Die Kinder schlafen und ich sitze hier, vor dem Baby Fotoalbum meiner großen Tochter. Ich blättere so durch und versetze mich 11 Jahre zurück in den Kreißsaal, es ist 22.19 Uhr zu dieser Zeit vor 11 Jahren befand ich mich bereits in der heißen Phase.
Meine Große hatte heute ihren 11. Geburtstag, ihre erste Schnapszahl. Wenn ich mir das Geburtstagsfoto von vor einem Jahr anschaue sehe ich doch deutlich wie sie in diesem Jahr gewachsen ist und sich entwickelt hat. Nie zuvor war die Entwicklung so eindeutig. Ja, nun verlässt sie so langsam merklich das kindliche Alter und wird immer mehr flügge, nabelt sich ab und formt ihre Persönlichkeit. Zwar dauert das alles auch noch eine Weile trotzdem ist es echt verrückt.
Uns verbinden intensive Momente, Erlebnisse und Jahre. Sie ist meine Erstgeborene, sie ist mein Schicksal und hat mein jetziges Leben so geprägt und dazu gemacht was es ist. Ich bin mit ihr zusammen groß geworden, ich habe dank ihr viel gelernt. Seit meinem 16 Lebensjahr bin ich für sie da und werde es immer sein.
Ich war 15 und stand im Bad, der Blick auf einen Schwangerschaftstest gerichtet, den ich meiner Mama zu liebe durchführte um ihr doch endlich zu beweisen, was ich in Wirklichkeit nicht wahr haben wollte. Vor der Badtür meine Mama, die darauf wartete Gewissheit zu haben, egal welche.
Die ganzen Sommerferien waren komisch, das Frühstück schmeckte nicht, bzw. hatte ich oft keinen Hunger. Außer im Holland Urlaub mit meiner Schwester und meinem Schwager, da stürzte ich mich auf das Frühstücksei. Am Strand holte ich mir einen deftigen Sonnenbrand, den wir mit Quark kühlten, danach hatte ich so einen Hunger, dass ich den restlichen Quark verspeiste.Im Nachhinein sind das natürlich alles Anzeichen, aber nicht für eine 15 Jährige die in einem Moment zu naiv war.
Es war ein Freitag im August 2004, am Montag sollte die Schule beginnen, endlich 10. Klasse, endlich an der Spitze der Klassen angekommen, endlich Abschluss und Abschlussfahrt. An diesem Freitag saß ich im Wartezimmer einer Frauenarztpraxis zusammen mit meiner Mama und dem positiven Schwangerschaftstest. Ich weiß nicht mehr wie ich mich fühlte, ich glaube ich war in einer Zwischenwelt zum Selbstschutz. Ich zubbelte nervös an meinen Baggy Pants bis die Ärztin uns herein rief. Sie war sehr nett und einfühlsam. Sie setzte den Ultraschallkopf auf meinen Bauch und da war sie auch schon, eine kleine Bohne, deren Herz kräftig schlug und zeitgleich stieß meine Mama ein "wie süß" von sich und ich war total überrascht von dieser Reaktion.
Mir viel sofort das Wort Teeniemutter in den Sinn und diese 12 Jährige, die jüngste Mutter Deutschlands. Und nun ist es mir passiert und war bereits ende der 11. Woche. Auch hier weiß ich nicht mehr genau welche Gefühle in mir aufkamen. Die Ärztin war dazu verpflichtet mich über Abtreibung zu informieren und wollte noch am Freitag Beratungsstellen für mich Kontaktieren, am Montag wäre ich in der 12. Woche und da ist das Abtreiben nicht mehr so einfach oder möglich, ich weiß es nicht mehr. Während sie telefonierte und wir warteten sprach mir meine Mama gut zu "wir schaffen das". Das Schicksal hatte entschieden, keine Beratungsstelle hatte mehr offen, wir gingen heim mit einem Mutterpass und dem Wissen Mama und Oma zu werden.Mir viel es nicht einfach diese Nachricht der Familie, den Freunden und den Lehrern mitzuteilen, hatte ich doch Angst vor den Reaktionen, aber alle fassten es gut auf und meinten wir schaffen das. Alle standen hinter mir, sogar die Schule, die mir half nicht die 10. Klasse abbrechen zu müssen, sondern den Abschluss trotz Baby mit 1,6 zu schaffen. Alle gaben mir Kraft, bis auf eine Person, die ich bis auf diesen Satz, aus meiner Geschichte heraus halte.
