HILFE, WO STEHT MEIN AUTO?

Als Maren mit ihren Einkäufen aus dem Supermarkt kommt, weiss sie nicht mehr, wo sie ihren Wagen abgestellt hat. Zu allem Überfluss hat sie es eilig: Sie erwartet ihren Freund Bruno zum Essen. Er ist verheiratet, aber angeblich verbindet ihn nichts mehr mit seiner Frau …

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Maren schob ihren Einkaufswagen, so schnell es der Andrang erlaubte, die Gänge des Supermarkts entlang und überlegte dabei fieberhaft, was sie Bruno heute Abend vorsetzen könnte. Sie nahm eine Packung geräucherten Lachs aus dem Regal. Als Vorspeise. Was sollte sie als Hauptgericht machen? Bruno liebte ihre Ente auf provenzalische Art, aber ein Blick auf die Uhr belehrte sie, dass sie das unmöglich schaffen würde.

Warum musste er auch immer in letzter Minute anrufen, wenn er schon einmal kommen konnte? Ein Glück, dass sie keine späte Besprechung in der Agentur hatte und sofort losfahren konnte.

Den Gedanken, dass Bruno manchmal auch in allerletzter Minute wieder absagte, schob sie rasch beiseite. Sie freute sich so auf ihn!

Lammkoteletts also. Maren erwog kurz frische grüne Bohnen dazu, aber in diesem Fall musste es eine Dose tun. Dann noch gemischten Blattsalat, schon fertig im Beutel, Olivenöl und Estragonessig hatte sie zu Hause. Am Käsestand kaufte sie Brunos Lieblings-Ziegenkäse, und in der Weinabteilung entschied sie sich für einen Roséwein. Jetzt fehlte nur noch der Nachtisch. Schokoladencreme mit Sahne ass Bruno am liebsten. Bei seiner Frau bekam er so etwas nie. Anita hielt streng auf Diät.

Eigentlich müsste sie auch für sich selbst einkaufen, aber das konnte sie sich abschminken. Sie musste sich noch die Haare waschen und umziehen. Bruno wollte schon um sieben Uhr bei ihr sein.

Vor den Kassen standen lange Schlangen. Auch das noch! Als Maren endlich draussen war, atmete sie erleichtert auf – bis ihr klar wurde, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte. So sehr sie sich auch den Kopf zermarterte, sie fand nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Nichts. Ein schwarzes Loch. Am liebsten hätte sie sich hingesetzt und geheult, statt dessen seufzte sie nur und fing gottergeben mit der Suche an.

Sie achtete kaum auf den Mann, der ihr entgegenkam und sich ebenfalls den Hals ausrenkte. Etwas später begegneten sie sich wieder. Diesmal lächelte er ihr flüchtig zu. Beim dritten Mal sprach er sie an: “Es ist vielleicht eine dumme Frage, aber finden Sie ihr Auto auch nicht wieder?”

“Seit sie hier derart vergrössert haben, ist alles so unübersichtlich geworden”, machte sie ihrem Ärger Luft, fügte aber einsichtig hinzu: “Es ist natürlich auch meine Schuld. Ich war mit meinen Gedanken woanders, als ich parkte.”

“Wie sieht denn Ihr Auto aus?” fragte er hilfsbereit. Er konnte den Blick nicht von der jungen Frau lösen. Sie hatte blaue Augen, eine kecke Nase, einen schönen Mund und kastanienbraunes Haar, das der Wind ihr ins schmale Gesicht blies.

“Es ist ein roter Fiat Uno”, antwortete sie.

“Ich habe einen blauen Golf.”

Sie kniff ihre Augen zusammen: “Einen blauen Golf? Etwa den da drüben?”

“Natürlich, das ist er!” strahlte er jungenhaft über das ganze Gesicht. Er schien die Angewohnheit zu haben, sich mit beiden Händen durch das dichte Haar zu fahren, jedenfalls stand es nach allen Seiten ab. Unwillkürlich musste sie lachen.

“Kommen Sie, jetzt suchen wir Ihr Auto”, lachte er zurück, und sie bemerkte die sympathischen Fältchen um seine grauen Augen.

Fünf Minuten später hatten sie es noch immer nicht gefunden, und Maren wurde wieder nervös: “Ich muss unbedingt schnell nach Hause. Mein Freund kommt gleich zum Abendessen. Ich werde mir jetzt einfach ein Taxi bestellen.”

“Kommt nicht in Frage”, entschied er sofort. “Ich bringe Sie.”

Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, nahm sie sein Angebot an. Als die Einkäufe im Kofferraum verstaut waren, öffnete er die Beifahrertür, ging um den Wagen herum und setzte sich ans Steuer. “Wohin geht’s nun?”

Maren nannte ihm die Adresse und schlug vor: “Ich werde Sie leiten.”

“Nicht nötig”, schmunzelte er, “die Ecke kenne ich gut. Da wohne ich nämlich auch. Übrigens, ich heisse Markus. Markus Seltmann.”

“Ich bin Maren Schreiber.” Der Verkehr war so zähflüssig, dass sie schier verzweifelte und ihre Hände sich im Schoss verkrampften. Hoffentlich war Bruno nicht schon da. Wenigstens konnte er ins Haus, er hatte einen Schlüssel.

Markus seinerseits hatte es überhaupt nicht eilig. Aber weil er merkte, wie angespannt die junge Frau neben ihm war, hätte er ihr gern den Gefallen getan, schneller zu fahren, wenn das möglich gewesen wäre. Um sie abzulenken, erzählte er ihr, dass er erst vor einer Woche aus Genf zurückgekommen war, wo er seinen Doktor als Betriebwirt gemacht hatte, um hier seine erste Stelle in einer grossen Versicherung anzutreten. Er wohne bei seiner Schwester, suche aber nach einer eigenen Wohnung.

Endlich kamen sie vor ihrem Wohnhaus an. Als er Maren anbot, ihre Einkäufe hochzutragen, schüttelte sie den Kopf, nahm rasch ihren Umweltbeutel aus dem Kofferraum, bedankte sich und schloss die Haustür auf. Er sah ihr noch nach, als sie längst verschwunden war.

Maren wartete nicht auf den Fahrstuhl, sondern lief die beiden Stockwerke hinauf. Sie hörte das Telefon schon von draussen. Mit vor Aufregung zitternden Händen, und noch atemlos vom raschen Treppensteigen, steckte sie den Schlüssel ins Schloss, stiess die Tür auf und riss den Hörer von der Gabel: “Maren Schreiber. Ja bitte?”

Brunos gedämpfte Stimme war ganz dicht an ihrem Ohr: “Tut mir leid, Schatz, aber ich kann nicht kommen. In letzter Minute ist etwas dazwischengekommen.”

“Etwas”, das war natürlich seine Frau.

Sorgsam bemüht, sich ihre grenzenlose Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, um Bruno nicht zusätzlich zu belasten, erwiderte sie: “Schade, vielleicht klappt’s ja ein anderes Mal?” Leise fügte sie hinzu: “Ich liebe dich”, aber da hatte er schon aufgelegt.

Es klingelte. Einen Augenblick dachte sie, dass Bruno nur einen Scherz gemacht hatte. Dass er unten stand. Selbst wenn der Scherz geschmacklos war: Es wäre wunderbar, wenn sie doch den Abend miteinander verbringen könnten. Rasch drückte sie auf den Summer. Es war Markus. Er hielt eine Umwelttasche in der Hand und sagte: “Entschuldigen Sie, aber wir müssen tauschen. Dies hier sind Ihre Einkäufe.”

Sie hatte es noch nicht einmal gemerkt. Maren starrte Markus an und brachte keinen Ton heraus. Alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander. Wenn sie jetzt etwas sagte, fürchtete sie, würde es vorbei sein mit ihrer Fassung.

“Kommt er nicht?” fragte er behutsam.

Sie verneinte stumm.

“Ich weiss, wie das ist”, sagte er. “Ich habe eine Frau geliebt, die …” … die mit mir gespielt hat, wollte er sagen, aber er schluckte es herunter. Die junge Frau sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

Markus vermutete, dass ihr Freund entweder verheiratet oder ein Playboy war. Er mochte den Kerl nicht.

Maren putzte sich energisch die Nase, atmete tief durch und lächelte dann tapfer: “Wo Sie schon so nett waren, mich nach Hause zu bringen und mir jetzt auch noch meine Einkäufe nachtragen mussten: Mögen Sie vielleicht zum Essen bleiben?”

“Mit Vergnügen”, stimmte er sofort zu. “Wenn ich Sie dafür morgen zum Essen einladen darf. Aber vorher fahren wir zum Supermarkt zurück und holen Ihr Auto ab. Der Parkplatz dürfte sich inzwischen geleert haben.”

