I believe in America

New Orleans ist die Stadt des "Big Easy": leicht, lebenslustig, tolerant. Über das Pride-Festival im French Quarter, über Donald Trump und Amerika, über die Freiheit und ihre Feinde. Ein Essay? Ein Manifest!

New Orleans - Es ist ein Satz, der vor drei Jahren noch wie die Dystopie eines schlechten Drehbuchautors geklungen hätte: Donald Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Darüber wird nun auf der ganzen Welt gespottet, aus Überheblichkeit, müder Verzweiflung oder nackter Angst. Spott ist leider die einfältigste Reaktion auf diese Entwicklung der Dinge. Doch es werden jetzt auch große Fragen gestellt: Ist Amerika am Ende? Hat der Westen versagt oder doch bloß die Linke, diese dummen Gutmenschen? Wie ernst kann das werden, was als schlechter Witz begann? Oder, wie es Trump selbst in einem für ihn typischen Moment maximaler Unschärfe formulierte: What the hell is going on?

Man kann reisen, einfach weil's schön ist. Um auf Instagram zu beeindrucken. Weil es Zerstreuung in einen stupiden Alltag bringt. Glauben Sie mir, nichts ist so leicht, wie in ein Flugzeug zu steigen und zu meinen, nun würde alles anders. Man kann aber auch reisen, weil man die Wirklichkeit verstehen will. Das Ziel ist dann: Welterkenntnis - und daraus eine Haltung entwickeln, einen Kompass. What the hell is going on?

Die Suche nach einer Antwort führt in dieser Geschichte nach New Orleans. Moment, werden Sie nun sagen, will der Autor uns mit einer beliebigen Momentaufnahme aus einer Großstadt in Louisiana die Welt erklären? Wie kann er mit der Lupe die großen Linien finden? Aber ich verspreche Ihnen, es lohnt sich, bleiben Sie dran.

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New Orleans also, Sommer 2016. Es ist ein brütend heißer Samstag, ich stehe zwischen den Hochhäusern auf dem Bürgersteig des Roosevelt Way und schwitze fürchterlich. Ich bin erst gestern gelandet und habe diesen Amerika-Flash, der jeden Deutschen bei der Ankunft in den USA trifft, noch nicht ganz verarbeitet: die breiten Straßen, weil die Leute nicht gerne laufen; die brutal heruntergekühlten Diners, wo alles immer too much ist; die unverbindliche Kumpelhaftigkeit der Zufallsbegegnungen, die man erst einmal konsequent missversteht.

Es bleibt wenig Zeit sich zu sammeln. Die Stadt ist bereit für eine große Party und, fuck yeah, ich bin es auch. An diesem Wochenende ist New Orleans Pride, und was das bedeutet, werde ich in den kommenden Stunden erleben, in denen ich einfach durch die Straßen laufe - ein nüchterner Deutscher, der vom Sound, vom Lebensgefühl der Stadt mitgerissen wird.

Der Höhepunkt des New Orleans Pride ist die große Parade. Sie führt durch das berühmte French Quarter. Es heißt zwar so, wurde aber zu einem großen Teil von den Spaniern erbaut, nachdem es einmal niederbrannte. Die Straßen sind gesäumt von meist dreistöckigen Häusern im Kolonialstil. Ausladende Balkone und Galerien, gusseiserne Geländer, Anstriche in Pastellfarben: eine reizende Kulisse.

Das Viertel wird am Pride-Wochenende zu einer noch größeren Partyarena als sonst. Seine Lebensader: die Bourbon Street, die Playa de Palma von New Orleans. Das ist auch abseits des Festivals die Saufmeile für auftrainierte College-Jungs in Tank Tops, die sich gegenseitig als "bros" bezeichnen und von den Bars spielend leicht zu "3 for 2" Shots verführt werden. Und natürlich kommen auch College-Girls - eigentlich jeder, der es krachen lassen will.

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Das New Orleans Pride heißt nicht Gay Pride, weil es eben keine Veranstaltung nur für Schwule ist. Sondern auch für Lesben, Bisexuelle, Transmenschen und alle, die man unter queer subsumiert. Heteros, die sich das ganze Spektakel anschauen wollen, machen natürlich auch gerne mit. Es ist also ein Event für jeden Menschen, der sich schlicht und ergreifend feiern will, so wie er ist.

