian Tregillis und Lavie Tidhar teil. Schnell waren wir uns einig, dass Anti-Helden spannendere Figuren sind als Superhelden, allerdings standen wir während der Diskussion vor dem Problem, den Typus Anti-Helden eindeutig zu definieren – wie auch die Fragen aus dem Auditorium bewiesen. Was unterscheidet den Anti-Helden vom normalen Helden oder gar vom Bösewicht? Da hatte jeder eine andere Vorstellung. Klar war, dass er eher aus egoistischen Gründen handelt als der selbstlose Superheld.
Als es um die Frage ging, ob die Autoren bei den Handlungen ihrer Anti-Helden Grenzen ziehen, ob es Tabus gäbe, meinte Ian, dass Kinder für ihn tabu wären. Hingegen erzählte Jean-Marc, dass der Anti-Held Proloff in „Schneekreuzer“ bereit wäre, eine Mutter zu töten, nur um ihr Kind essen zu können. Der Schock im Auditorium war deutlich spürbar. Prickelnderweise fügte er hinzu, dass Proloff im Film von Chris Evans gespielt wird, der auch Captain America gemimt hat – der Inbegriff des makellosen Superhelden.
Ein gemütlicher Ausklang
Nach diesem spannenden Austausch ließen alle den Abend gemütlich am Büffet ausklingen. Das Essen war äußerst lecker und die Gesellschaft charmant. Was mir bei der Veranstaltung auffiel: Science-Fiction Fans interessieren sich beileibe nicht nur für das Morgen, sondern diskutieren leidenschaftlich gern über das Hier und Jetzt. Facebook, NSA und Kapitalismus waren äußerst beliebte Themen!
Zum Schluss möchte ich den Organisatoren ganz herzlich für den warmherzigen Empfang und das tolle Programm danken, speziell Manfred Orlowski und Thomas Braatz samt seiner bezaubernden Familie. Es war sicherlich nicht mein letzter ElsterCon-Besuch. I’ll be back! Offizielle ElsterCon-Website