Eigentlich darf ich das heute ja gar nicht mehr sagen: „Happy Birthday Stephan!“. Schließlich erlebst Du diesen Geburtstag nicht mehr und alle üblichen Glückwünsche sind unangebracht und dringen nicht mehr an Dein Ohr: „Alles Gute für das nächste Lebensjahr!“, „Gesundheit und Glück für die nächsten Fünfzig“ oder „Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute!“. Solche und ähnliche Glückwünsche hätten Dich heute erreicht. Sicher auch in extra großer Anzahl. Schließlich wärst du heute ein halbes Jahrhundert alt geworden. Doch dieses „wäre“ im Satz ist das entscheidende Wort. Das, was weh tut, da es mir den Sachverhalt so sehr vor Augen hält. Und doch möchte ich auf Dein letztes Lebensjahr zurückblicken, so, wie wir es gemeinsam getan hätten. Auch, wenn dieses nur ein kurzes wurde.
Seit ein paar Tagen versuche ich Erinnerungen hervorzukramen, was im letzten Jahr nach dem 11. September in Deinem Leben so geschehen ist, doch irgendwie sind da wenige von übrig. Noch immer überlagert dieser eine – Dein letzter – Tag meine Erinnerungen an Dich, sobald ich an Dich denke.
Doch ein paar Dinge sind in diesen 3 Monaten schon geschehen…
Du warst sehr aufgeregt, weil die Entfristung bei Amazon aus stand, das Feedback aber nicht hunderprozentig aussagte, dass Du bleiben kannst. Du warst schon immer so, dass Du als „Herr im Haus“ das Geld verdienen wolltest und die Aussicht, Deinen Job eventuell zu verlieren, war ganz furchtbar für Dich. Dabei wäre das so egal gewesen: Du hättest schon etwas anderes gefunden! Und selbst wenn nicht, hätten wir uns eben so durchgewurschtelt – wäre ja nicht das erste Mal gewesen. Aber das hab ich Dir ja mehrere Male gesagt. Beruhigt hat Dich das nicht wirklich. Erst nach dem Gespräch mit Deinem Chef und dem unterschriebenen Vertrag wurde Dir diese riesengroße Last von den Schultern genommen. Wenn ich mir Deine Erleichterung vor Augen rufe, strahle ich immer noch mit Dir um die Wette.
Wie oft Du nach Deinem Geburtstag zu mir gesagt hast, dass Du nicht 50 werden willst – wie sehr ich die Erinnerung daran hasse. Sicher hast Du diese Worte nicht so gemeint, wie sie nun eingetroffen sind. Woher dieser Wunsch entsprang weiß ich nicht genau. Diese „5“ machte Dir Angst und ein großes Fest wolltest Du auf keinen Fall. Dabei wollte ich Dich doch hintergehen, alte und uralte Freunde einladen und Dich damit überraschen. Da bist Du ja nun drum rum gekommen. Und uns bleibt nur die gemeinsame Erinnerung.
Oft warst Du im letzten viertel Jahr down, kaputt und schnell müde. Ich hab das auf Arbeitsstress geschoben. Wie man das halt oft so macht. Es wurde dadurch etwas ruhiger in unserem Leben, doch wir haben es weiterhin genossen. Warum auch nicht? Niemand konnte ahnen, was geschehen würde.
Im Oktober waren wir noch einmal kurz im Garten und durften ein paar Stunden im wunderbaren Herbstwetter verbringen. Dabei ist auch mein absolutes Lieblingsbild von Dir entstanden. Die Abendsonne in Deinem Gesicht und Du erwischt beim Kippe drehen. Wenn die Trauer in großer Welle über mich versucht hereinzubrechen, suche ich mir im Geist genau dieses Bild hervor und es überlagert dann meist die, die sich vordrängen wollen.
Eine der schönsten – letzten – Erinnerung, die ich habe, ist das Weihnachtsfest und das Treffen mit der Familie. Wie sehr Du es genossen hast, in einen Sessel gekuschelt uns zu beobachten, das Dazuhören zu genießen und Dich mit dem jüngsten Familienmitglied angeregt über Transformers zu unterhalten. Dabei hattest Du ein trauriges Leuchten in den Augen, dass mir jetzt noch einen Schauer über die Haut beschert.
Natürlich könnte ich mich nun verlieren in den Träumen und Wünschen, die wir für die Zukunft hatten. Doch was bringt mir das – außer Traurigkeit? Einige der Dinge werde ich versuchen umzusetzen und Dich in Gedanken daran teilhaben zu lassen. Und doch wird es ganz anders sein, als wärst Du dabei.
Wenn ich es – mental – schaffe, werde ich heute Deinen Baum besuchen gehen.
Natürlich kann ich an Dich an jedem Platz der Welt denken.
Und doch hat der Friedhof einen besonderen Level für mich.
Und ab und zu brauche ich das einfach.
Die Überwindung vorab und den Schmerz, wenn die Wirklichkeit Einzug in mein Gehirn nimmt.