Hollande befreit Merkel

Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass die Kanzlerin vom Sparkurs nie überzeugt war. Bereits gestern, als die Abkehr von ihrem Spardiktat für Europa an europäischen Wahlurnen deutlich wurde, habe sie sich kritisch im inneren Kreise geäußert. Sie wollte nie ein Sparprogramm entwerfen, wurde dazu gedrängt und möchte endlich den Befreiungsschlag für Europa wagen. Sie soll von "staatlichen Investitionen" gesprochen haben, von einer Politik des Ausgebens, nicht des Zurückhaltens. "Wer bei griechischen Rentnern spart", so meinte die sich auf der Couch räkelnde Merkel zu Kauder, "der dürfe sich nicht wundern, dass die Wirtschaft absäuft." Kauder soll bejaht haben - er habe das immer so gesehen, nie anders. Merkel bestätigte, dass dies auch immer ihr Bauchgefühl gewesen sei - einige Minister, die man eilig anrief, erklärten selbiges.


Nach einem weiteren kurzen Telefonat mit Hollande am gestrigen Abend, soll sich die Kanzlerin dann endgültig bestätigt gesehen haben. Der neue Präsident der französischen Republik meinte, Merkel müsse umdenken, auch im Hinblick auf künftige Wahlen in ihrem Land. Merkel äußerte im vertrauten Kreis, dass sie oftmals nur auf den scheidenden französischen Präsidenten gehört habe - sie wollte kein Sparprogramm, aber Sarkozy habe sie genötigt. Kauder bestätigte dies. Und einige Minister, die man eilig anrief, wussten ebenfalls zu berichten, dass es an Sarkozy lag.


Das sei ähnlich gewesen wie damals, als Atomlobbyisten sie bedrängt hätten, den Atomausstieg aufzugeben. Auch damals sei sie gedrängt worden und habe ihre wirkliche politische Haltung erst beweisen können, als ihr das atomenergiefeindliche Volk die Grundlage verschaffte. Kauder pflichtete bei, auch er hasse die Atomkraft schon immer. Und einige Minister, die man ans Telefon holte, bekräftigten, dass es nie anders war als so, wie es Merkel erklärt.


Merkel danke Hollande jedenfalls aufrichtig, erklärte sie Kauder in einem vertraulichen Gespräch. Auch dem griechischen Wählern danke sie, was sie aber nicht zu laut sagen wolle, um Kai Diekmann nicht zu verärgern. Kauder meinte, er unterstütze diesen Kurs, den Griechen nicht danken zu wollen. Einige Minister, die man anrief, waren selbstverständlich auch für einen solchen Kurs. Endlich könne sie die Politik machen, die sie immer machen wollte, seufzte Merkel erleichtert auf.
Merkel wolle in den nächsten Tagen eine Rede halten und darin deutlich machen, dass wir eine Abkehr von der Sparpolitik benötigen, um Europa zu retten. Sie habe außerdem niemals Konzepten zugestimmt, die die Folgen der Krise auf die Schultern der Schwachen lastet, sondern stets für eine Besteuerung hoher Einkommen plädiert. Kauder auch. Sämtliche Minister sehen es ganz ähnlich. Was Hollande da vorschwebt, so wird Kauder dann in Mikrofone schwäbeln, habe Merkel bereits vor Monaten angesprochen. Es ginge ähnlich zu, wie damals, als die Sozialdemokraten von Mindestlöhnen sprachen, während Merkel sie schon von langer Hand geplant hatte - während sie Kauder schon forderte - während sie die Ministerriege schon favorisierte.
Regierungssprecher Seibert ist dazu angehalten, Vorwürfe des Opportunismus mit Lob und Anerkennung für Merkel aufgrund des Erkennens der Nöte in Europa zu kontern. Außerdem soll er erklären, dass es ein Sparprogramm nie gegeben habe - nur als Kampfbegriff der Opposition, um die Regierung in Misskredit zu bringen. Wer als Journalist weiterhin behaupten würde, dass man Griechenland totsparen wollte, der müsse sich vorwerfen lassen, seinen Job nicht seriös zu betreiben.


Auf Fragen aus dem Frankfurter Umland und aus Stuttgart, wie denn die Kanzlerin zu Stuttgart 21 und zum Lärmterror gegenüber Anliegern des Frankfurter Flughafens stehe, soll Seibert freundlich aber bestimmt antworten, die Kanzlerin spreche sich für Mobilität und Fortschritt aus. Bis auf weiteres...


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