Helden meines Alltags, Teil 2

(Teil 1 hier: *KLICK*)

9:28 Uhr: Pünktlich stehe ich in der Praxis unseres Kinderarztes in EinpaarKäfferweiter. Nachdem ich mich durch einen halben Schneesturm gekämpft und im Anschluß auf dem Parkplatz auch noch fast auf`s Maul auf die Nase gelegt habe.
Und es ist voll.
RICHTIG voll.
Vor mir ein typisches Spaßkekselternpärchen mit Baby im Schälchen in der Babyschale.
Sie so: “Ja, unsere Kleine ist sooo krank!”
MfA so: “Was hat sie denn?”
Sie so: “Ja, so richtig dolle Schnupfen!”
MfA so: “Haben Sie denn einen Termin?”
Sie so: “Ja … nee”
Und er so: “Wir dachten, weil wir eh grad in der Gegend waren …?”
(Mit einem ’sooo krank’en Kind zufällig in der Gegend: Wieso???)
MfA so: “Ja, dann müssense aber laaange warten! Wollense vielleicht erst noch woanders hingehen?”
Er so: “Wohin sollten wir hier denn gehen können????”
Ich so: “Na,vielleicht dahin zurück, wo Sie eben noch ‘zufällig in der Gegend’ gewesen waren?”
MfA so: “Tja”
Baby so: “Gubbel-erröh!” und *puuups*
Er und sie so: *RauschenbeleidigtmitBabyab*
MfA so: *Pokerface*
Ich so: “Spaßkekse!”

Dann ich so: “Äh … Logan, Termin, bittelassenSiemichnichtlangewarten!?”
MfA: “Äh … wollense erst noch woanders hin? Ist voll, sind ein paar Notfälle dazwischengekommen!”
Ahrg.
Normal gerne, aber so ziemlich genau JETZT hört der Juchu-Saft auf zu wirken und Mittleres fängt an zu jummeln.
Also: “Nein danke, Kind hat Ohrenschmerzen, ist Kälte nicht gut!” und ins Wartezimmer.

Jaaaaaaa ich weiß: Notfälle haben Vorrang! Aber ausgerechnet jetzt …!
Mittleres wird immer unschmusiger und will nur noch auf meinen Schoß, wo es sich im Sekundentakt umpositioniert. Immerhin spielt Kleinstes vergnügt vor sich hin, flirtet, was das Zeug hält und hat überhaupt ganz viel Spaß.
Und ich sitze da, stieze ab und zu auf`s Handy und warte und warte und warte. Und habe dabei die ganze Zeit das leicht mulmige Gefühl, etwas vergessen zu haben …

9:45 Uhr: Mittleres jummelt vor sich hin.
9:55 Uhr: Bislang wurde nur eine Familie aus dem Wartezimmer aufgerufen, und das Wartezimmerkino ist heute auch määääßig, *seufz*
10:00 Uhr: Jetzt würde ich mir normaler Weise das Bade- oder Wohnzimmer vornehmen. Ticktack …
10:15 Uhr: Mittleres ist untröstlich. Also stiefele ich zur Anmeldung, um Juchu-Saft zu schnorren. Da ich auf den Punkt genau Uhrzeit der Gabe sowie Dosierung nennen kann, wird Mittleres nach kurzer Rücksprache mit dem Kinderarzt vermedikamentiert. Sehr schön!
(Profitipp: Ich speichere mir bei Medikamentengaben der Kinder immer alles ins Handy ein; so kann ich nichts vergessen und kann auch Fragen stets zuverlässig beantworten)
Dann gehen wir wieder ins Wartezimmer.
10:30 Uhr: Jetzt ungefähr würde ich meinen zweiten Kaffee trinken …
10:45 Uhr: … und jetzt mal langsam anfangen, das Mittagessen zu machen, damit das pünktlich fertig ist, wenn Größtes aus der Sch… SCHEISSE!
Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, SCHEISSE!
Schnell überschlage ich die Zeiten in meinem Kopf und komme zu dem Ergebnis, dass der Point of Return ungefähr so ziemlich genau JETZT ist!

Ahrg.

Also packt Frau Rabenmutter ihre Kinder (2), sagt der MfA Bescheid, fährt zurück nach Groß-Bummelsdorf, greift das Größte (1) auf und fährt dann mit allen Kindern (3) wieder zurück zum Kinderarzt. Oh Mann.

