Himmelfahrt – Wohlfahrt – Höllenfahrt

oder, was wir schuldig sind

Stéphane Hessel bezog sich jüngst auf den Begriff der „Empörung“, der für Spinoza zu den verdächtigen Affekten gehöre. Und er meinte, es komme „auf einen durch den Verstand geläuterten Affekt an, der ein Ziel kennt.“

Mathias Greffrath hat in einem wundervollen in NDR Kultur heute gesendeten Text ein Beispiel dafür gegeben: die Dinge, die uns empören, beim Namen zu nennen und uns an unsere Verantwortung zu erinnern. Das Ziel wird deutlich sichtbar, und er macht einen Vorschlag, der so einfach ist – und uns doch so schwer zu machen erscheint. Er legt den Finger in die Wunde unserer epidemisch verbreiteten vermeintlichen Ohnmacht!

Nehmen wir uns die Zeit, in der berechtigten Empörung auch unseren Verstand arbeiten zu lassen. Das sind wir uns und denen, die nach uns kommen, schuldig: damit nicht aus der uns verheißenen Wohlfahrt eine Höllenfahrt wird!

„Was wir schuldig sind“

von Mathias Greffrath

„… Die alten staatsbürgerlichen Pflichten haben wir abgeschafft. Neue müssen wir nun erfinden.
Die Abschaffung der Wehrpflicht wäre eine gute Gelegenheit gewesen, über ein
obligatorisches soziales Jahr für alle Bürger unseres Staates zu reden. Was ist denn eigentlich so peinigend an der Vorstellung, dass junge Männer und Frauen nach der Schule ein Jahr dem Gemeinwesen widmen, von dem und in dem sie leben?

600 000 junge Menschen pro Jahr, die Hauptschülern beim Schreibenlernen helfen, alten Leuten den Computer beibringen oder vorlesen, kommunale Gärten anlegen, als Animateure in Kitas arbeiten, die Öffnungszeiten von Bädern und Museen stabilisieren oder unter Anleitung Häuser energetisch sanieren, und, weniger attraktiv, aber notwendig: Rollstuhl-schieben und Windeln wechseln – das wäre doch ein Ausweg aus einigen Engpässen des verschuldeten Staates und der schrumpfenden Solidarität.

Bei all dem könnten die jungen Staatsbürger Fähigkeiten erwerben, Selbstbewußtsein ausbilden und ihre Lebenspläne überdenken. Vor allem aber könnten die Kinder von Akademikern und Arbeitslosen etwas miteinander erfahren und gestalten, und so ein Bewußt-sein davon entwickeln, was es heißt: Bürger einer Demokratie zu sein.

Sinn machte so etwas freilich nur, wenn es attraktiv und qualifizierend ausgestattet würde, wie immer ist das eine Kostenfrage. Nehmen wir also die luxuriöseste Variante an: Jeder Sozialdienstler erhielte 1000 Euro pro Monat für Leben und Wohnen, und auf jeweils zehn von ihnen käme ein qualifizierter Handwerker, Sozialarbeiter oder Ingenieur als Betreuer, dann ergäbe das jährliche Ausgaben von rund 10 Milliarden. Das wäre wenig mehr als ein halbes Prozent der Geldvermögen, die allein im letzten Jahrzehnt den Wohlstand der Oberen gemehrt haben. Dieses halbe Prozent als Bürgersteuer abzuschöpfen; der demokratische Gegenwert könne enorm sein.

Meine Gesprächen, mit vielen Jungen, und einigen Reichen ergaben: Die Idee ist populär. Vielleicht, weil niemand mit ihrer Durchsetzung rechnet. Aber vielleicht müssten wir nur einen anderen Namen dafür finden. Dienst, Opfer, Ehre, Pflicht – das passt nicht in die Zeit. So wenig, wie „ehrenvoll fürs Vaterland zu sterben“? Oder doch?

Es lohnt sich für Ideen zu sterben, singt Georges Brassens: Mourir pour des idees, oui – und er fügt hinzu: Mais de manière lente. Es lohnt sich sein Leben einzusetzen: für sich selbst, für diejenigen, mit denen man aufgewachsen ist und für’s Weltbeste, auch wenn es nicht unseren Nutzen mehrt. Es lohnt sich, dafür zu sterben, allerdings ganz langsam: ein Leben lang.

Den ganzen Text lesen!


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