Henry Hübchen: Wildwest im tiefsten Osten
Sie spielen in Der Uranberg einen russischen Oberst. War es Ihr Wunsch, keinen russischen Akzent zu sprechen?
Henry Hübchen: Das war meine Voraussetzung, weil ich keine Akzente herstellen kann. Ich hätte es auch nicht gewollt. Eigentlich hatte ich gesagt, diese Russen-Rollen sollten auch mit Russen besetzt werden. Aber Hans-Werner Honert, der Chef und Autor des Films, hat mich überzeugt, dass in der Ästhetik des Films alle Hochdeutsch sprechen.
Hans-Werner Honert beschrieb Ihre Zustimmung zur Rolle mit: ‹Mmh, okay, kann ich machen.› Waren Sie wirklich so wenig begeistert?
Hübchen: Die Begeisterung war nicht so groß, weil ich eben diese Probleme mit dem Buch hatte. Ich kannte den Film Ich war neunzehn von Konrad Wolf, der ganz wunderbar vom Ende des Krieges erzählt. Und darin spielen russische Schauspieler die Russen, es gibt russische Statisten und so weiter. Das hat eine ganz andere Authentizität, als wenn so ein Berliner wie ich einen russischen Oberst spielt. Ich sage mal, Jackie Zucker spielt Generalmajor Sowieso. Aber er hat mich überzeugt, als wir uns festgelegt haben, dass es darum nicht geht. Dann habe ich schon Lust bekommen.
Ist Ihnen die russische Seele, diese Schwermut, total fremd?
Hübchen: Es geht nicht um die Seele, sondern dass man das nicht spielen kann, wenn man kein Russe ist. Diese typisch russische Faulheit ist mir jedoch sehr nahe. Über Schwermut und Melancholie wollen wir nicht reden.
Was hat Sie an der Rolle des Oberst Burski dann doch noch gereizt?
Hübchen: Ich wollte, dass der sympathisch ist, dass man ihn verstehen kann. Das war nicht einfach für mich, weil ich gegen das Drehbuch arbeiten musste. Warum sind die Russen wieder solche Arschlöcher? Die haben gerade ein Land von einer verbrecherischen Diktatur befreit und schon sind sie wieder die Arschlöcher. Das gefällt mir gar nicht (lacht). Ich habe versucht,Empathie für die Russen zu entwickeln. Ich finde, dass man diese Zeit noch viel komplexer erzählen muss, damit man begreift, wo wir herkommen. Die Wahrheit ist nicht einfach.
Sehr sympathisch scheint Oberst Burski tatsächlich nicht zu sein. Er verrät seine Tochter, würde sogar ihren Tod in Kauf nehmen.
Hübchen: (überlegt) Er hat seine Tochter verraten. Was heißt verraten? In dieser Zeit gab es noch den Begriff «Heldentod». Viele deutsche Landser und viele sowjetische Soldaten sind den Heldentod gestorben. Vielleicht würde seine Tochter Lydia auch den Heldentod sterben für «die gute Sache». Das Land sollte gestärkt werden, indem man Uran abbaut. Es wurde die Atombombe gebraucht, als Gegengewicht im Kalten Krieg zu den Amerikanern, die die Bombe schon eingesetzt hatten. 70.000 Tote im ersten Moment. 130.000 Tote in den Folgemonaten. Ich möchte kein Urteil abgeben. Die Zeit war eine ganz andere. Mein Wohlstandssofa lenkt mich da in die falsche Richtung. Da gab es Utopien und ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte in der Situation dieses Mannes und unter dem Druck der GPU (der sowjetischen Gemeinpolizei, Anmerk. der Red.).
Müssen Sie auch einen negativen Charakter verstehen, um ihn zu spielen?
Hübchen: Nein, nicht immer. Ich habe schon Mörder und Serienkiller gespielt. Das ist eine ganz andere Abteilung von bösen Figuren, dazu gehört der Oberst gar nicht. Hier war es mir ganz wichtig, die Figur zu verstehen. Den Frauenserienmörder, den ich gespielt habe, wollte ich absolut nicht verteidigen, den wollte ich eigentlich auch nicht verstehen.
Was haben Sie als in der DDR sozialisierter Mensch von der Wismut mitbekommen?
Hübchen: Jedenfalls nicht soviel wie ich durch die Recherche für den Film erfahren habe. Ich wusste, dass es die Wismut gibt, dass Uran gefördert und in die Sowjetunion gebracht wird. Das war kein Geheimnis.
Den Film haben Sie 2008 gedreht. Wie finden Sie ihn mit ein bisschen Abstand?
Hübchen: Es ist eine fiktive Geschichte, die zum Teil stilisiert ist. Ich find’s schade, dass die Dokumentation nicht zusammen mit dem Film gezeigt wird. Der Film ist eine Liebesgeschichte, eine Romeo-und-Julia-Geschichte am Ende des Heißen Krieges und Beginn des Kalten Krieges.
Der Film geht Ihnen nicht weit genug?
Hübchen: Das ist so ein weites Feld. Wir haben anderthalb Stunden zur Verfügung. Beim Anschauen der Dokumentation dachte ich: Man müsste es noch mal machen in einem anderen Format. Als Serie vielleicht. Vor kurzem habe ich Deadwood gesehen, eine amerikanische Serie über die Entstehung einer Goldgräberstadt und den rechtsfreien Raum. So ähnlich war das auch bei der Wismut in vollkommen anderen Zusammenhängen. Wildwest im Erzgebirge. (überlegt) Wir sollten so etwas wie Deadwood im Erzgebirge machen. Eigentlich bin ich ein Serienmuffel gewesen. Aber was die machen ist grandios. Das bringt mir als Europäer diese Landnahme und wie die amerikanische Gesellschaft entstanden ist soviel näher. Man bekommt ein anderes Geschichtsbewusstsein und es ist sogar unterhaltsam.
Vielleicht trauen sich die Amerikaner einfach mehr?!
Hübchen: Ich glaube nicht, dass das was mit Mut zu tun hat. Die Amerikaner machen auch genug anderen Mist. Aber sie leben in einem sehr großen Land. Mehr Land, mehr Talente, mehr Markt, mehr Geld mehr Vielfalt. Ich merke gerade, dass ich wieder mal über etwas rede, wovon ich wenig Ahnung habe. Aber da bin ich ja nicht der Einzige.
Henry Hübchen spielt die Hauptrolle im TV-Film Der Uranberg, der am Mittwoch, 7. Dezember 2011, um 20.15 Uhr im Ersten gezeigt wird. Hübchen war schon in der DDR ein bekannter Schauspieler, besonders durch seine Theaterzusammenarbeit mit Regisseur Frank Castorf. Durch Leander Hausmanns Sonnenallee und Hans-Christian Schmidts Lichter wurde er gesamtdeutsch bekannt. Für seine Rolle als Jackie Zucker in Dany Levys Kinofilm Alles auf Zucker bekam der heute 64-Jährige 2005 den Deutschen Filmpreis.
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