Sie sahen den roten Fiat schon von weitem. Verlassen stand er auf dem riesigen Platz. Da musste Maren plötzlich lachen. Markus stimmte ein. Sie standen vor dem Fiat und lachten, bis ihnen die Tränen kamen.

“Ach, tut das gut”, seufzte Maren schliesslich. Ihr kam zu Bewusstsein, dass sie schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht hatte.

Als sie wieder in ihrer Wohnung waren, deckten sie gemeinsam den Tisch und bereiteten dann einträchtig die Mahlzeit zu.

“Sind Sie auch so hungrig wie ich?” erkundigte er sich.

Sie schüttelte traurig den Kopf.

Während er die Lammkoteletts mit Knoblauch spickte, Salz und Pfeffer darübergab und zum Schluss mit feingeriebenem Thymian und Rosmarin bestreute, fragte er behutsam: “Ist er verheiratet?”

Sie nickte: “Bruno und ich haben uns vor einem Jahr in der Werbeagentur kennengelernt, in der ich als Grafikerin arbeite. Er beauftragte uns mit einer Werbekampagne für sein Autohaus. Aus der Sympathie, die wir füreinander empfanden, ist rasch Liebe geworden. Erst einen Monat später hat er mir gestanden, dass er verheiratet ist. Er vergässe es meistens selbst, hat er gesagt. Seine Frau und er gehen seit langem getrennte Wege. Ihre beiden Söhne sind erwachsen. Er würde sich gern scheiden lassen, aber die Hälfte des Unternehmens gehört ihr. Dabei hat sie nie einen Finger dafür gerührt, die ganze Arbeit macht er. Sie hatte nur das Startkapital.”

“Und diese Beziehung befriedigt Sie?”

“Er wollte endlich mit seiner Frau sprechen …” Maren verteilte den Lachs auf die Teller, stellte den Brotkorb auf den Tisch und sagte: “Wir können anfangen. Die Lammkoteletts braten wir, wenn wir hier fertig sind. Das geht schnell.”

Sie war immer noch traurig. Markus merkte es daran, dass sie kaum ass. Das machte ihn wütend auf diesen Mann. Diesen Bruno.

“Und Sie glauben, dass er es tut? Ich meine, mit seiner Frau sprechen?” fragte er.

Maren dachte daran, wie leise Bruno am Telefon gesprochen und wie hastig er aufgelegt hatte. Er hatte es bestimmt noch nicht getan. Trotzdem verteidigte sie ihn: “Ich habe Vertrauen zu ihm.”

“Wenn er erwachsene Kinder hat, ist er doch auch viel älter als Sie?” bohrte Markus weiter.

“Sechzehn Jahre älter. Er ist 45.”

“Möchte er denn dann noch Kinder haben?”

“Ich möchte, dass wir jetzt von etwas anderem sprechen”, erklärte sie mit fester Stimme. Sie wollte nicht, dass er merkte, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. Und dann fand Maren, dass sie ihn ebenfalls ausfragen könnte: “Sie haben vorhin gesagt, dass Sie auch eine Frau geliebt haben, aber Sie haben den Satz nicht beendet.”

Nun legte auch er Gabel und Messer hin: “Sie war eine Frau, die nicht treu sein konnte. Ich denke, wer das tut, ist selbst nicht glücklich. Ich war lange blind vor Liebe. Erst, als sie mich mit meinem besten Freund betrog, habe ich die Konsequenzen gezogen und sie verlassen.”

“Warum liebt man oft Partner, mit denen man nicht glücklich werden kann?” rutschte es ihr heraus.

“Weil sie in dem Moment, in dem man sie kennenlernt, etwas in uns berühren. Aber jede Erfahrung ist gut, so schmerzlich sie auch ist, wenn man daraus lernt.”

Das Telefon klingelte. Wie elektrisiert sprang sie auf: “Das ist sicher Bruno …”

Einen Augenblick sahen sie sich an. Markus hätte sie am liebsten beschworen, nicht an den Apparat zu gehen, aber sie lief schon in die Diele und hob ab.

Als sie zurückkam, sagte sie glücklich: “Er hat sich doch freimachen können. In einer halben Stunde ist er hier.”

Bestürzt sah sie auf den Tisch: “Ich muss das alles in Ordnung bringen. Vom Lachs braucht er ja nichts zu wissen. Markus, bitte verzeihen Sie mir, ich weiss, es ist wahnsinnig unhöflich von mir, Sie zu bitten, jetzt zu gehen, aber …”

Sie beendete den Satz nicht, warf ihm nur einen flehenden Blick zu.