9 Monate vergingen, meine Ultraschallbilder dienten als Beispiel im Physikunterricht, die Zwischenprüfungen waren geschrieben und ich wartete nun auf Wehen oder die Fruchtblase die platzt. Mein Mädchen sollte an meinem Geburtstag kommen, keiner konnte Ahnen dass sie sich noch 2 Wochen Zeit lassen würde. Meine Schwester nahm sich extra Urlaub um uns in dieser Zeit bei zu stehen und um mit ins Krankenhaus zu kommen, jedoch lief ihr der Urlaub weg und sie musste noch verlängern. Die Stimmung unter uns 3 Weiber, die wir ewig nicht mehr so lange zusammen waren, war auf einem Tiefpunkt, die Nerven lagen schon plank bevor das Baby kam und das nur, weil das Baby nicht kam.
Am 8.3.2005 hatte ich gegen 11 Uhr einen Kontrolltermin im Krankenhaus, ich dachte mir immer es wäre doch optimal wenn die dann sagen würden, dass ich da bleiben soll, ich hatte immer schiss vor dem Moment zu Hause mit geplatzter Fruchtblase zu sitzen. Das sollte mir 10 Jahre später passieren, beim ersten Mal war es dann so, dass ich da bleiben durfte.11 Stunden hatte ich nun vor mir, erst hieß es lange warten, dann Zugang legen während meine Mama meine Sachen holte und meine Schwester mich ablenkte (kaum zu glauben vor diesem Zugang hatte ich am meisten Schiss), dann hatte ich Hunger, das Essen ging mir später wieder durch den Kopf und so langsam kamen die Wehen. Irgendwann wurde die Fruchtblase gesprengt und dann ging es los. Kurze und heftige Wehen ohne große Pause, aber das bekamen wir in den Griff.
Ich hatte nie einen Geburtsvorbereitungskurs gemacht, weil ich mir als schwangeres Teenie so doof vor kam, aber ich handelte aus meinem Bauch heraus, hörte auf meinen Instinkt und vertraute meinem Körper und den Hebammen. Auch hier hatte ich eine tolle, die mir die verschiedensten Geschichten erzählte. Draußen wurde es dunkel und die Wehen wurden stärker. Ab 20 Uhr befand ich mich in der heißen Phase, ich erinnere mich noch, dass meine Schwester raus ist und meine Mama mir beistand, den Steiß massierte und mich ablenkte. Ich ging noch mal in die Wanne, wollte da aber sehr schnell wieder heraus, da dies zu heftig für mich war.
Tja und dann ging es doch recht schnell. Ein kurzer Schrei meiner Seits und sie war da. Um 23.08 Uhr. Ich war erleichtert und unheimlich müde. Meine Mama durfte abnabeln und baden, während ich noch geflickt wurde und duschen durfte. Da in dieser Nacht noch kein Bett auf den Zimmern frei war, musste ich in einem Nachbarkreißsaal schlafen, in dem hat ein paar Stunden vor mir einen ihr Kind bekommen, die erst schreiend durch meinen Kreißsaal lief mit dem Mann und dem Tropf hinterher.
Mein Baby lag in seinem Bettchen neben mir und meine Mama und meine Schwester sagten mir gegen 1 Uhr gute Nacht und fuhren nach Hause. In dieser Nacht hatte es noch einmal geschneit bevor der Frühling kam und mein letzter Blick ging zu meinem kleinem Töchterchen, dick eingepackt in dem Bettchen neben mir. Mein Augen schlossen sich und das war die letzte Nacht in der ich so richtig tief und fest geschlafen habe. Ich war glücklich, erleichtert und einfach fertig.