Ich kenne Menschen, die unter denkbar schlechten Bedingungen gross geworden sind. Zerrüttete Familienverhältnisse, mindestens ein Elternteil suchtkrank, finanziell prekäre Situationen, zum Teil auch Probleme mit der Integration. Es würde niemanden wundern, wenn diese Menschen heute unfähig wären, ihr Leben zu meistern, doch erstaunlicherweise kommen sie besser klar als mancher, der mit dem Silberlöffel im Mund geboren worden ist. Fachleute reden in solchen Fällen von Resilienz, was bestimmt berechtigt ist. Zumindest bei den Menschen, die ich kenne, kommt aber noch etwas anderes hinzu: Sie waren von klein auf umgeben von Menschen, die sich ihrer angenommen haben. Menschen, die diesen Kindern zumindest stundenweise ein friedliches Zuhause boten, die ihnen bei den Hausaufgaben halfen, die mit ihnen ins Museum gingen, die ihnen Mut machten, einen eigenen Weg zu finden, anstatt in die Fusstapfen der Eltern zu treten. Natürlich waren diese Menschen auch nicht perfekt, aber sie gaben, was die Kinder zu Hause nicht bekommen konnten, nämlich vorbehaltlose Liebe.
Ich kenne aber auch Menschen, bei denen nichts hätte schief laufen dürfen, weil einfach alles perfekt war. Mutter aufopferungsvoll, Vater erfolgreich, die ganze Familie gut integriert und überall aktiv dabei, die finanziellen Verhältnisse bestens, die Kinder werden gefördert wo immer möglich. Und ausgerechnet in diesen perfekten Verhältnissen gerät einer auf die schiefe Bahn. Warum? Es wird wohl viele Gründe dafür geben, bei den Menschen, die ich kenne, fällt aber früher oder später immer die eine Aussage: “Ich war einfach nicht gut genug. Egal, wie sehr ich mich bemühte, es reichte nie.” Irgendwann haben sie eben aufgegeben, vielleicht auch ganz bewusst das Gegenteil von dem getan, was die perfekte Familie von ihnen erwartete, weil es ja ohnehin keinen Unterschied mehr machte, denn abgelehnt fühlten sie sich ohnehin. Und weil keiner sehen wollte, dass die heile Familie gar nicht so heil war, wie es nach aussen hin aussah, wurde an dem schwarzen Schaf herumkritisiert und herumgedoktert bis es vollends verkorkst war.