Konzerte
Veröffentlicht am 27. März 2014 | von Martin Foszczynski
Ein Hauch von Flower-Power lag mit HAIM im Paradiso in Amsterdam in der Luft. Als einer der traditionsreichsten Veranstaltungsorte der Niederlande atmet die 1968 zum Kulturzentrum erklärte ehemalige Kirche noch den Geist der Hippie-Ära.
Ein Hauch von Flower-Power lag in der noch recht kühlen Tulpenmetropole auch dieser Tage in der Luft, kündeten sich doch drei Ladies aus dem sonnigen L.A. zum lange ausverkauften Gastspiel an. Das hatte aber nichts mit einem Griff in die Mottenkiste der Musikhistorie, als vielmehr mit einem der spannendsten Acts der gegenwärtigen Alternative-Szene zu tun. Zugegeben, es war nicht Liebe auf den ersten Blick, als die BBC das kalifornische Schwestern-Trio Ende 2012 zu den Aufsteigern des kommenden Jahres ausrief. Knackig produzierte Nummern wie Don’t Save Me samt Teenie tauglichen Musikvideos wirkten ziemlich kommerziell, Anleihen an Girlgroups der 90er Jahre sorgten bei mir für zusätzliches Kopfzerbrechen. Die Haim-Sucht kam auf dem Umweg über verwackelte Youtube-Clips – Mitschnitte von Mittags-Auftritten auf europäischen Festival-Nebenbühnen und in dämmrigen Hillbilly-Kneipen irgendwo im Westen der USA.
Haim zogen ihr Ding, lange vor dem Angehen des internationalen Rampenlichts mit unbekümmertem Charme und festem Willen zur großen Karriere, durch. Die Magie des Trios liegt in seiner Andersartigkeit. Es erfindet das Musik-Business nicht neu, doch alles, was die Band ausmacht, ist ein wenig verschroben.
Da wäre einmal der seltsame Band-Name, zu dem man schlicht den eigenen Familiennamen umfunktionierte und der sich den aus Israel stammenden Eltern verdankt (als eher erfolglose Coverband mit Hang zu cheesigen Rock-Klassikern vermachten Mum & Dad Haim ihren Töchtern nicht nur die Musikbegeisterung, sondern auch gleich ein Haus voller Instrumente). Die freche Art, mit der Alana, die Jüngste, in ausgeleierten T-Shirts und knappen Shorts ihre Synthies und Drums bearbeitet und die durchgeknallte Este, mit 27 Älteste und wegen ihrer ausgeprägten Extrovertiertheit inoffizielle Band-Leaderin, Grimassen schneidend Killer-Grooves zupft (eine Art Minirock-Version des Metallica-Bass-Monsters). Die Hingabe, mit der die schüchterne Danielle – früher Tourmusikerin bei The Strokes-Sänger Julian Casablancas – ihr Herzblut in Gesang und Gitarren-Soli legt. Vor allem aber zeichnet die Haim-Sisters eine unerhörte Musikalität aus, die sie in ungewohnte Klänge und Songstrukturen ummünzten. Ihr eigensinniger Mix aus so unterschiedlichen Genres wie Bluesrock, R’n’B, Chart-Pop und Club-Sounds fügt sich zu einem stimmigen musikalischen Ausdruck zusammen, wie man ihn so noch nicht gehört – und gesehen – hat.
Groß waren folglich die Erwartungen. Den Support machten Jungle! aus London, eine Art basisdemokratisches Musikkollektiv, das sich ebenso frei allerlei Musikstilen von Funk bis House bedient. Das resultierte in einem gute Laune verbreitenden Soundteppich, auf dem sich das Haim-Publikum Heineken schlürfend und hüftenschwingend die Füße vertrat. Womöglich sah man im Paradiso, wie schon so oft, die Newcomer von morgen auftreten. Dann Dunkelheit im Backstein-Tempel, die Band der Stunde betrat die Bühne. Die drei Mädels aus Kalifornien tappten in aufbrausenden Applaus und bezogen unter mystischen Kirchenfenstern und im stereoskopischen Blitzlicht ihre Plätze. Mit von der Partie wie immer auch der wackere Herr im Bunde, Drummer-Lockenkopf Dash Hutton der – obwohl sich stets dezent im Hintergrund haltend – für das solide Rückgrat des Haim-Sounds sorgt.
