Ähnlich wie derzeit bei den “Veranstaltungen” – “ja-nein-vielleicht” – stünde jetzt, den Brauche-Button angeklickt ,“ich benötige Diesoderjenes” und “kannst du es besorgen?” – “ja-nein-vielleicht”.
Dies wäre ein virtuelles Abbild für russische Netzwerke. So ist jede slawische Community organisiert. Sie besorgen sich’s gegenseitig.
Hierbei kenne ich auch meine Aufgabe, die darin besteht, hier etwas zu besorgen, was andernorts nicht zu haben ist. Und längst habe ich es mir abgewöhnt, dem Ariadnefaden bis zum Minotaurus zu folgen – wichtig ist nur, dass es geschieht.
So ist mir nur der Anfang und das Ende ist klar: Die Kleine Ira aus der Ukraine, eine von Lenchens Schulfreundinnen, hat eine Freundin, die jemanden kennt. Über einige Zwischenstufen steht am Ende der Kenn-Kette die Mutter eines krebskranken Kindes aus Minsk, Republik Belarus, welches bereits drei Chemos hinter sich haben soll und das nun bestimmte Präparate zur Stärkung der Immunität benötigt.
Das Mittel, welches nach Meinung der dortigen Ärzte einzig und allein helfen könne, ist dortzulande nicht zugelassen, weil es – so die offizielle Begründung – landeseigene Generika gäbe. Behörden schützen so der Profit der eignen Pharmaindustrie. Nämlich indem sie manchen westlichen Präparaten die Zulassung verweigern und somit lieber ihre Landeskindern Placebos vorsetzen lassen. Aber für die eigene Sippe haben diese Behördenangestellten sich schließlich genügend Geld ergaunert, um gegebenenfalls zur Heilung in die Schweiz oder nach Deutschland fahren zu können, notiere ich jetzt etwas zornig und voller Vorurteile.
Jedenfalls ist ein weißrussisches Kind krank, ein Junge, zwölf Jahre alt und einige Chemos hinter sich habend. Die Community sammelte bereits einiges Geld und meine Aufgabe ist es, regelmäßig einen deutschen Arzt zu überreden, blind ein Rezept auszustellen, die Arznei anschließend in einer Apotheke zu ordern, diese dann zum Berliner Bahnhof Zoo zu bringen, um es schließlich einen Zugbegleiter des Zuges Berlin-Kiew – gegen eine Transportgebühr von 20 Euro – in die Hand zu drücken. Mehr weiß ich nicht, außer vielleicht noch, dass es in Kiew abgeholt wird und von dort aus irgendwie nach Minsk gelangt.
Was in summa ein relativ großer Aufwand für einen Unbekannten ist. Zu dem ich mich aber verpflichtet sehe. Einmal aller drei Monate. Und gestern war es soweit, dass die Arznei in der Apotheke bereits bestellt, nur noch nicht abgeholt war.
Da erscheint meine Frau im Arbeitszimmer und sagt:
“Du brauchst es nicht abzuholen. Nie mehr – Der Junge ist gestorben.”
Obwohl ich außer den ersten beiden Gliedern der Kette niemanden kenne, geht mir das doch sehr nahe.