Größtes ist knatschig: “Wieso muss ich jetzt mit zum Arzt fahren?”
Ich: “Weil Du noch zu jung bist, um allein zu Hause zu bleiben!”
Größtes: “Wenn Du Mittleres abholst, darf ich auch zu Hause warten!”
Ich: “Ja. Aber das dauert auch nur 10 Minuten!”
Größtes: “Und ich habe Hunger!”
F*ck.
Mittleres: “Mittleres Hunger! Mittleres auch Hunger! *HEUL*”
Kleinstes: “Jammy? Jammy? Jammy? Jammy?”
Mollys Magen: *Grummelrumpelknurr*
GAAAAAAH!
Und auf geht`s erneut zum Kinderarzt …

11:32 Uhr: Wir betreten erneut die Praxis, keine halbe Stunde vor offiziellem Sprechstundenende. Die MfA sieht auf, bereit, uns rauszuscheuchen, da erkennt sie uns, schickt uns ins noch immer halbvolle Wartezimmer.
Größes mault und mosert, Mittleres schläft vor Schmerzerschöpfung auf meinem Schoß ein und Kleinstes stellt nur noch Unfug an und versucht dauernd, durch die Tür stiften zu gehen. Und mir wird langsam schlecht vor Hunger. Hab ich nicht noch irgendwo …?
Nein. Verdammt.
12:00 Uhr: Die Praxis lässt hochoffiziell niemanden mehr rein, außer Notfälle. Die Tür wird von “Kann man selbst aufdrücken” zu “Man muss klingeln und hoffen” umgestellt.
12:10 Uhr: Zwei MfA gehen nach Hause.
12:15 Uhr: Ich. Will. Nach. Hause.
12:25 Uhr: Ich fürchte, wenn mich jetzt noch ein einziges Kind oder sonstwer falsch anguckt, raste ich aus!
12:35 Uhr: Ich will. Nicht. Mehr. Ich. Habe. HUNGER!!!!!
12:40 Uhr: Oha. Mir kommt auf einmal ein ganz blöder Gedanke: Heute ist ja Mittwoch! Und das bedeutet hierzulande, dass nicht nur sämtliche Arztpraxen, sondern auch alle Apotheken in Bälde schließen!
Eine schnelle Suche per Handy bestätigt: Ab 13 Uhr sind die Schotten dicht und ich stehe im medikamentösen Niemandsland, in wildester Wildnis, barbarischster Unzivilisation, da dürfte die medizinische Versorgung in einer Lehmhütte in Botswana, auf einer Alm in Österreich, auf einem einsamen Strand in Tunesien, im Lager der Orks am Fuße des Schicksalsberges besser sein, als hier an einem verdammten Mittwoch Nachmittag!

Handy sagt: Wetter bleibt so schlecht.
Handy sagt: Notdienstapotheke heute ist … Ja, aber natürlich doch, Mensch, ich hätt´s nicht besser planen können: Die Apotheke in HinterfünfBergen! Luflinie lächerliche 11,7 Kilometer oder so, meine Damen und Herren, tatsächliche Fahrzeit allerdings 30-35 Minuten, und das bei schönstem Wetter!

Die Strecke nach “HinterdenfünfBergen” zeichnet sich nicht nur durch ein wunderschönes Panorama, sondern auch durch starke Steigungen, respektive Gefälle, sowie einige einzigartige Haarnadelkurven aus. Beachten Sie auf Ihrer Fahrt über die weithin bekannte Unfallstrecke auch unbedingt die vielen Kreuze am Straßenrand zu Ihrer Rechten und Ihrer Linken, wir wünschen eine angenehme Fahrt!

Nein.

Es tut mir waaaaahnsinnig leid für Mittleres, aber: Nein!
Ein bisschen Juchu-Saft hab ich noch, ansonsten muss ich noch bei einer anderen Mami was schnorren. Aber das Antibiotikum, das der Arzt vermutlich aufschreiben wird, wird einfach warten müssen, ich kann es nicht ändern, da ist die Risikoanalyse eindeutig!

