Handreichungen, wie man den Volkszorn schürt (durch CDU-Generalsekretär Rühe)


„… Im September 1991, kurz vor der Bürgerschaftswahl in Bremen, macht Geißlers Nachfolger im Amt desCDU-Generalsekretärs, Volker Rühe, mobil. In einem Rundschreiben fordert er seine Partei auf, die »besorgniserregende Entwicklung von Asylbewerberzahlen« in allen Stadträten, Kreistagen und Länderparlamenten zum Thema zu machen »und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt«. Handreichungen, wie man dabei den Volkszorn schürt, liefert Rühe frei Haus: Musterentwürfe für Ratsbeschlüsse und Presseerklärungen. So sollen die CDU-Mandatsträger fragen, wie viele Kindergärten sich mit dem Geld für die Flüchtlingsversorgung finanzieren ließen oder wie viel Unterricht ausfiele, weil Notunterkünfte Schulen und Turnhallen blockierten. Wenn sich die SPD weiter gegen die Grundrechtsänderung sperre, tönt Rühe, sei jetzt jeder Asylant ein »SPD-Asylant«.

Wenige Tage später setzt im sächsischen Hoyerswerda der Mob ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter in Brand. Bei den Landtagswahlen im April 1992 triumphiert Rechtsaußen: Die »Republikaner« kommen in Baden-Württemberg auf 10,9, in Schleswig-Holstein schafft die DVU 6,3 Prozent.

Die SPD gerät zunehmend unter Druck – vor allem den der eigenen Basis. Denn die Antragszahlen steigen weiter. Was aus Statistiken, Medien und Politik nicht an die Öffentlichkeit dringt: Zehntausende der Schutzsuchenden sind Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem auseinandergebrochenen Jugoslawien, die man ins Asylverfahren gedrängt hat. Auch ist ein Gutteil der praktischen Probleme am Ort qua Gesetz selbstverschuldet: Weil die Flüchtlinge verpflichtet sind, in Sammelunterkünften zu wohnen, sehen sich die Gemeinden oft gleich mit einigen Hundert Fremden konfrontiert. Und weil ein anderes Gesetz den Ankommenden verbietet, zu arbeiten, ächzen Länder und Kommunen unter den Versorgungskosten.

Für rationale Argumente bleibt bei gefühlter Überfremdung kein Raum. Immer alarmistischer wird die Debatte. Bild weiß: »Fast jede Minute ein neuer Asylant – die Flut steigt«, und fragt: »Wann sinkt das Boot?« Auch andere Medien kennen nur noch »Wellen«, »Fluten«, »Ströme« und das »volle Boot« namens Deutschland. Ein Spiegel-Titel zeigt Tausende auf ein Boot drängen im »Krieg des dritten Jahrtausends«…“

Quelle und gesamter Text: http://www.zeit.de/2012/49/Debatte-Grundrecht-Asyl-1992/seite-2


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