In den Straßen sieht man Studenten und Silberhaarige, gestandene weiße Geschäftsleute in weiten Hosen und schwarze Hipster, barbusige Frauen und halbnackte Männer, korpulente Mittelklasse-Paare und sportliche Modeltypen, Breakdancer, Jazz-Musiker und Trommler-Kids, Rumtreiber und Reiche, eine Omi verkleidet als bunte Tanzfee, einen um Weed bittenden Gandalf und ganz viele Menschen, die optisch erst einmal völlig unauffällig sind. Homos und Heteros, Schwarze und Weiße - alle feiern zusammen eine ordentliche Party, bei allen Unterschieden. Die Flaggen an den Balkonen zeigen es: Letztlich ist jeder hier immer noch ein verdammter Amerikaner!

Der Abend dämmert, als die Parade die Frenchman Street mit ihren berühmten Jazz-Bars erreicht. Ich sitze vor einem Lokal und habe ein Bier offen, hinter mir spielt drinnen eine Brassband, die Menschen laufen ausgelassen an mir vorbei, hinein in die schwül-warme Nacht und die Verlockungen, die da draußen noch auf sie warten. Ich bin ein berauschter Zuschauer, der das viel beschworene "Big Easy" miterlebt - die große, leichte Lebensfreude von New Orleans. Plötzlich wird mir klar: I believe in America.

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Nun werden Sie einwenden: Das ist doch verrückt! Fünf Monate nach dem Pride haben sie Trump zum Präsidenten gewählt. Ist das nicht der letzte Beweis dafür, dass der Glaube an Amerika endgültig verloren ist? Eine manische Illusion?

Tatsächlich befinden sich die USA im Niedergang. Die Finanzkrise 2007/2008 war nur der Höhepunkt einer langen Entwicklung. Die Nation war damals schon überdehnt, vor allem im Innern. Das amerikanische Versprechen geriet ins Wanken. Plötzlich sollte auch jeder ein Haus haben, der sich keines leisten konnte. Auf Kredit. Und weil es auf dem Immobilienmarkt zuging wie beim Goldrauch, dachten viele, der Wert ihres Hauses stiege immer weiter, sodass man sich gleich noch ein zweites Haus leisten wollte. Die Banken, die das Konsum-Kartenhaus hätten durchschauen müssen, taten nichts. Nein, sie befeuerten den Rausch durch ihre Gier - bis zum Kollaps. Die Kredite platzten.

Hunderttausende Amerikaner landeten auf der Straße. Und die Verantwortlichen wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Occupy Wall Street scheiterte. Die Banken zahlten weiter fette Boni, die Ungleichheit im Land ist eklatant groß. Das Vertrauen der Menschen in die Gerechtigkeit wurde schwer erschüttert. Amerika, ein geplündertes Land.

Obama musste aufräumen - doch er tat es nur halbherzig. Zwar führte er die USA aus der wirtschaftlichen Depression und schuf Jobs. Doch die Gesellschaft blieb gespalten, die Gräben zwischen Demokraten und Republikanern wurden noch tiefer. Und dann Ferguson, Charleston, Baltimore, Baton Rouge: vier besonders skandalöse Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze. Es gab Hunderte. Amerika, eine zerrissene Nation, moralisch am Ende. Zu ihrem neuen Präsidenten wählte sie schlussendlich einen Reality-TV-Star und Narzissten, der so differenziert abwägt wie ein Binärcode. Wie konnten die Amerikaner nur so doof sein?

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Wir Deutschen wissen es natürlich immer besser. Wie ließ Max Frisch bereits 1957 seinen Walter Faber in "Homo Faber" über den weißen Amerikaner schimpfen: "Ihre rosige Bratwursthaut, gräßlich, sie leben, weil es Penicillin gibt, das ist alles, ihr Getue dabei, als wären sie glücklich, weil Amerikaner, weil ohne Hemmungen, dabei sind sie nur schlaksig und laut [...] die Schutzherren der Menschheit, ihr Schulterklopfen, ihr Optimismus, bis sie besoffen sind, dann Heulkrampf, Ausverkauf der weißen Rasse, ihr Vakuum zwischen den Lenden." Denken Sie da nicht auch gleich an den vermeintlich typischen Trump-Wähler, der angeblich so dumm und abgehängt sein soll?