13:10 Uhr: Endlich, ENDLICH! kommen wir dran. Unser Kinderarzt – ich habe keine Ahnung, wie er das macht??? – ist wie immer ruhig und gut gelaunt. Dabei hätte er eigentlich schon längst Feierabend und das Wartezimmer ist noch immer halb gefüllt …
Mittelohrentzündung, die Diagnose kommt schnell.
“Moment bitte”, fiepe ich schlechten Gewissens.
Der arme Arzt zaubert ein Lächeln auf sein Gesicht und dreht sich um: “Ja bitte?”
Ich schlucke. “Könnte ich, äh, also hätten Sie? Also ich meine, äh, Sie haben nicht zufällig nochmal einen Schluck Juchu-Saft da für Mittleres? Also, äh, von mir aus auch zufällig gleich eine ganze Flasche?”
“‘Juchu-Saft’?” Die Augenbrauen des Kinderarztes schießen in die Höhe.
“Äh, ich meine Fiebersaft”, korrigiere ich mich eilig. Oh Mann, ich bin echt durch!
Herr Kinderarzt mustert mich. “Sie haben doch jetzt ein Rezept?”
“Ja schon”, winde ich mich. “Aber sehen Sie … Notdienstapotheke ist heute in HinterdenfünfBergen und …”
“HinterdenfünfBergen?”
“Ja genau!”
“Oha, ich verstehe!”
Der Kinderarzt überlegt kurz.
Dann ruft er nach der letzten ihm verbliebenen MfA: “Frau MfA, Notdienst macht heute die Apotheke HinterdenfünfBergen, können Sie mal schauen, ob …?”
“Alle klar, Chef”, flötet die ebenso erstaunlich gut gelaunte Dame. Der Arzt verabschiedet sich, wir sollen noch draußen warten.
Kurz darauf erscheint Frau MfA vor uns.
“So”, sagt sie. “Hier im Ort habe ich leider keinen mehr erreicht, aber in EinOrtweiter, in der HeldenApotheke, wissen Sie, wo die ist?”
Ich nicke. Die meint doch nicht etwa, dass …?
“Also”, fährt die MfA fort, “da können Sie jetzt noch hin, die lassen Sie noch rein!”
“Oh”, entfährt es mir. Das ist ja, das ist ja …
“Das ist ja großartig!”, strahle ich, “vielen vielen Dank!”
“Nichts zu danken”, ruft mir die MfA hinterher, als ich mit den Kindern (3) zum Auto eile.

In der HeldenApotheke in EinOrtWeiter macht man mir tatsächlich auf und eine gut gelaunte Chefin gibt mir Juchu-Saft und Antibiotikum für das Mittlere raus. Noch während ich da stehe, füllt sich der Verkaufsraum mit Menschen, die ich eben noch im Wartezimmer mit ihren Kindern gesehen habe. Allen ist die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Ich danke der Apothekerin überschwenglich und kaufe als kleines Dankeschön auch noch Lippenbalsam und einen Jahresvorrat Kinderhustenbonbons.
Dann fahren wir durch den Schneesturm nach Hause, wo es Mittlerem nach der ersten Dosis Antibiotikum sehr schnell sehr viel besser geht.

Und der Kinderarzt, der so lange arbeitet, obwohl er schon zu hat – er hätte uns angesichts des vollen Wartezimmers ja auch an den Kindernotdienst verweisen können – ist mein Held Nummer 2.
Und die Glücksfee MfA, die rumtelefoniert hat, welche Apotheke in der Nähe sich unserer erbarmen möge, ist meine Heldin Nummer 3.
Und mein Held Nummer 4 ist natürlich die HeldenApothekerin, die extra für uns nochmal aufgeschlossen hat, damit unsere Kinder ihre Medizin bekommen und wir nicht diese fürchterliche Strecke durch den Schneesturm fahren müssen!

“Die Welt ist voller Helden”, denke ich, als ich später vollgefuttert mit allen Kindern (3) im Ehebett liege, kuschele und zum millionensten Mal “Die Eiskönigin” gucke. “Und die gibt es nicht nur an exotischen Orten, in Superheldencomics, in skurilen Fernsehserien oder mit einer fetten Knarre vor einem fiesen Alien stehend, sondern manchmal auch direkt vor der eigenen Tür”

DANKE!!!!! :-)


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