Haubitz + Zoche: Hybrid Modernism. Movie Theatres in South India

Haubitz + Zoche: Hybrid Modernism. Movie Theatres in South IndiaNicht erst seit dem Bolly­wood-Boom ist das Kino ein rele­vanter Faktor und ein gesell­schaft­licher Indi­kator inner­halb der indischen Kultur. Dies zeigen die zahl­reichen, bereits in den 1950er bis 1970er Jahren erbauten Film­theater mit einer Architektur, die westliche Einflüsse und lokale Baustile vereint. Das Künstlerinnen­duo Haubitz + Zoche hat die Film­theater in Süd­indien auf­gespürt und doku­mentiert.

Ausstellungsbeschreibung

“New Theatres” prangt in großen Lettern an dem Kinogebäude, dessen Fassade einer Collage aus unterschiedlichen Materialien und Formen im Stil der späten fünfziger Jahre  gleicht, während ein weitläufiger Parkplatz vor dem Kino noch auf Besucher wartet. Die Situation lässt vermuten, dass die Fotografie in einer nordamerikanischen Kleinstadt aufgenommen wurde. Bei genauerer Betrachtung fallen jedoch die fremdländischen Schriftzeichen, eine an der Fassade angebrachte Krishna Figur und mehrere Skulpturen von Elefanten ins Auge und geben Hinweise auf den tatsächlichen Standort des Kinos, das sich im südindischen Bundesstaat Kerala befindet.

Die Serie Hybrid Modernism. Movie Theaters in South India untersucht die Rezeption und Neuinterpretation westlicher architektonischer Einflüsse in Südindien und enthüllt in der gewohnt feinfühligen Annäherung und dem scharfen Blick von Haubitz + Zoche die ästhetische Qualität dieser außergewöhnlichen Gebäude.

Nicht erst seit dem Bollywood-Boom der letzten Jahre sind das Kino und die Welt des Films ein relevanter Faktor und ein gesellschaftlicher Indikator innerhalb der indischen Kultur. Dies zeigen die zahlreichen, bereits in den 1950er bis 1970er Jahren erbauten Filmtheater, deren Architektur auf einer ungewöhnlichen, irritierenden Mischung aus westlichen Einflüssen und lokalen Baustilen basiert. Die Rezeption modernistischer Architektur wurde maßgeblich durch Le Corbusiers Bauprojekte in Indien in den fünfziger Jahren inspiriert und spiegelt sich auch in den Gebäuden einheimischer Architekten wider. Bei den südindischen Kinogebäuden ist dieser Einfluss deutlich erkennbar, wird aber von Elementen durchbrochen, die aus westlicher Sicht eher als „anti-modernistisch“ bewertet werden. Sie gehen auf die traditionelle indische Architektur ebenso zurück wie auch auf das einflussreiche Art Déco. Starke Farbigkeit, auffälliger bauplastischer Schmuck und das in der Moderne vehement abgelehnte Ornament der Arabeske bleibt hier vor allem in den Interieurs eine häufige Dekorationsform. Kurzum: Bei den indischen Kinogebäuden handelt es sich um eine kulturell geprägte Neuinterpretation des modernen Baustils, die nicht nur von der beschriebenen Hybridität gekennzeichnet ist, sondern auch von einer stark kulissenhaften Wirkung der Architektur. Oft erscheinen die Fassaden wie Attrappen, die dem Baukörper vorgesetzt wurden.

Somit wird die den Kinofilm bestimmende Funktion der Kulisse und der damit einhergehende, für die filmische Präsentation so relevante Prozess der Immersion aufgegriffen – sie kommen bereits außerhalb des Kinosaals zum Tragen. Diese interessante Zuspitzung der Gebäudefunktion wird im Inneren der Kinos fortgeführt. Auch hier trifft man mancherorts auf extravagante, skulpturale Formen und Verzierungen, die den Besucher in eine bühnengleiche Atmosphäre versetzen und ihn dadurch auf das bevorstehende Kinoerlebnis einstimmen.

In einem Land wie Indien, das jährlich etwa 1200 Filme in 24 Sprachen produziert und damit in dieser Hinsicht die führende Nation der Filmindustrie darstellt, hinterlässt die Welt des Kinos überall ihre Spuren. Neben dem wirtschaftlichen Einfluss, den Hochburgen wie Tamil Nadu oder die weltweit größte Kino-Produktionsstätte Ramoji Film City in Hyderabad ausüben, prägen die Leinwandhelden mit dramatischen, romantischen oder actionreichen Geschichten den indischen Alltag, denn sie sind durch die offensive Bewerbung der Filmangebote allgegenwärtig. So sind neben den  Fotografien der Kinogebäude, die eine gewisse Zeitlosigkeit ausstrahlen, in der Ausstellung auch großformatige Momentaufnahmen von Filmplakaten im urbanen Kontext zu sehen, in denen die Durchdringung von filmischer und alltäglicher Realität eindrücklich widergespiegelt wird.

Der aus Mumbai stammende Literaturtheoretiker Homi Bhabha hat den Begriff der Hybridität geprägt, der für die postkolonialen Theorien der letzten Jahrzehnte von zentraler Bedeutung ist.“For me the importance of hybridity is the third space that enables other positions to emerge. (…) The process of cultural hybridity gives rise to something different, something new and unrecognizable, a new area of negotiation of meaning and representation.” (Homi Bhabha, 1990 in einem Interwiew)In seinem Hauptwerk “The location of culture” (1984) beschreibt Bhabha die Entstehung des third space aus der bewussten und unbewussten Aneignung von Zeichen und Symbolen der kolonisierenden Kultur und die Integration in das eigene Zeichensystem. Zwischen den Kulturen entstehe ein hybrider dritter Raum, der eine kritische Distanzierung ermögliche.Mit ihrer Serie Hybrid Modernism. Movie Theaters in South India gelingt es dem Künstlerinnenduo Haubitz + Zoche, sich innerhalb des aktuellen Diskurses der postkolonialen Theorien zu verorten und diese in sehr dichten Bildern zu veranschaulichen.

Die in dieser Ausstellung gezeigten Fotografien sind in den Jahren 2011 – 2013 entstanden.

Eine Publikation zur Werkserie ist in Vorbereitung.

Seit 1998 arbeiteten die Künstlerinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche zusammen und positionierten sich unter dem Namen Haubitz + Zoche mit ihrem fotografischen und installativen Werken im internationalen Kunstgeschehen. Im März 2014 ist Sabine Haubitz tödlich verunglückt. Stefanie Zoche wird das Werk, das die Handschrift beider Künstlerinnen trägt, in beider Namen fortsetzen.

Wann und wo

10. Oktober bis 15. November 2014
Eröffnung am Donnerstag, 9. Oktober, 19:00 – 21:00 Uhr

Nusser & Baumgart
Steinheilstraße 18
80333 München


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