Hartz-IV: Karl Marx und der Reitsport

Hartz-IV: Karl Marx und der Reitsport

© Roland Beier

Vor kurzem habe ich eine Karrikatur erworben, die mich schon seit vielen Jahren als Photokopie aus dem SPIEGEL begleitet: sie ist von Roland Beier und trägt den Titel „Tut mir leid Jungs! War halt nur so ‘ne Idee von mir…“; das Bild ist zahlreich im In- und Ausland erschienen und hat Roland Beier berühmt gemacht – und man kann sie immer noch erwerben (Klick). Am Telefon ist Herr Beier ausgesprochen nett – allso nur zu (er ist mir hoffentlich nicht böse, dass ich die Karrikatur in meinen Blog stelle.

Ich muss immer schmunzeln, wenn ich sie ansehe, denn auch ich war in früheren Tagen mal politisch stramm links und träumte von der „Idee“. Doch das Leben hat mich davon überzeugt, dass diese Utopie vielleicht nicht ganz so einfach umzusetzen ist, aber ein wenig träume ich immer noch von (annähernd) gleichen Lebenschancen für alle.

Deswegen habe ich mich über das Urteil des BVerfG gefreut, welches eigentlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern, die Hartz-IV erhalten, hätte führen müssen (Klick).

Dach als Frau Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen dann ihre Hartz-IV-Anpassungen verkündete, da stieg in mir die Wut hoch, weil man diesen positiven Ansatz des Verfassungsgerichts praktisch ins Gegenteil verkehrte.

Nun hat das BVerfG ja nicht Golf und Cabrios für alle gefordert, sondern es hat nur ein bisschen mehr Chancengleichheit und ein bisschen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und den Aufstiegsmöglichkeiten für alle Kinder in dieser Gesellschaft angemahnt – und sich dabei noch nicht einmal auf Karl Marx, sondern auf das Grundgesetz berufen.

Gebracht hat es nichts, denn die derzeitige Politik hat anscheinend gar kein Interesse daran, eine zivile Gesellschaft zu fördern, die auf Interessenausgleich und Chancengleichheit abzielt: sei es nun bei den Hartz-IV-Gesetzen, sei es bei Stuttgart 21 oder der Aufkündigung des gesellschaftlich akzeptierten Atomausstiegs-Kompromisses (was uns einen „heissen Herbst“ nicht nur hier in Niedersachsen bescheren wird).

Aber warum ist das so, wieso werden die gesellschaftlichen Wahrnehmungen eines Karl Marx wieder aktueller, wieso seine Utopien wieder schärfer abgegrenzt zur Gegenwart, wieso empfinde ich immer mehr, dass wir in Deutschland den Weg zu einem bisschen der „Idee“ verlassen?

Diejenigen, die zu den Glücklichen in dieser Gesellschaft gehören (und zu denen gehöre ich definitiv, denn vieles in meinem Leben hat nicht nur mit eigener Leistung, sondern auch mit zugedachten Lebenschancen und eben Glück zu tun), diejenigen sollten bedenken, dass soziale Kälte und das Verwehren von Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Fortschritt für andere leicht dazu führen kann, dass auch unser ach so bequemes Leben gefährdet wird und wir unsere Erfolge und unser Wohlleben nicht mehr frank und frei präsentieren können.

Warum mir das gerade heute einfällt?

Ich habe die Neue Presse Hannover gelesen, S14: Es wird berichtet über den gestrigen Warm-Up-Day der German Classics, einem grossen Reitturnier auf dem hannoverschen Messegelände. Nur eine halbe Sekunde fehlte dort einer 16-jährigen Reiterin zum Sieg, immerhin wurde sie beste Amazone der ersten Classics-Entscheidung. Der Eintrittspreis an diesem Tag war gering (3 Euro). Eine 23-jährige Besucherin, die gerade eine schicke Pferdedecke erstanden hatte: „Ich geniesse die Turnieratmosphäre. Ein Tag hier ist wie ein Kurzurlaub.“

Ob sich wohl ein pferdebegeistertes Mädchen, für das die Eltern Hartz-IV erhalten, den Eintritt von 3 Euro wird leisten können? Wahrscheinlich nicht. Und an Reitunterricht, Reiten selbst oder gar ein eigenes Pferd braucht dies Mädchen wohl kaum zu denken.

Das 16-jährige Mädchen auf dem 2.Platz wird am Sonntag übrigens vor den Augen ihrer stolzen Mutter wieder an einem Wettbewerb im Rahmen dieses Turniers teilnehmen: der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen.

„Tut mir leid Jungs! War halt nur so ‘ne Idee von mir…“


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