Falling und die die neue, etwas glatte Single If I Could Change Your Mind bringen die Menge zum Shaken und erzeugen jenes biochemische Haim-Glücksgefühl, dass sich aus der Ahnung perfekter Pop-Songs und dem Widererkennen typischer Marotten speist. Die hübsche Lead-Sängerin Danielle faucht wie eine Rhythmus getriebene Raubkatze hastig zwischen die Beats, „Miss Cool California“ Este wiederum kaut bassspielend an einer imaginären Zitrone und verzieht ihr Gesicht in einer Weise, dass bei seinem Anblick sogar Lars von Triers Orgasmus süchtigen „Nymphomaniacs“ die Schamesröte ins Gesicht steigen muss.
Dann ist aber Schluss mit lustig – Haim lassen ihre Girlie-Hüllen fallen und mit dem Fleetwood Mac-Cover Oh Well – schon länger fixer Bestandteil ihrer Live-Sets – ein von mächtigen Riffs getragenes Rock ‘n‘ Roll-Biest von der Leine. Faszinierend wie sich drei zarte Mädels im Handumdrehen zu 70jährigen Bluesrock-Veteranen verwandeln. Die Nummer nimmt unter Alanas stetigem Busch-Trommeln und Danielles fingerfertigen Gitarrenakkorden Fahrt auf und entlädt sich schließlich in ein Led-Zeppelin-taugliches Sound-Inferno druckvoll-pumpender Monster-Riffs. Die Mädels schlagen in die Seiten und schütteln ihr Haar – letzte Zweifel an ihren Eiern werden von Danielles gnadenlosem Gitarrensolo-Finale ertränkt. Spätestens jetzt wird klar, welchen Geistes Kinder Haim wirklich sind. Pop? Alternative? Pah! Rock ‘n‘ Roll, Baby!
Die 180-Grad-Kehrtwende folgt auf dem Fuß. Mit Sheryl Crow’s Strong Enough und Miley Cyrus‘ Wrecking Ball haben sich Haim schon zweimal ans Interpretieren von Chart-Songs gewagt. Das erst kürzlich während einer Radiosession zum ersten Mal vorgetragene XO von Beyoncé (Danielle wechselte dazu an die Drums, Este übernahm den Gesang) stellt die Perfektionierung dieser Übung dar. Die Girls verstehen es mit viel Gefühl und Gespür Mainstream-Hits in einer Art zu sezieren, dass ihre fragile Schönheit zum Vorschein kommt. Endlich muss man sich für Pop nicht mehr unbedingt schämen – Haim sei Dank.
Einige starke Momente folgten noch. Etwa als Alana an den gar nicht so weit zurückliegenden ersten Auftritt im Paradiso als erste von drei Vorbands vor circa 50 Leuten erinnert und Este einen superlasziven Lapdance mit Bassgitarre als Anheizer zum R’n’B-Turntable-Kracher Song 5 hinlegt. Solche Interaktionen mit dem Publikum hätte man sich öfter gewünscht – für Haim-Verhältnisse blieb die Band insgesamt eher reserviert. Es fehlten die kleinen Sticheleien und Flirts, die Este sonst nur allzu gerne mit diversen Typen in den vorderen Reihen zelebriert, ganz zu schweigen vom finalen Hechtsprung in die Crowd oder der Ankündigung, sich nach dem Konzert noch in umliegenden Bars vergnügen zu wollen. Stattdessen durchzog ein Hauch von Tour-Routine das gesamte Set. Das fantastische Honey and I etwa – ein Geniestreich voller Rhythmuswechsel und Gänsehautfeelings – wurde zu einer Standardrepertoire-Nummer zurechtgestutzt.
Doch wer kann es den drei, über Nacht zur großen Nummer avancierten Twentysomethings verübeln? Anstatt das Campus-Leben an der UCLA zu genießen oder sich ins Nightlife des Sunset Strip zu stürzen, geht es von Stadt zu Stadt um den Globus. Der Druck, neben den authentischsten Shows der Musikwelt auch noch das mit Spannung erwartete Debut-Album abzuliefern (mittlerweile schaffte es „Days Are Gone“ für eine Woche an die Spitze der UK Charts), machte das Leben der drei jungen Frauen, die selbst zugeben, Privates bis auf weiteres hintenanzustellen, zuletzt nicht einfacher. Twitter statt Typen. Tourbus statt Dates.
Dennoch: Haim werden uns noch viel Freude bereiten, dazu haben sie einfach zu viel Spaß an ihrem Rockstarleben. Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, geben die kommenden Sommer-Festivals Europas. Hoffentlich ist bald auch für Österreich die Haim-atlosigkeit zu Ende.
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Martin Foszczynski