Das Verhältnis der Deutschen zu den Amerikanern ist etwas kompliziert. Die USA haben uns von der Gaskammern-und-Vernichtungskrieg-Diktatur der Nazis befreit. Erst unter ihrer Ägide ist die schamhafte Nachkriegs-BRD geläutert, und viele konnten ihnen das offenbar nie verzeihen, weshalb sie dann, wann immer sich Amerika moralisch schuldig machte, mit dem Finger voller Häme über den Atlantik zeigten - der Böse sitzt im Weißen Haus!

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Nein, Trump ist keine Verkörperung von Amerika. Er hat in einem extrem gespaltenen Land sehr knapp die Wahl gewonnen. Im popular vote lag Hillary Clinton mit 2,8 Millionen Stimmen vorne. Die Mehrheit des Landes hat sich gegen Trump entschieden, doch wegen des Wahlmänner-Systems wurde er Präsident.

Im Grunde sagt das Ergebnis der Wahl mehr über die Republikaner als über die Demokraten, mehr über die Konservativen als über die Linken: Sie waren bereit, einem populistischen Möchtegern-Messias zu folgen, während der andere Teil Amerikas nur den Kopf schüttelte und Witze riss. Bloß war das eben auch zu wenig.

Was ist das große Versprechen Trumps und der Grund dafür, dass er so oft gewählt wurde? Make America Great Again. Vor allem die Älteren haben Trump gewählt. Sie wünschen sich eine Welt zurück, in der der weiße Arbeiter noch keine Konkurrenz aus China hatte, Schwule ihren Schweinskram nur in ihren eigenen vier Wänden veranstalteten und Frauen gefälligst die Klappe hielten, wenn der Mann ihnen das Leben erklärte. Es ist die Sehnsucht nach einer Welt, die es nicht mehr gibt und die auch nicht mehr wiederkommen wird, zumindest im Westen. Doch Trump beschwört noch einmal die große Restauration.

In Deutschland wurde viel über das Versagen der linksliberalen Eliten geschrieben. Die Linke habe zum Beispiel dafür gesorgt, dass Menschen nur wegen einer unbedachten sexistischen Äußerung gleich ihren Job verlieren und gesellschaftlich vernichtet würden. Sie habe es mit der Political Correctness zu weit getrieben. Die Linke konnte nicht begreifen, dass sich so viele von ihren guten Absichten abgestoßen fühlten. Warum? Das Ende der Massenbeschäftigung bedroht die Existenz vieler Menschen. Das Heer der working poor wird irgendwann "wegrationalisiert", aussortierte Menschen ohne Sinn und Ziel. Wem es gut geht, der ahnt, dass es damit bald vorbei sein könnte. Gleichzeitig gibt man diesen Menschen zu verstehen, dass ihre letzten verbliebenen Überzeugungen (Nationalstolz, weiße Überlegenheit, traditionelles Familienbild) überholte Ansichten rückständiger Idioten sind. Der globalisierte Kapitalismus bedroht die Jobs, die Linke die Identität. Und so formierte sich Widerstand.

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Nun muss die wohlstandsgesättigte Linke erleben, wie die neue Rechte den Spieß umdreht - in den USA, in Frankreich, auch in Deutschland. Der Anspruch an zivilisierte Mindeststandards wird zur Meinungsdiktatur, Kritik zu Zensur. Missliebige Politiker werden zu Volksverrätern, freie Medien zur Lügenpresse, Mahner zu Denunzianten. Freilich darf jenes, was man angeblich nicht mehr sagen darf, im Fernsehen vor einem Millionenpublikum ausgebreitet und frei ins Internet geschrieben werden. Es geht den autoritären Rechten also gar nicht darum, vermeintliche Denkverbote zu überwinden, sondern einer bestimmten Ideologie zur Durchsetzung zu verhelfen.

Wie sieht diese Ideologie aus und warum ist sie so gefährlich? Der Populismus sagt nicht: Wir sind das Volk. Sondern nur wir sind das Volk. Ob Trump, Le Pen oder AFD: Sie alle setzen sich mit dem Volk gleich, so kommt der Volkswille erst durch sie zur Entfaltung. Dass sie eigentlich große Teile der Bevölkerung gegen sich haben, wird negiert. Diese Haltung ist antipluralistisch und damit antidemokratisch. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich: Wer so denkt, ist ein Feind der Freiheit.

Und das Ziel der Autokraten ist letztlich, die Freiheit abzuwickeln. Von Muslimen, Homosexuellen, Medien, Oppositionellen aller Art. Es sieht so aus, als passierte dies nun sogar in den USA, dem "land of the free". Aber kann das wirklich gelingen?