Er war schon aufgestanden. “Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, aber warum lassen Sie das mit sich machen? Sind Sie diese ewigen Wechselbäder der Gefühle nicht leid?”

“Sie haben gut reden”, entfuhr es ihr bissig: “Sie sollten doch wissen, wie das ist, oder?”

“Natürlich”, seufzte er. “Verzeihen Sie. Trotzdem fällt es einem schwer, es mit ansehen zu müssen. Besonders, wenn man die Person mag.”

Es tat ihr schon leid, ihn verletzt zu haben. Irgendwie wusste sie, dass er es gut mit ihr meinte. Leise sagte sie: “Danke für alles, Markus, und bitte, machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich passe schon auf mich auf.”

“Ich hoffe es.” Er schrieb seine Telefonnummer in das kleine Notizbuch, das er immer bei sich trug, riss die Seite heraus und reichte sie ihr: “Falls Sie meine Einladung für morgen Abend doch annehmen möchten”, meinte er.

Sobald er fort war, räumte Maren hastig auf. Für’s Haarewaschen blieb nicht genug Zeit, aber sie wollte wenigstens das schwarze Trägerkleid anziehen, in dem Bruno sie so sexy fand. Ob er die ganze Nacht bleiben konnte? Das kam so selten vor und war jedes Mal ein Fest. Im Schlafzimmer nahm sie das Kleid aus dem Schrank, aber statt sich umzuziehen, setzte sie sich aufs Bett.

Sie wusste plötzlich, dass Markus recht hatte. Und dass er nur ausgesprochen hatte, was sie selbst längst wusste, aber nie wahrhaben wollte. Endlich gestand sie sich ein, dass ihre Liebe zu Bruno vorwiegend aus Frust und Enttäuschungen bestand. Anruf genügt, dachte sie bitter.

Wie oft hatte sie in letzter Minute andere Verabredungen abgesagt, nur weil Bruno sein Kommen ankündigte? Und wie oft war er dann doch nicht gekommen? Sie sah ihn vor sich. Ja, er sah gut aus. Er war auch ein guter Liebhaber, aber im Grunde dachte er nur an sich. Er würde sich nur scheiden lassen, wenn er kein Geld dabei verlor. Und sie nur unter zwei Bedingungen heiraten, über die er sie nie im Unklaren gelassen hatte: Keine Kinder und Gütertrennung. Gütertrennung war in Ordnung, aber dass sie nie Mutter werden sollte, weil Bruno in seinem Alter nicht noch einmal mit der Kindererziehung anfangen wollte, kam ihr auf einmal unerträglich vor.

Sie hing das Kleid in den Schrank zurück, ging zum Telefon und wählte seine Nummer. Vielleicht war er noch nicht fort? Er kam selten pünktlich. Noch etwas, was ihr jetzt einfiel. Tatsächlich, er hob nach dem dritten Klingelzeichen ab.

“Ich bin’s, Maren”, sagte sie.

“Maren, ich habe dich doch gebeten, nie bei mir zu Hause anzurufen”, fuhr er sie ärgerlich an. “Zum Glück ist Anita gerade weggegangen.”

“Du hast immer noch nicht mir ihr gesprochen, stimmt’s?”

“Ich muss den richtigen Augenblick abpassen!”

Mit fester Stimme erwiderte sie: “Ich möchte dich bitten, nicht zu kommen, Bruno. Nie mehr! Es ist besser, wir machen Schluss.”

Einen Augenblick blieb es still am anderen Ende der Leitung. Dann sagte er: “Lass uns darüber sprechen. Wir werden eine Lösung finden …”

“Es ist zu spät”, unterbrach sie ihn. “Mein Entschluss ist gefasst.” Leise legte sie auf.

Dann wählte sie Markus’ Nummer. Eine weibliche Stimme meldete sich. Zuerst bekam sie einen Schreck, bis ihr einfiel, dass er ja vorübergehend bei seiner Schwester wohnte.

“Ich bin Maren Schreiber. Könnte ich wohl Markus sprechen?” bat sie.

Markus war schon am Apparat: “Ja, Maren?”

“Mögen Sie … zum Essen zurückkommen? Ich habe Bruno gerade abtelefoniert.”

“Endgültig?” fragte er zurück.

“Endgültig”, bestätigte sie und fühlte sich auf einmal leicht und wie befreit.

Sie sah förmlich sein Lächeln, als er fröhlich erwiderte: “In fünf Minuten bin ich da!”

ENDE


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