Haltet ein! Wehret den Anfängen!

Alle Welt redet über Griechenland und die Krise in Europa, und das ist auch richtig und notwendig. Doch ich, ich rede über Freital.

Aber wo fange ich an? Welcher Satz lässt mich einen Einstieg finden in den Wust von Gedanken und Gefühlen, die sich mit diesem Thema verbinden? Vielleicht so: Ich lebe in einem Land, in dem der Hass auf arme, mittellose und traumatisierte Menschen, die dem Krieg und der Folter entflohen sind und mit letzter Kraft Deutschland erreicht haben, als “Protest besorgter Bürger” von einigen Medien verharmlost wird, während man Menschen, die zu helfen versuchen, mit Flüchtlingskindern spielen und sich gegen den Volkszorn stellen, als “radikale Linke” bezeichnet und abwertet. Aber dieser Satz, obwohl er wahr ist, klingt so sehr nach Schlagwort, dass mir ohnehin keiner zuhören würde, wenn ich ihn verwende. Was kann ich also anderes sagen, um Menschen vor Augen zu führen, in welchen Strudel wir hier in Deutschland geraten, und wie sehr dieser Strudel Angst machen muss?

Zweiter Versuch: Seit ich mich für Politik interessiere habe ich immer den Vergleich der Verhältnisse in der Bundesrepublik mit denen am Ende der weimarer Republik abgelehnt, aber jetzt muss ich schweren Herzens eingestehen, dass die Parallelen nicht mehr zu übersehen sind. Viele Deutsche wenden sich voller Verachtung und Hass gegen Ausländer, Menschen anderer Hautfarbe und anderen Glaubens, die deutsche Gesellschaft ist verunsichert und ruft nach einem starken Mann oder einer starken Frau an der Spitze, die soziale Ungleichheit nimmt rapide zu, und politische Demagogen nutzen die Verwirrung und Verunsicherung gnadenlos aus, während die Politik zu feige ist, sich dem Volkszorn entgegenzustellen. Was für eine schöne Analyse. Aber berührt sie Menschen der heute lebenden Generationen noch? Kommt ein Ruf wie “Wehret den Anfängen” überhaupt noch an? Ich fürchte nicht.

Also versuchen wir es im dritten Anlauf mit einer Frage. Es gibt nämlich einen Punkt, in dem sich die Verhältnisse von heute gravierend von den Verhältnissen zu Beginn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts unterscheiden: Damals war Deutschland wegen der Weltwirtschaftskrise bitter arm, die Menschen hungerten. Heute zählt das Land immer noch und trotz allem zu den fünf reichsten Ländern der Erde, und obwohl nicht alle im gleichen Maß davon profitieren, haben alle objektiv betrachtet genug, um zu überleben. Die Frage lautet also: Was bringt Menschen mit einem Fernseher, einem Auto, einem Telefon, 200 Wurstsorten im Supermarktregal, teuren Kosmetika, Motorbooten, Fotoapparaten, Brathähnchen, billigen T-Shirts mit coolen Sprüchen und anderen modischen Klamotten, was bringt also verwöhnte Wohlstandsbabies dazu, sich mit einem kaum zu bändigenden Hass gegen Menschen zu stellen, die nur knapp mit dem Leben den Greueln des Krieges entronnen sind? Diese Menschen kommen zu uns, nachdem sie Monate und Jahre geflohen sind, Familie und Werte verloren haben und befürchten müssen, eines grausamen Todes zu sterben. Sie dürfen in Deutschland nicht arbeiten, nehmen also niemandem den Arbeitsplatz weg, sondern schaffen noch Arbeitsplätze. Und ganz davon abgesehen: Die Eltern und Großeltern der Leute, die die Flüchtlinge jetzt mit ihrem unversöhnlichen Hass bedrohen, haben die Alliierten im zweiten Weltkrieg wegen ihrer Bombenangriffe auf Dresden und andere deutsche Städte angeklagt und sich als Opfer grausamer Politik und eines grausamen Krieges gefühlt. Und heute verweigern ihre Kinder Menschen mit einem ähnlich harten Schicksal ihre Solidarität? Doch auch das werden die Menschen kaum verstehen, und auf meine Frage habe ich selbst keine Antwort, ich verstehe diese Randalierer nicht, diese überheblichen, großmannssüchtigen Rassisten, diesen egoistisch braunen Mob, der zu Gewalt gegen die Schwächsten der Schwachen aufruft, sich mit dem starken russischen Bären Putin verbünden will und “Sieg Heil” durch die Straßen des Städtchens Freital brüllt, in der Hoffnung, das Deutsche Reich bestehe immer noch fort. Realitätsfremd mögen sie sein, aber sie sind viele, sie sind gefährlich, sie sind kompromisslos, und sie zwingen die butterweichen, nur auf die nächsten Wahlen geeichten Politiker zum Nachgeben, aus Angst, sie könnten diese Wahlen verlieren.

Das alles hilft nicht wirklich, oder? Das alles durchbricht nicht die Sprachlosigkeit und das Unverständnis, mäßigt nicht den Hass und lindert nicht die Wut. Es sind leere Worte, ungehört und unverstanden, nicht wahr?

In Freital wird der besorgte deutsche Bürger zur unmenschlichen Fratze. Jetzt trifft es die Ausländer, aber es kann jeden treffen, wenn nur Demagogen wie Lutz Bachmann und andere die Angst der Bevölkerung geschickt zu nutzen verstehen. Heute trifft es Asylbewerber, morgen Arbeitslose, übermorgen Menschen mit Behinderung, nächste Woche Juden, Katholiken und Sozialdemokraten. Hauptsache, man hat einen Sündenbock. Das ist es, was genauso unverständlich, genauso unbändig ist wie damals, als die Faschisten an die Macht kamen. Eine wütende Massenbewegung traf auf morsche, unglaubwürdige politische Institutionen, die ihrem Ansturm keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzten. Und kurz darauf stand die Welt in Flammen.

Haltet ein! Wir sind alle Menschen, und nur die Solidarität mit denen, die schon heute unter Krieg, Folter und Vertreibung leiden, kann uns vor dem Untergang der Zivilisation und Kultur bewahren, auf die wir doch so stolz sind. Es ist genug: Euer Hass ist unwürdig, unmenschlich und unerträglich! Wir dürfen ihn nicht länger dulden!

p. S.: Ein interessanter Stimmungsbericht aus Freital von der frankfurter Rundschau.

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