Hyperdensity - kommt euch näher!

von Simon Argus

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in Städten - dort haben sie alle wichtigen Versorgungseinrichtungen in Reichweite und können sich auf kurzem Wege vernetzen. Das nutzt auch und gerade den ärmeren und unterpriveligierten Schichten der Stadtbewohner. Der Begriff "Hyperdensity" für hochverdichtete Städte bekommt einen positiven Unterton.
Hyperdensity - kommt euch näher!Deshalb wachsen besonders die Städte in Entwicklungsländern rasant. Dass die hohe Dichte von Menschen, Infrastruktur und sozialen Netzen ein großer Trumph ist, haben aber noch lange nicht alle Stadtentwicklungsbehörden verstanden: Anstatt die entstehenden Slums für Ihre Bewohner sicherer zu machen, strebt man danach, hochverdichtete Städte umzubauen und "besser kontrollierbar" zu machen: Indem sie in die Breite entwickelt werden.
In Städten wie Kairo oder Mumbai leben heute mehr als die Hälfte der Bewohner in informellen Vierteln. Die Dichte dort ist hoch, der Zugang für Feuerwehrfahrzeuge und Sicherheitsdienste schwierig und die sanitären Zustände teilweise katastrophal. Deshalb lautet die Devise: Umsiedlung. Neue Satellitenstädte weit entfernt von den Zentren werden errichtet - in Kairo zum Beispiel die Stadt des sechsten Oktober, in Mumbai entstand Navi Mumbai.
Die Vorteile der Satelliten scheinen auf der Hand zu liegen: Bessere Luft, bessere Gesundheit. Neue Schulen und mehr Raum zum Wohnen, für Parks und vor allem für Straßen. Für die Sicherheitsbehörden lassen sich die neuen Viertel viel besser überwachen. Doch scheinbar haben die Bewohner der informellen Viertel und Shanty-Towns das Konzept nicht verstanden: Sie bleiben zum größten Teil wo sie sind. Die neuen Städte auf der grünen Wiese wachsen viel langsamer als erwartet, lediglich gut verdienende Städter gönnen sich hier ein Idyll im Grünen - meist mit hohen Mauern drumherum und SUVs in der Garage, die nächste Einkaufsmöglichkeit ist nämlich etwas entfernt. Und hier liegt das Problem: Durch die geringere Dichte der neuen Städte werden die Entfernungen größer. Die Bewohner sind plötzlich auf Autos oder ein gut funktionierendes Nahverkehrssystem angewiesen. Früher konnten sie die allermeisten Wege billig zu Fuß erledigen. Soziale Netzwerke sind weniger stabil, die alten Netzwerke aus den informellen Gebieten gehen verloren. Der Individualismus als Wert westlicher Gesellschaften erscheint den Bewohnern Kairos oder Mumbais offenbar weniger wertvoll als die Nähe zu Nachbarn und Verwandten, die in Zeiten der Krise unterstützen und in Zeiten des Aufschwungs helfen, voran zu kommen. Hyperdensity - kommt euch näher!Seit diese Erkenntnis auch zu den Stadtplanern durchgedrungen ist, hat ein Umdenken eingesetzt. Auch im Hinblick auf die ressourcenschonende nachhaltige Entwicklung wird die Intensivierung bereits genutzten Raumes heute als der bessere Weg verstanden. Die Intensivierung verhindert den sogenannten Urban Sprawl und maximiert die Effektivität öffentlicher Investitionen - speziell des öffentlichen Verkehrs.
Aber wo ist das Limit? Ab welcher Dichte verändert sich die Situation insofern, dass negative externe Effekte überwiegen und Hyperdensity zum Problem wird? Diese Frage muss zum einen kulturell - nach den jeweiligen Vorstellungen wie nah Menschen zu ihren Nachbarn leben möchten - und zum anderen mit Blick auf die Infrastruktur beantwortet werden. Wenn Städte wachsen müssen also drei Dimensionen beachtet werden:
Die Verdichtung: Macht das zentrumsnahe und vernetzte Leben bezahlbar, da auf geringem Raum viele Immobilien verfügbar sind und hält Infrastrukturkosten niedrig.
Die Kapazität der Infrastruktur: Die Infrastruktur muss an die Dichte angepasst werden, Transportsysteme müssen belastbar sein und informelle Viertel brauchen eine Verbesserung beispielsweise ihrer sanitären Anlagen, ihres Feuerschutzes etc.
Die Lebensqualität: Sie kommt teilweise mit der Dichte - dadurch, dass es niemals weit ist ins Kino, zum Einkaufen etc. Andere Dinge müssen unterstützt werden: Auch in hochverdichteten Vierteln können Dachgärten angelegt werden und in verkehrsberuhigten Bereichen Kinder sicher spielen.
Das Konzept der hohen Dichte ist nicht nur für Entwicklungsländer attraktiv sondern wird zunehmend auch in Europa und sogar den USA übernommen. In Paris wurde der Stadtentwicklungsplan insofern verändert, dass anstelle neuer Viertel an den Rändern der Stadt, die existierenden Vororte besser erschlossen und verdichtet werden. Speziell das Zentrum von Paris leidet unter exorbitanten Immobilienpreisen - weil aufgrund der Bauverordnungen hier nicht weiter verdichtet werden kann - bis heute gibt es kaum Hochhäuser in der Stadt.
Natürlich heißt das nicht, dass in Paris zukünftig Wolkenkratzer den Blick auf den Eiffelturm verstellen. Aber durch eine neue Ring-Metro sollen die zentraleren Vororte an Attraktivität gewinnen. Durch die Wiedereinführung der Straßenbahnen und die Begrünung einst lärmender Boulevards soll die Lebensqualität in hochverdichteten Bereichen des Großraums erhöht werden. Mittelfristig soll damit die Wanderung der Bevölkerung aus dem Ballungsraum in die noch ländliche Umgebung gebremst werden.
Auch in Shanghai kümmert man sich um das Problem der Dichte und des Landschaftsverbrauchs. Dort sind bereits heute die Kapazitäten gegeben um die hohe Dichte effektiv zu versorgen. Rund um Transport- und Infrastrukturknoten werden hochverdichtete Viertel angelegt, dafür ist die horizontale Ausbreitung der Stadt eher gering. Hier ist die Hauptherausforderung die Erhöhung der Lebensqualität. Die rapide Industrialisierung und der Fokus auf die Produktion haben die Belange der Bewohner häufig in den Hintergrund treten lassen.
Bilder: (oben:) Hohe Dichte in einem informellen Viertel von Kairo - durch die relativ kostengünstige Verbesserung der Infrastruktur und Formalisierung solcher Viertel ist den Bewohnern mehr geholfen, als mit neuen weitläufigen Vierteln draußen, vor der Stadt.
unten:) Nicht für alle Menschen gleichfalls attraktiv: Wer sich kein Auto leisten kann, ist in diesem Wohngebiet im Speckgürtel von Miami nicht gut aufgehoben. (eigene Bilder)

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