Amerika hat es noch immer geschafft, innere Zwietracht zu einen. Man denke nur an den Bürgerkrieg. In New Orleans war das nicht anders. "George Bush doesn't care about black people", sagte einst Kanye West, nachdem die Metropole am Golf von Mexiko durch den Hurrikan Katrina 2005 fast vollständig zerstört wurde. 80 Prozent der Stadt standen unter Wasser - man überlegte, sie komplett aufzugeben. Die Schwarzen traf es besonders hart, und die Regierung kümmerte sich nicht um sie, lautete der Vorwurf. Doch die Leute bauten New Orleans wieder auf, die Stadt erlebte eine Renaissance.

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Heute steht New Orleans besser dar denn je. Und Reisenden lieben es. Vor Katrina gab es etwa 800 Restaurants in der Stadt, jetzt sind es mehr als 1400. Zur 300-Jahre-Feier der Stadt 2018 will man die Marke von zehn Millionen Besuchern knacken. Aber das sind Zahlen. Man muss hin, rein, in die Straßen, mit den Leuten feiern. Es ist der lässige und tolerante Vibe, der NOLA auszeichnet (der Bürgermeister ist übrigens Demokrat). Das "Big Easy" lebt wieder, obwohl die Zeiten lange alles andere als leicht waren.

Mir wurde am ersten Tag in New Orleans auch gleich ein blödes Gangstafilm-Klischee um die Ohren gehauen. Ich stand vor meinem Hotel (netterweise das Fünf-Sterne-Haus The Roosevelt) und trug dandyhafte Lederschuhe, eine Wollhose, ein Hemd und eine Armbanduhr mit roségoldener Lünette. Auf dem Bürgersteig bewegte sich ein kantiger Schwarzer in weißem Unterhemd und mit schwerer goldener Halskette in meine Richtung. Er hätte guten Grund gehabt, mir abschätzig zu begegnen, diesem white kid in seinem verkackten Streber-Outfit. Aber als der Mann vor mir stand, grüßte er nett und sagte: "I like your watch, maaan." Warum auch nicht? Ich Trottel.

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Vielfalt ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Die USA wissen das am besten und haben es deshalb so gut drauf. Trump, der immerhin in Queens zur Welt und in Manhattan zu Geld kam, müsste es eigentlich auch wissen. New York ist ja nicht die coolste Stadt der Welt, obwohl sie so multikulti ist, sondern genau deswegen. Make America Great Again? Welch bittere Ironie: Es ist gerade die Freiheit, die Amerika so großgemacht hat.

Dass diese Einsicht von vielen nicht geteilt wird, hat mit der Außenpolitik der USA zu tun. Vietnam, die Iran-Contra-Affäre, die Aufrüstung der Mujaheddin in Afghanistan: Im Ringen mit dem großen Systemfeind war den Amerikanern fast jedes Mittel recht. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging es aus anderen Motiven weiter: Irak 2003 war ein illegaler Angriffskrieg, in Folge dessen über die Jahre mehr als 100.000 Menschen getötet wurden. Amerikas Tragödie: Die innere Freiheit ging viel zu oft auf Kosten der Freiheit der anderen.

Die amerikanische Gesellschaft am Fehlverhalten ihrer Regierungen zu messen, ist trotzdem ein Denkfehler, der hierzulande in ermüdenender Regelmäßigkeit vollzogen wird. Dabei müsste Deutschland eigentlich schlauer sein. Schließlich stand das Land, als es noch geteilt war, unter dem Einfluss zweier rivalisierender Systeme, und wir wissen ja, wie die Geschichte ausgegangen ist: Der Trabbi war ein albernes Auto, mein Vater floh vom Osten in den Westen, und Sergey Brin ist nicht in der Sowjetunion geblieben, um dort eines der einflussreichsten Tech-Unternehmen der Welt zu gründen.

Amerika ist nicht am Ende. Der Westen und seine freien Gesellschaften bleiben für die Menschen auf der ganzen Welt ein Sehnsuchtsort. Die Linke hat zwar auch versagt, aber in erster Linie das Wirtschaftssystem. Es wird sich zeigen, wie lange Trump so tun kann, als seien die USA sein Land. Er ist nicht "the people". Der Widerstand formiert sich, nicht nur in New Orleans, wo die Freiheit zur amerikanischen DNA gehört. I believe in America.


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